Klimaforscher: Vereinte Nationen sollen faule CO₂-Zertifikate vermitteln

Eine Onlineplattform der Vereinten Nationen vermittelt CO₂-Zertifikate. Nun trifft sie der Vorwurf, ein großer Teil hätte keinen Effekt.
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Einen Cent pro Liter Sprit können Shell-Kunden künftig freiwillig mehr zahlen. Das Unternehmen will davon zusätzliche CO₂-Zertifikate zu Zwecken der Kompensation erwerben.Foto: Christophe Gateau/dpa/dpa
Von 4. Februar 2023

Die Vereinten Nationen sollen auf einer eigenen Internet-Plattform unwirksame CO₂-Zertifikate vermitteln. Mehrere Medien haben über Verdachtsfälle berichtet, die unter anderem Länder wie Brasilien und Projekte im dortigen Regenwald betreffen. Neben dem „Guardian“ wollen auch die „Wirtschaftswoche“ und das Onlinemagazin „Flip“ skandalösen Machenschaften auf der Spur sein.

CO₂-Zertifikate sollen nachhaltige Investitionen ermöglichen

Der Erwerb von CO₂-Kompensationszertifikaten soll dazu dienen, den sogenannten CO₂-Fußabdruck eines Unternehmens oder einer Person auszugleichen. Der Kauf dieser Zertifikate soll finanzielle Mittel bereitstellen, um Projekte zur Reduzierung der CO₂-Emissionen oder zur Förderung erneuerbarer Energien zu unterstützen.

Das Geld wird in Projekte investiert, die der Reduktion der Treibhausgasemissionen und der Förderung erneuerbarer Energien dienen sollen. Auf diese Weise sollen heutige Projekte zu einer nachhaltigeren Energieversorgung in der Zukunft beitragen. Unternehmen, die CO₂-Zertifikate erwerben, um ihre Emissionen zu kompensieren, können ihre Produkte als „klimaneutral“ bezeichnen.

Im Fall der nunmehr kritisierten Billigzertifikate soll es sich vielfach jedoch um „Phantomgutschriften“ gehandelt haben, denen keine reale Kohlenstoffreduzierung gegenüberstünde. Auffällig sei bereits ihr Preis im Cent-Bereich, während CO₂-Zertifikate mit Europabezug demgegenüber mehrere Euro kosten.

Unternehmen erwarben Billigzertifikate und priesen sich als „klimaneutral“

Klimaforscher und unabhängige Experten gehen den Berichten zufolge davon aus, dass derzeit erhebliche Mengen unwirksamer UN-Zertifikate im Umlauf seien. Klimaforscher Martin Cames vom Öko-Institut spricht gar von 85 Prozent der UN-Projekte, die falsche Versprechungen über ihre Klimawirksamkeit machten.

Die „Zeit“ und die Journalistengruppe SourceMaterial werfen insbesondere dem weltweit führenden Kohlenstoffstandard-Zertifizierungsdienst Verra vor, Missbrauch zu dulden. Sie schätzen den Anteil der „faulen“ Kompensationsgutschriften mit Regenwaldbezug sogar auf mehr als 90 Prozent. Verra hätte diese im Rahmen ihrer Redd+-Programme zum Waldausgleich demnach nicht bewilligen dürfen.

Zahlreiche international renommierte Akteure wie Gucci, Salesforce, BHP, Shell, easyJet, Leon oder die Band Pearl Jam hätten beispielsweise solche erworben. Einige von ihnen hätten ihre Produkte in weiterer Folge als „klimaneutral“ vermarktet. Verbraucher blieben damit im Glauben, fliegen, neue Kleidung kaufen oder bestimmte Lebensmittel essen zu können, ohne den Klimawandel zu verschärfen.

Dienstleister stellt Genehmigung fauler CO₂-Zertifikate in Abrede

Verra hält die in den Studien gezogenen Schlussfolgerungen unterdessen für falsch und stellt deren Methodik infrage. Seit 2009 seien vielmehr Milliarden Dollar in die lebenswichtige Arbeit zum Erhalt der Wälder geflossen, heißt es vonseiten des Zertifizierungsdienstes.

Robin Rix, Chef der Rechtsabteilung von Verra, erklärte gegenüber dem „Guardian“:

Es ist absolut falsch zu behaupten, dass 90 Prozent der von Verra zertifizierten REDD+-Gutschriften wertlos sind. Der Artikel stützt diese falsche Behauptung auf Hochrechnungen von drei Berichten von zwei verschiedenen Gruppen, die eine kleine Anzahl von Projekten nach ihren eigenen Methoden bewertet haben. Wir werden in Kürze unsere eigene vollständige Bewertung veröffentlichen.“

„Flip“ und die „Wirtschaftswoche“ hingegen verweisen auf ein Staudamm-Projekt in Brasilien, dessen CO₂-Zertifikate ein brasilianisches Unternehmen in dem Onlineshop der UNO anbiete. Nach Angaben verantwortlicher Mitarbeiter des Betreibers wäre der Staudamm auch ohne das Geld aus den Zertifikaten gebaut worden. Das Projekt spare demnach keine zusätzlichen Emissionen ein. Die Zertifikate, die damit in Verbindung stehen, dürften also wertlos sein.

(Mit Material von AFP)



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