Bericht zeigt weit verbreitete Islamfeindlichkeit – Expertenkreis fordert Aus für Kopftuchverbote

Ein Expertenkreis hat im Auftrag der Bundesregierung islamfeindliche Einstellungen untersucht. Jeder Zweite stimmt demnach rassistischen Aussagen über Muslime zu.
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Nach dreijähriger Arbeit legte der „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) seinen Bericht im Auftrag der Bundesregierung vor.Foto: iStock
Von 30. Juni 2023

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Der „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) hat am Donnerstag, 29. Juni, seinen Abschlussbericht über antimuslimischen Rassismus in Deutschland vorgelegt. Unter dem Eindruck des Terroranschlags von Hanau im Februar 2020 hatte die Bundesregierung den UEM einberufen und die Untersuchung in Auftrag gegeben.

Der Expertenkreis, dessen Arbeit aus Mitteln der „Deutschen Islam Konferenz“ finanziert wird, sollte sich wandelnde Erscheinungsformen von Muslimfeindlichkeit in Deutschland analysieren. Zudem soll er Empfehlungen erarbeiten, um antimuslimischem Rassismus entgegenzuwirken. Das Gremium besteht aus zwölf Mitgliedern, die der damalige Minister Horst Seehofer berufen hatte.

Faeser: „Muslimisches Leben gehört selbstverständlich zu Deutschland“

Nach drei Jahren Arbeit hat das Gremium seinen Bericht nun dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) übergeben. Die Zusammenstellung mit dem Titel „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“ existiert in einer knapp 400-seitigen Langfassung und einer Zusammenfassung.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte angesichts der Präsentation, muslimisches Leben gehöre „selbstverständlich zu Deutschland“. Man wolle gleiche Chancen und Rechte für alle innerhalb einer vielfältigen Gesellschaft. Umso bitterer seien jedoch die Befunde des nun vorgelegten ersten umfassenden Berichts zur Muslimfeindlichkeit im Land:

Viele der 5,5 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland erleben Ausgrenzung und Diskriminierung im Alltag – bis hin zu Hass und Gewalt. Es ist sehr wichtig, dies sichtbar zu machen und ein Bewusstsein für noch immer weit verbreitete Ressentiments zu schaffen.“

Muslime als „besonders fremd“ wahrgenommen

Der Expertenkreis bezog auch strukturelle Merkmale in die Definition von Muslimfeindlichkeit ein, die dem Bericht zugrunde lag. Antimuslimischer Rassismus bezeichne die „Zuschreibung pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften gegenüber Muslimen und als muslimisch wahrgenommenen Menschen“.

Auf diese Weise konstruierten Vertreter dieser Geisteshaltung bewusst oder unbewusst eine „Fremdheit“ oder Feindlichkeit bezüglich der Betroffenen. Dies führe zu unterschiedlichsten Prozessen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Bemerkbar machen können diese sich „diskursiv, individuell, institutionell oder strukturell“ und sie können bis zu Gewaltanwendung reichen. Allein im Vorjahr zählte eine Meldestelle jüngst fast 900 islamfeindliche Straftaten – darunter auch gegen Kinder und schwangere Frauen.

Aus den vorhandenen und ausgewerteten Daten ergeben sich dem Expertenkreis zufolge einige eindeutige Tendenzen. Demnach sei Muslimfeindlichkeit kein gesellschaftliches Randphänomen. Vielmehr sei es in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung auf einem beständig hohen Niveau verbreitet.

Etwa jeder Zweite in Deutschland stimme muslimfeindlichen Aussagen zu. Abwertungen gründeten sich dabei zum einen auf eine besonders „fremde“ Wahrnehmung muslimischer Einwanderer. Dazu komme das Stereotyp einer angeblich „rückständigen“ Religion.

Gleichsetzung Frömmigkeit mit Fundamentalismus

Besonders problematisch sei dabei die Gleichsetzung von muslimischer Frömmigkeit mit Fundamentalismus. Diese nähre die Bereitschaft, Grundrechtseinschränkungen im Bereich der Religionsfreiheit für Muslimen zu befürworten und ihnen das Recht auf gleiche Teilhabe abzuerkennen.

