Wunderbare Wiederentdeckung

Der flämische Maler Hugo van der Goes wird nun erstmals mit einer großen Einzelausstellung geehrt.
 Vor über fünfeinhalb Jahrhunderten war er einer der bedeutendsten Künstler der altniederländischen Malerei.
Titelbild
Alles richtet sich auf Jesus Christus aus – ein Detail aus der Altartafel „Geburt Christi“, gemalt von Hugo van der Goes. Gemäldegalerie Berlin.Foto: Wikimedia.Commons
Von 14. Mai 2023

Nur etwa 14 Jahre lang dauerte seine Schaffenszeit. Nur 13 Tafelbilder und zwei Zeichnungen überdauerten die Zeitläufte und können ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden. Sie jedoch offenbaren solch überragende Könnerschaft und geistige Tiefe, dass es rätselhaft erscheinen muss, warum ihr Schöpfer über lange Zeit nur wenigen bekannt war, allgemein jedoch fast in Vergessenheit geriet.

Durch die erste monographische Ausstellung zu Hugo van der Goes, die in der Berliner Gemäldegalerie noch bis zum 16. Juli zu bestaunen ist, ändert sich dies nun schlagartig.

Und: Den sorgfältig erarbeiteten, spannenden und reich bebilderten Katalog zur Ausstellung kann man getrost als Meilenstein der Rezeption des Meisters und seiner kunsthistorischen Würdigung bezeichnen.

Späte biografische Spuren

Über die Kindheit und Jugend des Malers finden sich, wie im 15. Jahrhundert durchaus üblich, keine biografischen Zeugnisse. Selbst sein Familienname gibt Anlass zu Mutmaßungen. Hugo van der Goes wurde vermutlich im Ort Goes, auf der Halbinsel Zeeland an der Nordseeküste, etwa 80 Kilometer nordöstlich von Gent geboren. Möglich ist aber auch, dass die Familie, aus Goes stammend, bei seiner Geburt bereits in Gent oder Umgebung lebte.

Die erste gesicherte biografische Spur des Meisters findet sich tatsächlich erst etwa 27 Jahre nach dem vage um 1440 vermuteten Geburtsjahr am 4. Mai 1467. In den Dokumenten der Genter Malergilde, deren Schutzpatron, der heilige Evangelist Lukas, in biblischer Zeit die Muttergottes porträtiert haben soll, wird Hugo an diesem Tag als neu aufgenommenes Mitglied vermerkt.

Van der Goes muss zu diesem Zeitpunkt bereits ein angesehener Künstler gewesen sein und über beträchtliche Einkünfte verfügt haben. Denn neben zwei verpflichtend notwendigen persönlichen Empfehlungen durch Mitglieder der Gilde musste er eine hohe Summe flämischer Groten, eine Silberschale und die Kosten eines festlichen Banketts anlässlich seiner Aufnahme in den Kreis der Genter Malerkollegen berappen.

In der Folge taucht sein Name noch einige Jahre lang immer wieder in den Annalen der Gilde auf. Van der Goes ist begehrter Auftragskünstler, arbeitet für weltliche und kirchliche Auftraggeber gleichermaßen, wird Dekan der Gilde und zum führenden, dem erfolgreichsten Maler Gents.

Radikaler Schritt

Im Herbst des Jahres 1475 jedoch geht er im Alter von etwa 35 Jahren einen überraschenden und radikalen Schritt: Er verlässt Gent, wird Novize und – nach ewigen Klostergelübden – zum Augustinerfrater Hugo. Bis zu seinem Lebensende wird er im Kloster Roode leben, das im Sonienwald in der Nähe Brüssels liegt.

Die Wahl des Konvents ist sehr wahrscheinlich durch die Tatsache beeinflusst, dass sein leiblicher Bruder Nikolaus dort bereits als Mönch lebt. Über die genauen Gründe des Malers, sich von seinem bisherigen weltlichen Leben abzuwenden und dem Klosterleben zuzukehren, gibt es keine schriftlichen Aussagen.

Die Bildschöpfungen von Hugo van der Goes – seien sie im Original oder als zeitgenössische Kopien überliefert – sind jedoch bildgewordene und sprechende Quellen, die das Denken, Fühlen und vor allem den Glauben des Künstlers offenbaren.

Profundes Wissen und tiefe Spiritualität

Sie zeigen seine profunde Kenntnis der Bibel, seine tiefe Spiritualität und innig religiöse Haltung. Ganz besonders in den Originalen, die sich bis in unsere Zeit erhalten haben, wird die ehrfürchtige Anteilnahme des Malers am religiösen Geschehen in begeisternder Könnerschaft bis ins kleinste Detail hinein sichtbar.

Gegenstände, Pflanzen, Landschaften, Gebäude, Tiere, Menschen und Engel, Gesten, Mimik, Zeichen und Blicke sind Teil des vielschichtigen Bildaufbaus und sind in grandioser Maltechnik mit augenscheinlich nur einem Ziel auf Holztafeln gebannt: Sie sollen auf Jesus Christus hinweisen und sich in seinen Dienst stellen.

