Omikron „leichter vorherzusagen“ – Investoren meiden unberechenbares China

Die jähe Kehrtwende in der Corona-Politik sollte für Xi Jinping zum Befreiungsschlag werden. Stattdessen sinkt das Vertrauen in ein unberechenbares China. Eine Analyse.
Ein Apple Store auf der Fifth Avenue. Apple-Zulieferer setzen nach Regierungsangaben bei der iPhone-Produktion neben China zunehmend auch auf Indien als Standort.
Ein Apple Store auf der Fifth Avenue. Apple-Zulieferer setzen nach Regierungsangaben bei der iPhone-Produktion neben China zunehmend auch auf Indien als Standort.Foto: Mark Lennihan/AP/dpa
Von 11. Januar 2023

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Über Jahre hinweg hatte Chinas KP-Machthaber Xi Jinping die Null-COVID-Politik seines Landes als Vorbild für die Welt verkauft – und damit sogar im Westen Bewunderer gefunden. Irgendwann konnten die Lockdowns die Corona-Welle jedoch nicht mehr aufhalten. Stattdessen lähmten sie die Wirtschaft und riefen sogar Proteste im totalitären KP-Reich hervor.

Xi sah sich unter Zugzwang, und das, obwohl er erst im Oktober beim Parteitag der KP die Partei auf sich zugeschnitten hatte. Unternehmen und Investoren vor Ort oder Beobachter im Ausland fragten sich, wann und unter welchem Vorwand eine schrittweise Lockerung erfolgen würde.

Stattdessen entschied sich Xi Jinping dafür, praktisch ohne Vorwarnung eine vollständige Abkehr von der Lockdown-Politik anzuordnen. Sein Kalkül war offenbar, als handlungsfähiger Realist wahrgenommen zu werden, der ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzöge. Stattdessen untergrub er seine eigene Autorität – und zunehmend auch das Vertrauen der Märkte in China und seine Führung.

Schicksal von Land und Wirtschaft hängt von einem Mann ab

Stabilität und ein hinreichendes Maß an Berechenbarkeit galten bislang als die Stärken Chinas aus der Sicht internationaler Investoren. Man war bereit, über den Umstand hinwegzusehen, dass man in einem Land investiert, das Tag für Tag schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht. Immerhin konnte man sich darauf verlassen, dass Entscheidungen des KP-Regimes – so zweifelhaft und willkürlich sie auch sein mochten – Bestandskraft hätten.

Mittlerweile nehmen Führungskräfte, Investoren und Diplomaten China wieder als politische Blackbox wahr. Der Weg des Landes ist mit der Person von Xi Jinping verbunden und hängt entscheidend von dessen Launen ab.

Das „Wall Street Journal“ (WSJ) zitiert den Präsidenten der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, mit der Aussage:

Die Geschäftswelt ist schockiert über die plötzliche Kapitulation.“

Gewissermaßen sei Omikron „leichter vorherzusagen als die chinesische Regierung“, so Wuttke. Es zeige sich, dass „ein stärker politisiertes Umfeld es sehr schwierig macht, herauszufinden, was die Entscheidungsträger tun werden“.

Geschäftsklima zeigt sich deutlich eingetrübt

Kurzfristig sorgt die Kehrtwende inmitten einer massiven Corona-Welle für Personalengpässe und Betriebsunterbrechungen. Immerhin stieg die Anzahl der Krankenstände von Beschäftigten enorm an, und das geht an keiner Lieferkette spurlos vorbei.

Schon mittelfristig könnte die eingetrübte Berechenbarkeit jedoch auch die Bereitschaft internationaler Investoren, in China Geschäfte zu machen, generell eintrüben. Eine Umfrage des US-China Business Council unter seinen Mitgliedern aus dem Jahr 2022 lässt tief blicken. Demnach gaben 83 Prozent der Befragten an, dass sie das Geschäftsklima in China weniger optimistisch einschätzen als noch drei Jahre zuvor. In der Auswertung hieß es:

Die am häufigsten genannte Auswirkung ist die Wahrnehmung eines erhöhten politischen Risikos bei Geschäften in China.“

Wirtschaftlicher Pragmatismus trete demnach immer häufiger hinter politische Ziele zurück. Unternehmen wie Starbucks und Estée Lauder sahen sich durch die Null-COVID-Politik in ihren Investitionsplänen behindert. Ihre Erträge gingen zurück.

