Das Geheimnis um Michelangelo und seinen versteckten Skizzenraum

Unter den Medici-Kapellen in Florenz zeichnete der italienische Meister Michelangelo vor rund 500 Jahren seine Skizzen an die Wände eines kleinen versteckten Kellerraums. Doch wie kam es dazu?
Einblick in den Skizzenraum von Michelangelo
Einblick in Michelangelos geheimen Skizzenraum.Foto: Francesco Fantani/Museo delle Cappelle Medicee
Von 31. Januar 2024

Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni – kurz Michelangelo – gilt heute neben da Vinci, Albrecht Dürer und Raffael als einer der größten Künstler weltweit. Als Maler, Bildhauer, Baumeister und Dichter hinterließ er eine schier unendliche wirkende Liste an Meisterwerken – von der David-Statue bis hin zu den Malereien in der Sixtinischen Kapelle.

1530 musste der bewunderte Michelangelo plötzlich um sein Leben bangen und floh, als er den Zorn eines der einflussreichsten Männer zu dieser Zeit auf sich zog. Doch auch in seinem Versteck sprudelten die Ideen des Künstlers, die er ganz ohne Papier und Stift zeichnerisch festhielt.

Fluch und Segen?

Diesen geheimen Zufluchtsort von Michelangelo können Interessierte seit Ende letzten Jahres unter den Medici-Kapellen an der Kirche San Lorenzo in Florenz besichtigen. An den Wänden des engen Raums blicken den Besuchern die Graffiti des Meisterzeichners entgegen – unter anderem sein Selbstbildnis, das Gesicht des Laokoon und sogar Jesus Christus. Einige Kunstspezialisten glauben, dass sich unter den Skizzen sogar eine Nachbildung von der Decke der Sixtinischen Kapelle befindet.

Bislang blieb dieser in seiner Art einmalige Raum für die Öffentlichkeit unzugänglich. Nun haben die Besucher von Florenz die Möglichkeit, die geheime Nische des Künstlers zu durchschreiten und seine Skizzen persönlich in Augenschein zu nehmen. Aber wieso hatte Michelangelo so großen Zorn auf sich gezogen, dass er gezwungen war, sich abgeschottet von der Außenwelt in einem kleinen dunklen Kellerraum zu verstecken? Und wie ertrug er diese Enge und Abgeschiedenheit?

Portrait von Michelangelo

Porträt von Michelangelo. Vermutlich gemalt von Daniele da Volterra um 1544. Foto: Gemeinfrei

Es heißt, Michelangelo sei bei Papst Clemens VII. aus dem Hause Medici in Ungnade gefallen, woraufhin er sich in die Sagrestia Nuova (dt. „Neue Sakristei“) zurückgezogen habe. Dieses neuartige, von Michelangelo selbst entworfene Mausoleum besteht aus mehreren Kapellen und befindet sich auf der berühmten Kuppel der Piazza di Madonna degli Aldobrandini in Florenz.

Tief unter dieser Kapelle soll sich der Künstler ganze zwei Monate lang versteckt haben – viel Zeit, um die schlichten Wände des Gewölbes mit seinen Kohleskizzen zu verschönern. Diesem Ereignis ging eine Revolte gegen den mächtigsten Mann des spätmittelalterlichen Italiens voraus.

Michelangelo verbrachte zwei Monate in dem Kellerraum

Die Skizze ähnelt der berühmten David-Statue sowie dem Bildausschnitt des Jesus aus dem Gemälde „Das Jüngste Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle. Foto: Francesco Fantani, Museo delle Cappelle Medicee

Papst gestürzt und vertrieben

1527 regierten die Familie Medici und Papst Clemens VII. gemeinsam Florenz, als sie im Zuge der Sacco di Roma gestürzt und aus der Stadt vertrieben wurden. Die Gegner der Medicis machten sich dies zunutze und gründeten eine Republik.

Während der Papst – selbst ein Medici – seine Vormachtstellung nicht verlieren wollte und alles für seine Rückkehr tat, wurde Michelangelo zum Aufseher über die Verteidigungsanlagen der Stadt berufen. Seine Aufgabe war es, die Mauern von Florenz gegen die Medicis zu befestigen – jener Familie, die seine künstlerischen Arbeiten und seinen Lebensunterhalt finanzierte. Wieso er das tat, ist nicht bekannt – doch er tat es. Ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.

Nach nur zehn Monaten eroberten der Papst und die Medici-Familie Florenz zurück und bestraften alle Sympathisanten der Revolte. Um seinen Freund Michelangelo zu schützen, soll Giovan Battista Figiovanni, der Prior von San Lorenzo, ihn in der Sagrestia Nuova vor den Medicis versteckt haben. Aus diesem Grund wird der drei Meter breite, zehn Meter lange und fast drei Meter hohe Raum heute als Michelangelos Geheimzimmer bezeichnet.

