Taiwanischer Beamter: China vermutete schon am 13. Januar eine Übertragung von Mensch zu Mensch

Ein hochrangiger Beamter aus Taiwan nahm Mitte Januar an mehreren Meetings im chinesischen Wuhan teil. Ein Pekinger Beamter teilte in einem der Meetings mit: „Eine begrenzte Übertragung von Mensch zu Mensch kann nicht ausgeschlossen werden.“ Damit wurde schon sehr früh bestätigt, dass der Virus verheerende Schäden anrichten kann – und Peking davon wusste.
Titelbild
Leere Straßen in Peking, Ende Januar 2020.Foto: NICOLAS ASFOURI/AFP über Getty Images
Von 9. Mai 2020

Chuang Yin-ching, ein hochrangiger Beamter des taiwanischen Zentrums für Krankheitskontrolle, berichtete der britischen Zeitung „The Telegraph“ über einen Vorfall im chinesischen Wuhan, der gewisse Verwirrung verursacht und die Spannungen zwischen den Gesundheitsbehörden vor Ort aufgedeckt hat. Wuhan ist das ursprüngliche Epizentrum der Lungenseuche.

Chuang und einer seiner Kollegen hatten die Erlaubnis erhalten, vom 13. bis 15. Januar Wuhan zu besuchen. Das Ziel der Reise war ein Informationsaustausch mit chinesischen Gesundheitsbeamten und Ärzten über die Lage und den Verlauf von COVID-19 vor Ort.

Chuang erzählte „The Telegraph“, dass die 11-Millionen-Stadt ziemlich ruhig gewesen sei, „ohne das Gefühl einer bevorstehenden Katastrophe“. Die chinesischen Gastgeber wollten die Beamten aus Taiwan zum Abendessen und zu Besichtigungen einladen. Chuang lehnte jedoch ab und meinte: Er bleibe lieber in seinem Hotel und sei vorsichtig, weil „es draußen gefährlich ist“.

Besuch im Krankenhaus in Wuhan

Dann berichtete Chuang von einem Besuch im Jin-Yin-Tan-Krankenhaus. Dort sei er nicht verpflichtet gewesen, persönliche Schutzausrüstung zu tragen. Er habe aber auch keine Patienten in der sogenannten „schmutzigen Zone“ besuchen dürfen.

Der erfahrene Medizinprofessor berichtete auch über eine außergewöhnliche Szene in einer geschlossenen Sitzung zwischen chinesischen Beamten und Experten aus Taiwan, Hongkong und Macao. Während der Sitzung widersprach ein hochrangiger Pekinger Gesundheitsbeamter plötzlich seinen Kollegen aus Wuhan, die eine Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch leugneten.

„Zunächst versuchte der Vorsitzende des Treffens (…) die Übertragung von Mensch zu Mensch zu leugnen, aber schließlich sagte die Person von der Gesundheitsbehörde der Zentralregierung: ‚Warum geben Sie eine alte Erklärung ab? Die aktuelle Erklärung lautet, dass eine begrenzte Übertragung von Mensch zu Mensch nicht ausgeschlossen werden kann’“, erinnerte sich Chuang an das Meeting. „Für mich war das eine sehr wichtige Information“, betonte er.

Die chinesischen Gesundheitsbehörden teilten den Beamten aus Taiwan damals auch mit, dass es 41 Corona-Fälle gebe, von denen 28 im Zusammenhang mit dem Meeresfrüchtemarkt von Huanan ständen. Der Markt wurde am 1. Januar geschlossen.

Fallstudie: Übertragung von Ehemann auf Ehefrau

Die Diskrepanz zwischen dem Beamten aus Peking und den Schlussfolgerungen der Gesundheitsbehörden aus Wuhan beruhten, so „The Telegraph“, auf einer Fallstudie über einen Mann und seiner Frau.

„Der Ehemann arbeitete auf dem Meeresfrüchtemarkt in Huanan, aber seine Frau ist leider leicht behindert. Also war die Möglichkeit, dass sie sich direkt auf dem Markt angesteckt hatte, sehr gering“, erklärte Chuang im Interview und fuhr fort: „Das bedeutet: Es gibt nur zwei Möglichkeiten sie bekam die Krankheit von ihrem Ehemann oder (…) sie bekam die Krankheit von etwas, das ihr Ehemann mit nach Hause brachte.“

Für Chuang gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Zweifel mehr, dass Menschen andere Menschen infizieren können. Er bezweifelte auch die Richtigkeit von nur 41 Fällen und erhielt keine Antwort auf seine Frage, warum 13 Infektionen nicht auf den Huanan-Markt zurückgeführt werden konnten.