Oft seien lediglich Unkenntnis oder Skepsis die Grundlage solcher Vorbehalte. Dennoch böten diese „ein Einfallstor für antidemokratische Gruppierungen, die mit muslimfeindlichen Themen an die gesellschaftliche Mitte anknüpfen“. Antimuslimischer Rassismus sei vorwiegend in Regionen verbreitet, in denen es an persönlichen Begegnungen mit Muslimen fehle.

Verbreitet sei neben Stereotypen auch ein „komplexitätsreduzierender und kulturalisierender Blick“ auf die muslimische Community in Deutschland. Muslime sehen sich demnach regelmäßig auch geschlechtsspezifischen rassistischen Zuschreibungen ausgesetzt. So würde muslimischen Frauen die Selbstbestimmtheit ihres Denkens und Handelns abgesprochen.

Männern schreibe man demgegenüber verstärkt Aggressivität und Gewalt zu. Zudem werde „der Islam“ beziehungsweise die „muslimische Kultur“ zur alleinigen Erklärung für unerwünschtes Verhalten.

Medien befeuern Stimmung gegen den Islam

Medien tragen dem Expertenkreis zufolge zur Zementierung dieser Einstellungsmuster bei. Dies betreffe sogar christliche Publikationen. Aber auch soziale Medien bildeten einen „toxischen Diskursraum“, dessen rassistische Sprechakte pogromartige Gewalt wie in Hanau fördern könnten.

Was sich durch fast alle Medien für die Mehrheitsbevölkerung ziehe, sei, dass Darstellungen alltäglicher Lebenswelten von Muslimen fehlten. Auch in den Redaktionen selbst fehle es meist an Mitarbeitern aus muslimischen Lebenszusammenhängen. Immerhin steuerten immer mehr Influencer aus muslimischen Communitys mittlerweile auf YouTube und Instagram zu einem authentischen Bild bei.

Zudem würden alle im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD antimuslimischen Rassismus grundsätzlich als Problem erkennen. Bei Union und FDP zeigten sich jedoch in einigen Bereichen ebenfalls verminderte Anerkennung oder ein Konfliktbild mit Blick auf den Islam.

Was empfiehlt der Expertenkreis?

Der Expertenkreis gibt zum Schluss auch einige Empfehlungen, um islamfeindlichen Tendenzen in Deutschland gegenzusteuern. Dazu gehöre „die Formulierung klarer und transparenter rechtlicher und verwaltungsinterner Regelungen“ zu konsequenter rechtlicher Gleichbehandlung von Muslimen und muslimischen Organisationen. Auf diese könnten sich Entscheider sich in ihrer Alltagspraxis stützen und berufen.

Außerdem solle es mehr an rassismuskritischen sowie diversitäts- und religionssensiblen Fort- und Weiterbildungen geben. Dies sei insbesondere für Mitarbeiter staatlicher Institutionen von besonderer Bedeutung, um diese gegen institutionellen Rassismus zu sensibilisieren.

Zudem fordert der Expertenkreis auch, „die Stigmatisierung und Benachteiligung von muslimischen Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Raum“ zu beenden. Kopftuchtragende Frauen sollten grundsätzlich das Recht haben, alle öffentlichen Ämter in Justiz und Verwaltung auszuüben. In zahlreichen Ländern von den USA oder Kanada und Großbritannien bis zu Israel ist dies bereits die Regel.

Der Expertenkreis befürwortet zudem die Aufnahme verfassungsschutzrelevanter Muslimfeindlichkeit als eigenständige Kategorie in den Verfassungsschutzberichten. Politiker sollten in ihrer Rhetorik über Muslime ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und auf rassistische Zuschreibungen und Stereotype verzichten. Die Abgrenzungspolitik der übrigen Parteien gegenüber der AfD solle zudem aufrecht bleiben, heißt es in dem Bericht weiter.



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