Apple hat sich dazu entschieden, einen Teil seiner Produktion von China in andere asiatische Länder wie Indien und Vietnam zu verlagern. Unternehmen wie die Hormel Foods oder der britische Polymerhersteller Victrex mussten Investitionsvorhaben über Monate verschieben. Die Entwicklung nährte die Unzufriedenheit mit dem Standort China.

Analysten: „China ist weniger attraktiv als zuvor“

Die aktuelle Kehrtwende sorgt bei den Betroffenen jedoch nicht nur für Jubelstimmung und die Bereitschaft, die unverhoffte Chance zu nutzen. Stattdessen sorgt sie erst recht für Misstrauen, da auf die abrupte Öffnungsentscheidung ein ebenso abrupter Rückfall ins andere Extrem folgen könnte.

Portfoliomanager Arvid Streimann von der Magellan Financial Group erklärte gegenüber Aktionären:

China ist weniger attraktiv als zuvor. Wenn man in China investiert, unterliegt man immer noch einem erhöhten regulatorischen Risiko.“

Neil Thomas von der Eurasia Group erwartet eine höhere Marktvolatilität (Marktschwankungen) infolge der Undurchsichtigkeit der chinesischen Politik. Viele Unternehmen stocken ihre Budgets für Marktanalysen auf.

Xi Jinping kann auf uneingeschränkte Machtfülle zählen

Xi Jinping habe mehr Macht angehäuft als jeder andere chinesische Führer seit Mao Zedong, schreibt „Bloomberg“. Dies würde es ihm erlauben, Kritik aus unteren Rängen oder lokalen Zirkeln mithilfe kampagnenartiger Mobilisierung zu ersticken. Xi hatte zuletzt gezeigt, dass er innovative Unternehmen wie etwa die der IT- oder Social-Media-Unternehmen unterstützen kann. Gleichzeitig versteht er es, bei Bedarf auch den nationalistischen Mob gegen sie aufzubringen.

Dies wird die Bereitschaft weiter absenken, sich offen gegen verfehlte Politik auszusprechen – stehen doch Karrieren und sogar die persönliche Freiheit auf dem Spiel. Dabei sind chinesische Provinzen nicht selten größer als europäische Flächenstaaten. Wirtschaftlich unterscheiden sie sich ebenfalls oft deutlich voneinander, sodass zentralistische Politik besonders kontraproduktive Auswirkungen hat.

„Qualitatives Wachstum“ als neues Schlagwort

Xi arbeitet auch bereits an einem neuen Narrativ, welches helfen soll, verlangsamtes Wachstum als Erfolg oder Notwendigkeit zu verkaufen. Er spricht nun von einem „qualitativen Wachstum“ und stellt es in einen größeren Zusammenhang. Dieser umfasse auch die Verhinderung von Pandemien und die Isolierung des Finanzsystems gegen Risiken.

Auch gelte es, eigenständig und innovativ zu sein, da die USA den Zugang Chinas zu Schlüsseltechnologien einzuschränken versuchten. In China ruhen derzeit massive Investitionen, die auf den Aufbau einer Halbleiterindustrie abzielen, die mit den USA konkurrieren kann. Grund dafür sind die Belastungen von Versorgung, Personaldecken und Lieferketten infolge der hohen Zahl an Corona-Infizierten.

Zudem gibt es noch kein schlüssiges Konzept, um Daten privater Tech-Giganten, die das Regime ohnehin massenweise abschöpft, zum Nutzen der Gesamtwirtschaft einzusetzen. Der Immobiliensektor leidet außerdem noch an sinkender Nachfrage, sodass hier trotz jüngster Reformen wenig an Veränderungen zu erwarten ist.



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