Informationen zur Übertragung wurde erst sechs Tage später veröffentlicht

Chuangs Annahmen wurden durch einen im April erschienen Bericht der „Associated Press“ bestätigt, der auf internen Dokumenten beruht. In den Dokumenten heißt es, dass chinesische Beamte schon Mitte Januar feststellten, dass sie mit einer Pandemie konfrontiert sind. Schon damals wurden Vorbereitungen angeordnet. In der Öffentlichkeit wurde die Gefahr allerdings weiterhin verharmlost. Es wird vermutet, dass etwa 3.000 Menschen während dieser Zeit infiziert wurden.

Die öffentliche Bestätigung der Übertragung eines mysteriösen SARS-ähnlichen Virus von Mensch zu Mensch kam erst am 19. Januar vom chinesischen Gesundheitsministerium. In China ist diese Zeit am verkehrsreichsten Millionen Menschen reisen an den Feiertagen des chinesischen Neujahrsfestes mit Zügen und Flugzeugen.

WHO bestätigte die Information zur Übertragung erst am 22. Januar

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schickte vom 20. bis 21. Januar eine Delegation nach Wuhan. Am 22. Januar gab die Organisation eine Erklärung ab, in der es hieß: „In Wuhan findet eine Übertragung von Mensch zu Mensch statt.“ Und: „Um das volle Ausmaß der Übertragung von Mensch zu Mensch zu verstehen, ist eine weitere Analyse der epidemiologischen Daten erforderlich.“

Zuvor sagte Dr. Maria Van Kerkhove, die amtierende Leiterin des WHO-Referats für neu auftretende Krankheiten, auf einer Pressekonferenz am 14. Januar in Genf: Die Gesundheitsbehörde bereite sich auf die Möglichkeit eines größeren Ausbruchs vor, da Informationen darauf hindeuteten, dass „die Möglichkeit besteht, dass es eine begrenzte Übertragung von Mensch zu Mensch gibt, möglicherweise zwischen Familienmitgliedern“.

Die WHO schien die Behauptung jedoch am selben Tag in einer Twitter-Nachricht zurückzuziehen und schrieb: „Vorläufige Untersuchungen, die von den chinesischen Behörden durchgeführt wurden, haben keine eindeutigen Beweise für eine Übertragung des neuartigen #Coronavirus (2019-nCoV) von Mensch zu Mensch gefunden, das in #Wuhan, #China, identifiziert wurde.“

Taiwan reagierte rechtzeitig

Chuang befürchtete während seines Besuchs in China bereits, dass die Krankheit hochansteckend und von Mensch zu Mensch übertragbar sei. Nach seiner Rückkehr in Taipeh teilte er dies seinen Vorgesetzten umgehend mit.

Taiwans Gesundheitsbehörde gab ihre Ergebnisse auf einer Pressekonferenz am 16. Januar bekannt und aktivierte ein zentrales Epidemie-Kommandozentrum, um einen strengen, stufenweisen Epidemie-Reaktionsplan zu überwachen. Bis heute gab es in Taiwan lediglich 440 Corona-Fälle und sechs Todesopfer (Stand: 8. Mai, Johns Hopkins University).

Chuang ist immer noch unsicher, wie viel seine chinesischen Amtskollegen wussten oder bereit waren, ihm mitzuteilen. Als sie sich verabschiedeten, hätten diese einen Satz auf Chinesisch gesagt, erinnert sich der Experte im Gespräch mit „The Telegraph“: „Wenn der Frühling kommt und die Blütezeit beginnt, können wir nach diesem Ausbruch ein Treffen in Wuhan oder Taipeh zu dieser Epidemie abhalten.“

„Offensichtlich hofften sie also, den Ausbruch unter Kontrolle zu bringen, aber ich weiß nicht, ob das wahr ist oder nicht“, so Chuang.

 

 

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