Studie offenbart: Bislang sind die Klimaziele der EU in weiter Ferne

Eine große Studie zeigt, dass die EU bei ihren bisherigen Bemühungen nicht genug tut. Die Brüsseler Denkfabrik „European Climate Neutrality Observatory“ sieht ihre Untersuchung als Weckruf und fordert mehr Verordnungen.
Steinkohle in einem Heizkraftwerk in Berlin. Insgesamt stammte 2022 mehr als die Hälfte des ins Netz eingespeisten Stroms aus Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Atomkraft.
Steinkohle in einem Heizkraftwerk in Berlin. Noch immer steigen die Subventionen für fossile Energieträger, offenbart eine Studie.Foto: Christophe Gateau/dpa
Von 30. Juni 2023

Europa soll als erster Kontinent bis 2050 klimaneutral sein. Das stellt sich zumindest EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) vor. Doch ihr ehrgeiziger Plan scheint in Gefahr. Der im Dezember 2019 vorgestellte sogenannte „Green Deal“ droht seine Ziele zu verfehlen.

Die Maßnahmen zum Umbau der Wirtschaft, die Energiewende hin zu Sonne und Wind, weg von Gas, Öl und Kohle reichen offenbar nicht aus. Das zeigt nun jedenfalls eine Studie, die der „Welt“ vorliegt.

Umstellung läuft zu langsam

„Das Tempo der Umstellung ist zu langsam“, schreibt die Brüsseler Denkfabrik „European Climate Neutrality Observatory“ (ECNO). Mache die EU weiter wie bisher, so die Experten, werde sie ihre Versprechen nicht erfüllen. Laut „Welt“ handelt es sich um die erste große Studie zu der Frage, ob Europas Wunsch nach Klimaneutralität tatsächlich bis zur Mitte des Jahrhunderts verwirklicht werden kann.

Klimaneutralität bedeutet für die EU: Die Menge der Treibhausgase, die Autos, Fabriken und Kraftwerke ausstoßen, muss wieder eingefangen werden. Entweder mithilfe der Natur, zum Beispiel durch Wälder, Moore und Grasland oder mit technischen Anlagen, die das Kohlendioxid aus der Atmosphäre saugen. Am Ende sollen die Europäer klimaneutral leben und nicht zur Erwärmung der Erde beitragen.

Dutzende Richtlinien und Verordnungen hat die EU geplant oder bereits verabschiedet, um das Ziel zu erreichen. Dazu gehört zum Beispiel das europäische Lieferkettengesetz. Unternehmen sind demnach verpflichtet, darauf zu achten, dass ihre Geschäftspartner Umweltstandards einhalten. Das gilt für die gesamte Wertschöpfung – vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt.

Oder die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Hier müssen sich Firmen für ihr Handeln rechtfertigen und darlegen, wie es sich auf das Klima auswirkt. Und auch eine Verordnung gegen Entwaldung. Ein Unternehmen, das etwa Kaffee oder Kakao in Europa verkaufen will, soll sicherstellen, dass dafür nicht in großem Stil Bäume gefällt werden.

EU soll mehr aufs Tempo drücken

Doch das soll alles noch nicht genug sein, behauptet die ECNO-Studie. So werde aus Europa kein klimaneutraler Kontinent. „Unsere Ergebnisse sind ein Weckruf, dass die EU schneller vorankommen muss“, sagt Eike Karola Velten, die Hauptautorin.

Sie ist auch der Ansicht, dass die EU mehr Daten sammeln müsse, um den Fortschritt besser überwachen zu können. Derzeit sei die Staatengemeinschaft weitgehend im Blindflug unterwegs. So fehlt es bisher tatsächlich an Untersuchungen seitens der Kommission, um das Fortkommen beim „Green Deal“ zu belegen.

