Sandro Botticelli: Die Verkörperung von Schönheit und Tugend
Sandro Botticelli (circa 1445–1510) ist fast jedem Kunstinteressierten ein Begriff. Dennoch mag es überraschen, dass er in den Jahrhunderten nach der Renaissance von den Künstlern weitgehend als primitiv und mittelalterlich angesehen wurde – der Perfektion von Raffael und Michelangelo nicht ebenbürtig.
Tatsächlich ist es erst 100 Jahre her, dass Botticellis Ruf als bedeutender Meister der Frührenaissance wieder auflebte. Seine Werke veranschaulichen die komplizierten Beziehungen zur damaligen Zeit zwischen der griechisch-römischen und der christlichen Kultur in Italiens Gesellschaft.
Pallas und der Zentaur
Das monumentale Gemälde mit dem Titel „Pallas und der Zentaur“ gilt als eines der außergewöhnlichsten Meisterwerke Botticellis. Unter einer felsigen Klippe und vor einer fernen Landschaft posieren zwei lebensgroße Figuren.
Auf der linken Seite ist ein Zentaur zu sehen, ein Halbgott aus der antiken Mythologie, dessen tierisches Wesen oft mit ungezügelter Leidenschaft und Lust assoziiert wurde. Auf der rechten Seite hält eine Frau in einem aufwendigen Kleid eine Strähne des lockigen Haars des Zentauren in ihrer Hand, während sie ihn eher emotionslos ansieht.
Das Thema dieses Gemäldes wird seit mehr als einem Jahrhundert in wissenschaftlichen Kreisen heiß diskutiert, ist aber immer noch ein Rätsel. Nach einer beliebten Theorie handelt es sich bei der weiblichen Figur um Minerva oder Pallas Athene, die griechisch-römische Göttin der Weisheit.
Sie hält eine zeremonielle Hellebarde [Mischung aus Hieb- und Stichwaffe], während der Zentaur einen locker gespannten Bogen trägt. Es gibt aber keine Anzeichen eines Kampfes. Die offensichtliche Macht der Göttin über den Zentauren wird oft als Symbol für die Unterwerfung der tierischen Instinkte und Leidenschaft des Menschen unter die göttliche Vernunft interpretiert.
Diese Theorie spiegelt das intellektuelle Milieu von Botticellis Zeit gut wider. Um 1400 diskutierten die Florentiner Humanisten genau diese Fragen der menschlichen Natur im Kontext der christlichen Theologie und der antiken Philosophie. Die Diskussion erreichte ihren Höhepunkt während der Herrschaft von Lorenzo de‘ Medici (1469–1492), Staatsmann, Bankier und der einflussreichste und enthusiastischste Kunstmäzen der italienischen Renaissance.
Das Gemälde wird auf die 1480er-Jahre datiert, also nach Botticellis Rückkehr aus Rom, und wurde wahrscheinlich von Lorenzo als Hochzeitsgeschenk für die Hochzeit seiner Cousine in Auftrag gegeben. Die heidnische Mythologie entsprach ihrem humanistischen Interesse an der antiken Kultur in der damaligen Zeit. Die freiwillige Unterwerfung des Zentauren könnte auch als romantisches Symbol für die eheliche Bindung verstanden werden.
Die Anbetung der Heiligen Drei Könige
Als Maler für Kaufleute und Eliten in Florenz war Botticelli nicht nur als Künstler, sondern auch als Mitglied seiner Gesellschaft tätig. Er fertigte zahlreiche Porträts seiner Zeitgenossen an und nahm Aufträge an, die speziell auf die Wünsche seiner Auftraggeber zugeschnitten waren. Das Altarbild „Die Anbetung der Könige“ malte er 1475 für den Kaufmann Gaspare di Zanobi del Lama. Es zeigt seine innige Freundschaft mit der Medici-Dynastie.
Aus der einflussreichen italienischen Familie gingen bis ins 18. Jahrhundert mehrere Großherzöge der Toskana, drei Päpste und zwei Königinnen von Frankreich hervor. Auf dem Bild malte er mehrere Mitglieder der Medici-Familie. Botticelli fügte auch sein eigenes Selbstporträt ein, um sich als Autor des Gemäldes und prominenter Bürger der Medici in Florenz zu etablieren.
Die Ankunft der drei Weisen bei der Geburt Jesu Christi ist eine der bekanntesten Episoden der Bibel seit dem Mittelalter. Auf dem Altarbild sind sie zu Füßen der heiligen Familie versammelt und bringen Geschenke dar, während zu beiden Seiten eine große Menge gut gekleideter Zuschauer steht.
