Am Neckartor: Steigende Feinstaub-Werte trotz Ausgangsbeschränkung – Stickoxid gleichbleibend

Die ESA meldet sinkende Luftverschmutzung über Europa. Die bodennahen Messwerte aus Baden-Württemberg zeigen jedoch unveränderte Stickoxid-Werte seit Anfang März. Trotz Ausgangsbeschränkung überschritten die Feinstaub-Werte am Neckartor in Stuttgart mehrfach den Grenzwert – insbesondere an warmen Wochenenden.
Titelbild
Autos und Lastwagen fahren an einer Luft-Messstation für Feinstaub und Stickoxide am Stuttgarter Neckartor vorbei.Foto: Bernd Weissbrod/dpa
Von 31. März 2020

Die europäische Raumfahrtagentur (ESA) hat einen europaweiten Rückgang der Umweltverschmutzung gemeldet. Dies haben Daten des Copernicus Sentinel-5P Satelliten ergeben, dessen Messungen einen Rückgang der Stickoxid-Werte über ganz Europa registrierten.

An Deutschlands bekannter Kreuzung „Am Neckartor“ in Stuttgart sprechen die Messwerte eine andere Sprache: Während die NO2-Werte gleich blieben, überschritten die Feinstaub-Werte (PM10) mehrfach die Grenzwerte.

Die Daten der ESA basieren auf Beobachtungen des Kopernikus-Satelliten Sentinel-5P und zeigen „einen starken Rückgang der Stickstoffdioxid-Konzentrationen über mehreren Großstädten in Europa – darunter Paris, Madrid und Rom“, schreibt die ESA. Wissenschaftler des Königlich-Niederländischen Meteorologischen Instituts (KNMI), die die Daten auswerteten, führen den Rückgang auf strenge Maßnahmen und Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie zurück.

Sinkende Stickoxid-Werte in der unteren Atmosphäre

Sentinel-5P erfasst atmosphärische Spurengase mit einer hohen räumlichen Auflösung, erklärt ESA-Missionsleiter Claus Zehner. Im Fokus der Messungen steht die troposphärische Konzentration von Stickstoffdioxid (NO2). Diese unterste Schicht der Atmosphäre reicht bis in eine Höhe von 15 Kilometern über dem Meer und enthält etwa 90 Prozent der Luft. Sie umfasst alle menschlichen Aktivitäten auf der Erde und alle Vorgänge, die das Wetter beeinflussen.

Die Daten von Sentinel-5P zeigen, dass die durchschnittlichen NO2-Werte sinken. Henk Eskes vom KNMI erklärt, warum diese Daten gewählt wurden: „Die Stickstoffdioxid-Konzentrationen variieren von Tag zu Tag aufgrund von Wetteränderungen. Schlussfolgerungen können nicht allein aus den Daten eines Tages gezogen werden.“ Durch die Mittlung der Daten über mehrere Tage werde die meteorologische Variabilität teilweise herausgefiltert und Auswirkungen menschlicher Aktivität sichtbar.

Die Satellitenbilder zeigen die durchschnittlichen troposphärischen Stickstoffdioxid-Konzentrationen vom 14. bis 25. März 2020 (rechts) sowie vom März 2019 (links). Foto: KNMI/ESA

Besonders markant ist der Rückgang über Norditalien ab Mitte/Ende Februar. In dieser Zeit erfolgten die ersten Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie. In Folge der weiteren Ausbreitung kamen Wirtschaft und Industrie in Norditalien schrittweise zum Erliegen. Dies spiegelt sich im weiteren Rückgang der NO2-Werte wider.

Neben Norditalien verzeichneten die Forscher der ESA und des KNMI sinkende NO2-Werte über Paris und Madrid. Andere Länder wie Großbritannien und die Niederlande werden genau beobachtet, heißt es vonseiten der Raumfahrtagentur. Aufgrund größerer Variabilität durch wechselnde Wetterbedingungen seien jedoch weitere Messungen nötig, um die Veränderungen des Stickstoffdioxids über Nordwesteuropa zu bewerten.

