Umweltwissenschaftler zu grünem Wasserstoff: „Überlegen, einen Teil der Industrie zu verlagern“
Es wird davon ausgegangen, dass grüner Wasserstoff einen wichtigen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen leisten kann. Niederländische Unternehmen investieren derzeit in die Entwicklung von grünem Wasserstoff in Ländern, in denen der für die Herstellung von grünem Wasserstoff benötigte Ökostrom leicht erzeugt werden kann, wie in Namibia und Brasilien.
Auch die EU strebt an, bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu produzieren. Weitere zehn Millionen Tonnen will man zu diesem Zeitpunkt importieren. „Grüner Wasserstoff hat als Technologie aufgrund seiner Vielseitigkeit und der zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten ein großes Potenzial. Aber leider sehe ich noch einige Hindernisse auf dem Weg dorthin“, sagt Kiane de Kleijne. Er ist der Umweltwissenschaftler von der Radboud University und der Eindhoven University of Technology.
Gesamten Lebenszyklus betrachten
De Kleijne und Kollegen berechneten im Rahmen ihrer Studie für mehr als eintausend geplante grüne Wasserstoffprojekte die Treibhausgasemissionen, die mit der Herstellung von grünem Wasserstoff verbunden sind. Mit der Erzeugung ist es jedoch nicht getan. Auch grüner Wasserstoff muss irgendwie zum Verbraucher gelangen.
Ebenso müssen die für die Erzeugung nötigen Anlagen hergestellt werden, sodass die Forscher auch die Produktion von beispielsweise Solarzellen, Windturbinen und Batterien für die Energieversorgung sowie den Transport per Pipeline oder Schiff berücksichtigten.
Am geringsten scheinen die Transportemissionen bei Pipelines zu sein. Das sei jedoch nur über kurze Entfernungen machbar. Für lange Transportwege scheint der Transport von flüssigem Wasserstoff per Schiff am besten geeignet.
Die Wasserstoffproduktion führt wiederum dort zu den geringsten Emissionen, wo es viel Sonne oder Wind gibt, wie in Brasilien oder Afrika. Der Nachteil ist, dass dieser Wasserstoff dann nach Europa transportiert werden muss. Das ist eine technologische Herausforderung und kann eine Menge zusätzlicher Emissionen verursachen.
„Der Transport von grünem Wasserstoff über große Entfernungen trägt so stark zu den Gesamtemissionen bei, dass ein Großteil der CO₂-Gewinne aus der Produktion an weit entfernten, günstigen Standorten zunichtegemacht wird“, erklärt der Niederländer. Das führt de Kleijne zu der Schlussfolgerung:
Wirklich zur Verringerung der Emissionen beitragen, kann grüner Wasserstoff nur, wenn er „aus sehr sauberem Strom und in der Region hergestellt wird“.
Was ist „grüner“ Wasserstoff?
„Grüner Wasserstoff wird durch die Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff in einem Elektrolyseur mit grünem Strom hergestellt“, sagt de Kleijne. „Dieser Wasserstoff kann dann als Rohstoff oder Kraftstoff verwendet werden. Aus Erdgas hergestellter Wasserstoff wird bereits in großem Umfang als Rohstoff verwendet, zum Beispiel in der chemischen Industrie zur Herstellung von Methanol und Ammoniak für Düngemittel.“
Grüner Wasserstoff ist wie jeder andere Wasserstoff ein farbloses Gas, die Farbangabe bezieht sich auf das Herstellungsverfahren. So gibt es neben grünem Wasserstoff – gewonnen mittels der sogenannten Erneuerbaren Energien – auch grauen (aus Erdgas erzeugten), blauen (Erdgas mit Kohlenstoffabscheidung), türkisen (Methanpyrolyse), orangen (Biomasse) und pinken oder roten Wasserstoff. Letzterer wird mittels Kernenergie erzeugt.
„Der Vorteil von grünem Wasserstoff ist, dass bei der Spaltung von Wasser neben Wasserstoff nur Sauerstoff und kein CO₂ freigesetzt wird. Dafür braucht man allerdings große Mengen an grünem Strom“, erklärt der niederländische Umweltwissenschaftler. Weiter sagt er:
Man kann die Emissionen nur reduzieren, wenn man grüne Energie wie Wind- oder Sonnenenergie nutzt. Aber selbst dann summieren sich die Emissionen allein aus der Herstellung von Windrädern und Solarzellen erheblich. Wenn man den gesamten Lebenszyklus auf diese Weise betrachtet, führt grüner Wasserstoff oft, aber sicher nicht immer, zu CO₂-Gewinnen.“
Die CO₂-Bilanz sei in der Regel bei der Nutzung von Windkraft höher als bei der Nutzung von Solarenergie. Dies werde sich in Zukunft zudem noch verbessern, „da mehr Erneuerbare Energie für die Herstellung von Windturbinen, Solarpaneelen und Stahl für den Elektrolyseur verwendet wird.“
„Überlegen, einen Teil der Industrie zu verlagern“
Die wichtigste Botschaft, so der Wissenschaftler, ist, dass wir nicht behaupten sollten, dass Technologien wie grüner Wasserstoff völlig emissionsfrei sind. Die derzeitigen Berechnungsmethoden, die die Grundlage für Vorschriften bilden, berücksichtigten in der Regel nicht die Emissionen, die bei der Herstellung von Wasserstoff anfallen, wie zum Beispiel Solarpaneele und Elektrolyseure, oder die Wasserstofflecks beim Transport.
Es könne so der Eindruck entstehen, dass grüner Wasserstoff nur wenige Emissionen verursacht, doch das sei bei weitem nicht der Fall.
„Indem wir die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus hinweg betrachten, können wir einen besseren Kompromiss zwischen den Technologien finden und feststellen, wo in der Kette Verbesserungen möglich sind“, schließt de Kleijne. „Außerdem können wir uns fragen: Was ist wichtig, um in den Niederlanden und Europa zu produzieren? Und wann ist es vielleicht besser, eine Industrie in einen anderen Teil der Welt zu verlagern?“
De Kleijnes Studie erschien am 21. Juni 2024 in der Fachzeitschrift „Nature Energy“.
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