Geburt Christi, Öl auf Eichenholztafel, Gemäldegalerie, Berlin, 97 x 245 cm. Foto: Wikimedia.Commons

Selbst die Muttergottes – in diesen Werken vor-reformatorischer Zeit mit besonders herausragender und liebevoller, malerischer Verehrung bedacht, weist – obwohl selbst im Zentrum der Betrachtung – gleichzeitig stets voll Demut auf Jesus, das Licht der Welt hin.

Beim großen Tafelbild der Geburt Christi, das Hugo van der Goes – nun als malender Mönch – um 1480 entstehen lässt, stellt er neben das Geschehen alttestamentarische Propheten. Jahrhunderte vor den tatsächlichen historischen Ereignissen des Neuen Testaments hatten sie die Geburt des Erlösers vorausgesagt. Nun halten sie für die Menschen – und somit auch für uns heutige Betrachter –, schleierartige Vorhänge zur Seite und lassen uns so die Erfüllung ihrer Prophezeiungen anschauen.

Auch im Porträt des Heiligen Lukas geht es um das andächtige, ernsthafte und stille Betrachten und das Sich-im-Geschauten-Versenken. Kniend ehrt der zeichnende Heilige die Mutter des Erlösers. Er wird uns so als Vorbild tätigen Gebets gezeigt und scheint gleichzeitig das Wunschbild des Künstlers selbst zu sein.

Hatte Hugo van der Goes diese Stille und Kontemplation durch seinen Rückzug aus der Welt gesucht, so scheint er sie im Kloster nicht gänzlich gefunden zu haben, denn Auftraggeber und Bewunderer seiner Kunst machten sich nun zu ihm nach Roode auf den Weg.

„Der Heilige Lukas zeichnet die Madonna“, Eichenholztafel, 104,5 x 62,8 cm. Die zweite, früher rechts befindliche Tafel mit Madonnendarstellung, gilt leider als verschollen. Der Stier im Bild ist das Wappentier des Evangelisten. Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga. Foto: Wikimedia.Commons

Besuche und Auftragsarbeiten waren ihm nicht verwehrt. Im Gegenteil. Die Entstehung einiger seiner größten Meisterwerke fallen sogar gerade in die Zeit seines mönchischen Lebens.

Klösterliche Kontemplation und weltlicher Anspruch

War es der Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach Zurückgezogenheit und Gebet auf der einen und einem übergroßen Anspruch an das eigene, begnadete Können auf der anderen Seite, der den Klosterbruder in einen unauflöslichen, verhängnisvollen Konflikt brachte?

Gaspar Ofhuys, ebenso wie Hugo van der Goes im Jahr 1475 als Novize in das Kloster Roode eingetreten, schreibt mehr als drei Jahrzehnte später seine Erinnerungen an den malenden Mitbruder in der Klosterchronik nieder: „Im Jahr des Herrn 1482 stirbt Bruder Hugo, der hier seine Profess abgelegt hatte. „Dieser war so berühmt in der Malkunst, dass diesseits der Berge keiner seinesgleichen, wie man sagte, in jener Zeit gefunden werden konnte“, beginnt der Mönch seine Aufzeichnungen. Dann berichtet er von der –, wahrscheinlich in dessen Sterbejahr –, plötzlich und unvermittelt aufgetretenen, geistigen Verwirrung des Mitbruders.

Der eiligst herbeigerufene Prior des Klosters hofft auf die Heilkraft der Musik, doch auch wohltuende Lieder können die selbstanklagenden Wahnvorstellungen von Hugo van der Goes nicht lindern. Langsam, doch nie mehr gänzlich, stabilisiert sich der Zustand des seelisch Kranken, der von seinen Mitbrüdern „mit Liebe und Mitgefühl Tag und Nacht“ betreut wird.

„Im Gedenken an Bruder Hugo van der Goes“: Gedenktafel am ehemaligen Kloster Roode in Audergheim bei Brüssel. Foto: Wikimedia.Commons

Rätsel und Rat

Wie die Nachwelt heute noch rätselt auch Hugos Zeitgenosse Gaspar Ofhuys über die Ursachen des letztlich tödlichen Leidens: 
„Was die Leiden der Seele betrifft“, so schreibt er, „so weiß ich genau, dass sie dem erwähnten Bruder sehr zusetzten. Er sorgte sich nämlich sehr darum, wie er die Werke, die er malen sollte, zu Ende bringen sollte. […] dieser Bruder, […] war“, vermutet Ofhuys, „[…] infolge der allzu vielen Vorstellungen, Fantasien und Sorgen im Gehirn an einer Ader verletzt worden. […]“.

Er rät den Lesern seiner Chronik: „Setzen wir daher unseren Fantasien und Vorstellungen, unseren Vermutungen und anderen eitlen und nutzlosen Gedanken, durch die unser Gehirn unnötig strapaziert wird, eine Grenze, damit wir nicht in eine solche unheilbare Gefahr geraten. Denn wir sind Menschen.“

„Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“ – In der Gemäldegalerie Berlin bis zum 16. Juli 2023. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag, München: 304 Seiten, 250 Abbildungen, ISBN (deutsche Ausgabe): 978-3-7774-3847-4, ISBN (englische Ausgabe): 978-3-7774-3848-1. Preis: 55 Euro (Buchhandel), 39 Euro (Museumsshop). Foto: Hirmer Verlag



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