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Gleichbleibende NO2-Werte und steigende Feinstaubbelastung in Deutschland

Obwohl die ESA keine konkreten Aussagen über die Luftverschmutzung in Deutschland trifft, ist auf den Bildern und im Video ein Rückgang der Werte zu sehen. Insbesondere an Deutschlands bekannter Kreuzung „Am Neckartor“ in Stuttgart scheint das jedoch nicht zuzutreffen. Trotz Ausgangsbeschränkungen, die in Baden-Württemberg am 16. März in Kraft getreten sind, zeigt sich die Luftverschmutzung unverändert.

Die Stickstoffdioxidwerte scheinen von den Ausgangsbeschränkungen wenig beeindruckt und schwanken unverändert seit Anfang März zwischen 15 und 85 µg/m³ im Tagesverlauf.

Die Messwerte des Landesumweltamtes Baden-Württemberg (LUBW) zeichneten für Feinstaub (PM10) sogar steigende Werte auf. Die Feinstaubbelastung überschritt in den letzten zwei Wochen über 30 Mal kurzzeitig den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³).

Mit 91 µg/m³ erreichte sie am 28.3. den Höchstwert der letzten sechs Wochen und hob den Tagesmittelwert über den Grenzwert.

NO2-Messwerte „Am Neckartor“ in Stuttgart. Foto: Screenshot/LUBW

Feinstaub-Messwerte (PM10) „Am Neckartor“ in Stuttgart. Einzelne Messwerte (unten) dürfen den Grenzwert beliebig oft überschreiten, der Tagesmittelwert (oben) nur an 35 Tagen im Jahr. Foto: Screenshot/LUBW

In beiden Datensätzen ist ein deutlicher Einbruch an den (letzten beiden) Sonntagen zu verzeichnen, sodass natürliche Faktoren, wie Blütenpollen im Feinstaubfilter oder Wetteränderungen, unwahrscheinlich erscheinen.

Am Neckartor: Höchstwerte zur Rushhour und zum Wochenendeinkauf

Trotz Ausgangsbeschränkung und, nach Angaben von Anwohnern, „viel weniger“ beziehungsweise „kaum noch Autos“ am Neckartor, treten die tageszeitlichen Höchstwerte in Zeiten des Berufsverkehrs auf.

Die höchsten Feinstaubwerte traten am Neckartor jeweils Freitag oder Samstag auf. Während unter der Woche die Spitzenwerte zu Arbeitsbeginn um 8 Uhr auftreten, verschiebt sich die Spitze am Samstag (28.3.) auf 11 Uhr (siehe drittes Diagramm, Feinstaub-Messwerte (PM10) „Am Neckartor“ in Stuttgart). Dann fahren die Menschen – nach einem ausführlichen Frühstück – einkaufen oder in den Baumarkt und versorgen sich mit Material für die nächste Woche Heimarbeit/Quarantäne.

NO2-Messwerte „Am Neckartor“ in Stuttgart. Foto: Screenshot/LUBW

Auffallend: Der Spitzenwert am 28. März, etwa gegen 11 Uhr. Gemessen wurden die Feinstaub-Messwerte (PM10) „Am Neckartor“ in Stuttgart. Foto: Screenshot/LUBW

Feinstaubwerte steigen auch in anderen Städten

Auch an anderen Messstellen in Baden-Württemberg zeigt sich ein ähnliches Bild: In allen Teilen des Bundeslandes, in Mannheim, Wertheim, Biberach, Weil am Rhein (bei Basel) und Kehl (bei Straßburg) stiegen die Feinstaubwerte seit der Einführung der Ausgangsbeschränkungen.

In Kehl bei Straßburg ist zudem ein Anstieg der Stickoxidwerte um den 16. März zu beobachten. Bereits am 15. März verkündete die französische Regierung umfassende Einschränkungen.

Sowohl der Anstieg Mitte März in Kehl als auch die tageszeitlichen Schwankungen beweisen, dass der Mensch NOx- und Feinstaubemissionen verursacht. Der fehlende Einbruch in der zweiten Monatshälfte zeigt jedoch, dass weniger Autos weder weniger Stickoxide, geschweige denn weniger Feinstaub bedeuten müssen.



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