Nach seiner Selbstisolation soll Michelangelo durch die Bemühungen eines Mannes namens Baccio Valoris von den Medicis begnadigt worden sein. Die Medicis baten ihren Meister freundlich, das Mausoleum der Familie fertigzustellen und bezahlten auch in den folgenden Jahren seine Arbeiten.

Luftbild der Kirche San Lorenzo mit angeschlossener Medici-Kapelle in Florenz. Foto: iStock

Emotionen zum Leben erweckt

Der Künstler bildete die menschliche Anatomie in gestischen und lockeren Skizzen sowie in einigen detaillierten Nahansichten ab. Während einige fast ganze Figuren zeigen, sind andere detailgetreue Studien von Körperteilen wie Gliedmaßen, Schultern, Köpfen.

Michelangelo schaffte es auch, die Emotionen in verzerrten Gesichtszügen festzuhalten – wie das Beispiel von Laokoon zeigt. Laokoon ist in der griechischen Mythologie ein Priester Trojas, der bei seinem Gott in Ungnade gefallen sein soll. Dieser schickte Laokoon und seinen beiden Söhnen daraufhin zwei Riesenschlangen, die ihn und einen seiner Söhne nach einem kräftezehrenden Kampf töteten.

Zum Vergleich: Der gezeichnete Laokoon-Kopf von Michelangelo (links) und die Laokoon-Statue aus Marmor von dem griechischen Bildhauer Hagesandros (rechts). Foto: Francesco Fantani/Museo delle Cappelle Medicee, iStock, Komposition: Epoch Times

„An den Wänden wimmelt es von zahlreichen Figurenskizzen, größtenteils von monumentaler Größe, in einem Strich und mit Linien, die von großer gestalterischer Klarheit zeugen“, sagt Francesca de Luca, Kuratorin des Museums der Medici-Kapellen. „Diese werden von Studien begleitet, die zwischen ausführlichen und flüchtigen Analysen variieren und Details des Körpers, Gesichtszüge und ungewöhnliche Posen festhalten.“

Detailzeichnung von Michelangelo

Die Skizzen zeigen zum Teil detailgetreue Studien menschlicher Körperteile. Foto: Francesco Fantani, Museo delle Cappelle Medicee

Ein fast vergessenes Versteck

Eine Zeit lang glaubte man, Michelangelo habe sich in einem Kirchturm versteckt oder sei mit einem Freund untergetaucht. Denn Michelangelos Geheimzimmer blieb lange Zeit verborgen. Erst 1975 tauchte es wieder auf. Unter zwei Putzschichten fanden Restauratoren mehrere mit Kohle und Rötel gezeichnete Figuren an den Wänden. Sie waren unterschiedlich groß und einige der Zeichnungen überlappten sich.

Bereits da stellte der damalige Museumsdirektor und Kunsthistoriker Paolo Dal Poggetto die Hypothese auf, dass Michelangelo während des kurzen Streits zwischen der republikanischen Regierung und den Medicis hier Zuflucht gesucht haben könnte.

Jetzt sind die Kellerräume nach fast 50 Jahren der Wiederentdeckung für Besucher zugänglich. „Dieser Ort bietet den heutigen Besuchern die einzigartige Erfahrung, nicht nur mit dem kreativen Prozess des Maestros in direkten Kontakt zu kommen, sondern auch die Entstehung seines Mythos als göttlichen Künstler nachvollziehen zu können“, erklärt Francesca de Luca.

Detailzeichnung von Michelangelo

Unter den Detailzeichnungen ist unter anderem das Gesicht des Laokoon (links). Foto: Francesco Fantani, Museo delle Cappelle Medicee

Zutritt noch bis Juli 2024

Der Skizzenraum kann nur im Rahmen einer Führung mit vier Personen pro Gruppe besichtigt werden. Die Gruppen werden absichtlich klein gehalten, um ideale Konservierungsbedingungen zu gewährleisten. Außerdem dürfen maximal 100 Gruppen pro Woche den Raum betreten, da zum Schutz der Skizzen die künstliche Beleuchtung regelmäßig für längere Zeit ausgeschaltet wird.

Zudem müssen Besucher die Führung für drei Euro im Voraus buchen. Eine reguläre Eintrittskarte kostet 20 Euro pro Person, während der Preis für Ermäßigte bei nur zwei Euro liegt. Kinder unter 18 Jahren haben freien Eintritt. Hinzu kommen zehn Euro pro Person für den Eintritt in die Medici-Kapellen.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „This ‘Secret Room’ Where Michelangelo Hid Is Full of Jaw-Dropping Sketches—But Why Did He Hide?“ (redaktionelle Bearbeitung kms)



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