In sieben von 13 Bereichen geht es viel zu langsam voran

104 Indikatoren haben sich die ECNO-Wissenschaftler angeschaut. Den Fortschritt haben sie in 13 Kategorien bewertet. Nur in einer einzigen – bei der Governance – sei Europa auf Kurs. So schaffe die Kommission nach Ansicht der Denkfabrik-Wissenschaftler einen guten politischen und rechtlichen Rahmen, um die Energiewende zu ermöglichen. Letztlich sei aber klar: Theorie und Praxis klaffen weit auseinander.

So gehe es in sieben Kategorien „viel zu langsam“ voran. Dazu zählen etwa der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Abbau der fossilen. Die Stromerzeugung mit Öl, Gas und Kohle sinkt der Studie zufolge in der EU nur um 1,3 Prozent pro Jahr.

Um der Zielsetzung gerecht zu werden, wären aber mit 2,5 Prozent fast doppelt so viel nötig. Die neuen Energiequellen aus Wind, Wasser und Sonne wachsen bislang nur 1,5 Prozent. Zum Erreichen der Ziele in 27 Jahren müssten es aber mit 3,2 Prozent mehr als doppelt so viel sein.

In zwei Kategorien gibt es laut ECNO sogar schwerwiegende Probleme. So nahm Europas finanzielle Unterstützung für fossile Brennstoffe zuletzt zu, anstatt ab. 2020 gewährten die EU-Staaten rund 46 Milliarden Euro an Subventionen für die Kohle-, Öl- und Gas-Industrie. Im vergangenen Jahr – nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und der folgenden Energieknappheit – stiegen die Beträge noch, wie die Experten sagen. Um wie viel ist allerdings noch unklar, die Daten für diesen Zeitraum haben sie noch nicht ausgewertet.

Subventionen in fossile Energien steigen weiter

Doch die Internationale Energieagentur schätzt, dass 2022 auf dem europäischen Kontinent 90 Milliarden Euro in fossile Energie investiert wurden. Die Erhebung der Organisation umfasst jedoch nicht nur die EU. Einbezogen sind auch Großbritannien, die Schweiz, Island, Norwegen, die Balkanländer, die Türkei, Israel sowie auch die Ukraine.

Hinter dem Notwendigen bleiben auch die Investitionen in klimafreundliche Technologien zurück. Laut ECNO müsste die EU jährlich 360 Milliarden Euro mehr ausgeben, will sie bis 2050 klimaneutral werden. Das wäre das Eineinhalbfache der derzeitigen Investitionen.

Mehr Subventionen für Öl, Gas und Kohle, zu wenige für Windräder und Solarkraftwerke – das scheint die große Vision von einer Wirtschaft, die keine Netto-Emissionen mehr verursacht, zu gefährden. Pascal Lamy, der ehemalige EU-Kommissar für Handel, sagt mit Blick auf die neuen Erkenntnisse: „Es ist dringend notwendig, die Finanzströme auf saubere Technologien umzulenken, damit Europa die Klimaneutralität bis 2050 erreichen kann.“

Bisher gibt’s nur einen CO₂-Sauger auf Island

Das zweite große Problem Europas ist, dass bisher viel zu wenig Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt wird. Denn das ist die andere Seite der erwünschten Klimaneutralität: Es geht nicht nur darum, Emissionen zu verringern, es muss auch eine gewisse Menge Kohlendioxid wieder eingefangen werden. Doch den Fachleuten zufolge werden in der EU noch immer zu viele Wälder abgeholzt. Die fehlen also, denn sie könnten die Treibhausgase binden.

Derzeit gibt es in Europa nur eine einzige größere technische Anlage, die CO₂ absaugt. Sie gehört der Firma „Climeworks“ und steht auf einem Vulkan in Island. Mit großen Ventilatoren zieht sie jedes Jahr 4.000 Tonnen Kohlendioxid ein und verwandelt es durch einen chemischen Prozess in Stein. „Orca“, so der Name der Maschine, ist nur der Anfang. Es müssten noch viele weitere gebaut werden, um die EU klimaneutral zu machen.

 

 

 



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