Botticelli verzichtete jedoch auf die übliche Darstellung der Heiligen Drei Könige und verlieh ihnen die Züge der Familie Medici. Cosimo der Älteste, der die Familie zu ihrem Wohlstand geführt hatte, kniet ganz in Schwarz gekleidet vor Maria. Die Figur unter ihm mit einem leuchtend roten Umhang stellt seinen Sohn Piero dar.
Weitere Mitglieder der Familie und ihre Freunde sind in der Menge zu sehen, darunter der Bankier und Politiker Lorenzo, Cosimos zweiter Sohn Giuliano und der Dichter und Philosoph Poliziano. Auf der rechten Seite des Gemäldes ist vermutlich der Auftraggeber des Altarbildes, Gaspare del Lama, abgebildet; in blauem Umhang und auf sich selbst zeigend. Botticelli (rechts) selbst wendet sich von der Szene ab und blickt den Betrachter mit aufmerksamem Blick an, als würde er einen einladen, die von ihm geschaffene Welt zu betrachten.
Das Gemälde ist reich an Porträts von Zeitgenossen und erscheint so, als sei es eine Miniatur der florentinischen Gesellschaft der Renaissance. Di Zanobi gab das Altarbild für seine Grabkapelle in der prominenten Kirche Santa Maria Novella in Auftrag, die öffentlich zugänglich war.
Die Wahl des Themas sowie die Abbildung der Familie Medici sprechen für den Wunsch des Auftraggebers, seine Verbindung mit der mächtigen Familie öffentlich zu machen. Tatsächlich wurde di Zanobis Privatkapelle am 6. Januar, dem Fest der Heiligen Drei Könige, eingeweiht. Jedes Jahr verkleideten sich die Medici an diesem Tag als die Heiligen Drei Könige.
Obwohl Botticelli mit einem religiösen Gemälde beauftragt wurde, deuten diese gesellschaftlichen Bezüge eher auf die weltlichen Interessen des Auftraggebers hin und weniger auf seine spirituelle Verehrung von Christus oder Maria.
Der heilige Augustinus in seinem Arbeitszimmer
Für die Menschen, die sich damals einem mittelalterlichen spirituellen Leben verschrieben hatten, wurde das weitverbreitete Streben nach weltlichem Ruhm und Reichtum in der florentinischen Gesellschaft immer besorgniserregender. Sie betrachteten Medici-Dynastie als Regime und die damit verbundene humanistische Kultur als dekadent und korrumpierend.
1494, nach Lorenzos Tod, sammelte der dominikanische Prediger Girolamo Savonarola eine große Anhängerschaft um sich, übernahm die Macht in der Stadt und vertrieb die Familie Medici. Er prangerte die Korruption des Klerus, die despotische Herrschaft und die Ausbeutung der Armen an und rief zu einer Erneuerung des christlichen Glaubens auf.
Botticelli, ein zutiefst religiöser Künstler, der von Savonarolas Predigten inspiriert wurde, wandte sich in seinen späteren Jahren von den weltlichen und heidnischen Themen ab, die ihn in seiner Jugend beschäftigt hatten. Angeblich soll er einige seiner eigenen Werke im Mönchs „Feuer der Eitelkeiten“ verbrannt haben.
Das kleine Gemälde „Der heilige Augustinus in seinem Arbeitszimmer“ vollendete der Maler gerade in diesen unsicheren Zeiten, als sein humanistisches Interesse an der heidnischen Antike in einen unversöhnlichen Konflikt mit seinem tief empfundenen christlichen Glauben geraten zu sein schien.
In einer strengen, gewölbten Kammer sitzt der einsame Augustinus von Hippo, ein bedeutender Theologe und Philosoph, der im vierten und fünften Jahrhundert lebte. Er schreibt etwas in ein Buch und scheint dabei innerlich ruhig und gelassen. Aber die verbrauchten Federkiele auf dem Boden und die zerrissenen losen Papierblätter zeigen Unruhe und Unentschlossenheit.
Vielleicht will Botticelli damit etwas sagen: Die Malerei erfordert, genau wie das Denken und Schreiben, mutige Opfer und Überarbeitungen. Nur durch die beharrliche Korrektur von Fehlern und Unvollkommenheiten kann man ständig über sich hinauswachsen und zu geistiger Weitsicht und Größe gelangen.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Sandro Botticelli: Beauty and Virtue Epitomized“. (deutsche Bearbeitung nh)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion