Urteil: Klimapolitik der Schweiz hat Menschenrechte verletzt – möglicher Präzedenzfall

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am Dienstag zwei sogenannte Klimaklagen abgewiesen. Jener der Klimaseniorinnen gab er jedoch statt. Die Schweiz, so heißt es dort, habe deren Menschenrechte durch Verfehlen von Emissionsreduktionszielen verletzt.
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).Foto: FREDERICK FLORIN/AFP/Getty Images
Von 9. April 2024

Die Regierung der Schweiz hat durch das Verfehlen von CO₂-Emissionszielen Menschenrechte verletzt. Dies hat am Dienstag, 9. April, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Die Nichteinhaltung der Vorgaben habe den Verein der sogenannten Klimaseniorinnen im Recht auf Privat- und Familienleben sowie im Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

Außerdem sei die Schweiz ihren „positiven Verpflichtungen“ nicht nachgekommen, die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention in Bezug auf den Klimawandel ergäben.

EGMR konstruiert vorgelagertes „Menschenrecht auf Klimaschutz“

Zwar werden die vier individuellen Antragstellerinnen leer ausgehen, da diese „nicht die Kriterien für den Opferstatus gemäß Artikel 34 der Konvention“ erfüllten. Aus dem gleichen Grund verwarf der Gerichtshof auch eine inhaltlich ähnliche Beschwerde eines französischen Politikers. Dem antragstellenden Verein der Klimaseniorinnen billigte der EGMR jedoch die Berechtigung zu, eine Beschwerde einzureichen.

Im Text der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) findet sich zwar kein Hinweis auf Klimaschutz oder ein subjektives Recht auf ein bestimmtes Handeln des Staates. Im Regelfall enthält sie Abwehrrechte gegen diesen. Der EGMR ist jedoch der Auffassung, dass die Konvention ein „Recht auf wirksamen Schutz vor den schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität durch die staatlichen Behörden“ umfasse.

Der Artikel 8 der EMRK schützt das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Nach Auffassung des EGMR umfasse dies jedoch auch das skizzierte Schutzrecht vor den „schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität“.

„Kausaler Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Konvention“

Die Hauptpflicht eines Staates aufgrund der Konvention bestehe darin, in diesem Kontext Vorschriften und Maßnahmen zu erlassen. Diese müssten „geeignet sein“, die „bestehenden und potenziell unumkehrbaren künftigen Auswirkungen des Klimawandels zu ändern“. Es gebe dementsprechend einen „kausalen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Konvention“.

Deren Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte seien „so auszulegen und anzuwenden, dass sie praktische und wirksame Rechte garantieren“. Zwar räumt der EGMR ein, dass er selbst nur für die Auslegung der Bestimmungen der Konvention und ihrer Protokolle sei.

Allerdings verwies er auf die „von den Mitgliedstaaten eingegangenen internationalen Verpflichtungen“ vor allem im Rahmen des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und des Pariser Klimaabkommens von 2015.

Er sieht die Staaten aufgrund dieser Verpflichtungen insbesondere dazu gehalten, Maßnahmen und Vorschriften „in Anbetracht der zwingenden wissenschaftlichen Empfehlungen“ zu treffen. Dies beziehe sich hauptsächlich auf jene des Weltklimarats (IPCC).

Gerichtshof erteilt der Schweiz detaillierte Maßregeln

Die Staaten hätten demnach die Pflicht, Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu treffen. Es obliege ihnen, „einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur über ein Niveau hinaus zu verhindern, das schwerwiegende und unumkehrbare nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte nach Artikel 8 haben“ könne.

Die wirksame Wahrung dieser Rechte erfordere, dass die Staaten Maßnahmen mit dem Ziel ergriffen, „Klimaneutralität“ zu erzielen. Dies müsse „im Prinzip innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte“ geschehen. In dieser Hinsicht müssten „die Staaten Zielvorgaben und Zeitpläne aufstellen“ als „Grundlage für Abhilfemaßnahmen“.

Dadurch, dass die Schweiz ihre Ziele zur Reduktion von Treibhausgasemissionen in den vergangenen Jahren mehrfach verfehlt habe, habe sie auch Artikel 8 der EMRK verletzt. Die Schweizer Behörden hätten „nicht rechtzeitig und in geeigneter Weise gehandelt, um die entsprechenden Gesetze und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen“.

Das Recht auf ein faires Verfahren habe die Schweiz dadurch verletzt, dass die nationalen Gerichte nur individuelle Beschwerden anerkannt hätten, nicht aber jene des Vereins. Diesem muss die Schweiz nun 80.000 Euro an Gerichts- und Anwaltskosten ersetzen.

SVP wirft EGMR „Ideologie und Realitätsverweigerung“ vor

Zwar haben Urteile des EGMR nur Wirkung für den Einzelfall. Nationale Gerichte, aber auch Vereine wie die Deutsche Umwelthilfe oder Greenpeace, das die Klimaseniorinnen unterstützt hatte, könnten dies als Präzedenzfälle betrachten. Es ist entsprechend auch damit zu rechnen, dass es in weiteren Europaratsmitgliedstaaten wie Deutschland ähnliche Klagen geben wird.

Klimaverbände und linke Parteien feiern das Urteil als wegweisenden Erfolg und fordern jetzt die Regierung auf, ihre Emissionsreduzierungsziele zu überarbeiten. Auch in anderen Ländern hoffen diese nun auf strengere Klimaschutzvorgaben.

Der Nationalrat der „Schweizerischen Volkspartei“ (SVP), Mike Egger, bezeichnete das Urteil hingegen als „lächerlich“. Es sei „immer gefährlich, wenn Gerichte Politik machen“. Die Schweiz habe ihre Emissionsbilanz durch vorausschauende und abgewogene Politik erheblich verbessert. Der Bundesverband der SVP forderte einen „postwendenden“ Austritt der Schweiz aus dem Europarat:

„In den europäischen Gerichtspalästen herrschen offensichtlich Ideologie und Realitätsverweigerung. Die Gerichte haben recht zu sprechen und nicht Politik zu machen.“

Richterliche „Rechtsfortbildung“ illustriert Bedenken gegen internationale Vertragsvorhaben

Das Urteil des EGMR unterstreicht die Bedenken, die Kritiker in den vergangenen Jahren vermehrt gegen vermeintlich unverbindliche oder durch nationales Recht zu konkretisierende internationale Abkommen vorgebracht haben. Beispiele dafür aus jüngster Zeit sind der geplante Migrationspakt der UNO oder der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Auge gefasste Pandemievertrag.

Zwar bieten die Parlamentsvorbehalte auf der Ebene der Gesetzgebung einen gewissen Schutzmechanismus zugunsten des Souveräns der einzelnen Unterzeichnerstaaten. Allerdings bieten die supranationalen Verträge als solche nicht gewählten, aber möglicherweise ambitionierten Richtern die Chance, selbst „Rechtsfortbildung“ zu betreiben. Dies beispielsweise, indem sie die nationale Gesetzgebung für nicht hinreichend vertragskonform erklären.

Der EGMR ist diesbezüglich ein beliebtes Instrument, da seine Urteile auch von nationalen Gerichten gerne als Referenz herangezogen werden. Gerichte könnten auf diese Weise Staaten Handlungsverpflichtungen auferlegen, die auf demokratischen Wege durch Wahlen keine Mehrheiten finden würden. Auf diese Weise ließe sich indirekt Politik der Grünen erzwingen – unabhängig davon, ob diese in der Regierung, in der Opposition oder überhaupt im Parlament sitzen.

Ebenfalls am Dienstag wies der EGMR auch eine „Klimaklage“ portugiesischer Jugendlicher gegen 32 europäische Staaten ab. Diese hatten allerdings nicht, wie vorgesehen, den gesamten innerstaatlichen Instanzenzug ausgeschöpft, bevor sie sich an den EGMR wandten.



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