50.000 Jahre Sedimente zeigen: Auch die „Erdschieflage“ beeinflusst, wie nass es wird
Mal ist es zu trocken, mal ist es zu nass: Doch wechselnde Niederschlags- und Feuchtigkeitsmengen sind nicht ausschließlich vom Wetter abhängig. Wie Forscher des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) mit ihrer neuen Studie zeigen, trägt auch die Neigung der Erdachse – die Erdschieflage – einen entscheidenden Teil dazu bei.
Wie sich diese in der Erdvergangenheit änderte und welche Folgen sich daraus ergaben, ist eine wichtige Voraussetzung, um zukünftige Veränderungen des Hydroklimas auf der Erde besser abschätzen und bei Modellierungen berücksichtigen zu können.
Dass sich die Feuchtigkeitsmengen in den vergangenen 50.000 Jahren veränderten, zeigte sich den Forschern um Jérôme Kaiser bei einem Blick in Meeressedimentbohrkerne, die vor der Küste von Chile entnommen worden waren.
Ein unsichtbarer Indikator
Immer wieder versuchen Klimaforscher, zukünftige Szenarien möglichst zuverlässig zu modellieren, wobei das Hydroklima ein wichtiger Einflussfaktor ist. Das Hydroklima umfasst die Gesamtheit aller langfristigen Wettererscheinungen einer Region, die über Niederschlags- und Feuchtigkeitsmengen entscheiden.
„Das Hydroklima einer Region zu verstehen oder für die Zukunft modellieren zu wollen, ist alles andere als trivial und mit großen Unsicherheiten verbunden. Denn es ist das Ergebnis eines außerordentlich komplexen Zusammenspiels vieler Faktoren“, erklärt Jérôme Kaiser. „Die Analyse von Veränderungen bis weit in die Vergangenheit des Erdklimas kann helfen, Muster zu erkennen und damit wichtige Einflussfaktoren zu identifizieren“, so der Forscher für Paläozeanographie und Paläoklima weiter.
Dies haben Kaiser und seine Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut, der Universität Bremen und von zwei chilenischen Universitäten in ihrer neuen Studie gemacht. Der Blick in die paläoklimatische Vergangenheit gelang durch die Analyse mehrerer Sedimentkerne aus dem Südpazifik.
„Meeressedimente, die sich im Lauf der Jahrtausende in sehr gut datierbaren Schichten ablagern, sind exzellente Archive, aus denen wir anhand bestimmter Indikatoren – sogenannte Umweltproxies – vergangene Umweltbedingungen auf der Erde rekonstruieren können“, erklärt Kaiser.
Das Forschungsteam um Kaiser konzentrierte sich vor allem auf einen Wert: den Gehalt von Deuterium. Deuterium ist ein natürlich auftretendes Wasserstoff-Isotop in Blattwachsen von Landpflanzen. „Wir wissen, dass unterschiedliche Gehalte sehr viel über die Niederschlagsverhältnisse einer Region aussagen – über Menge und Intensität des Niederschlags, ja sogar darüber, woher die Feuchtigkeit stammt, aus der sich der Niederschlag gebildet hat“, so Kaiser.
Alle 23.000 Jahre wieder
Laut den Forschern lassen sich aus den Bohrkernen klare Muster bezüglich Feuchtigkeitsquellen und Niederschlagsmengen ablesen. Dies sei bemerkenswert, da es in dem Zeitraum von 50.000 Jahren – vom Pleistozän bis zum nacheiszeitlichen Holozän – zu Kalt- und Warmzeiten und somit zu einem stark wechselnden Klima gekommen war.
Im Süden Chiles waren und sind offenbar vorwiegend subantarktische Westwinde die Hauptquelle für Niederschläge, während in den mittleren Breiten Chiles hingegen viel Regen zusätzlich auch aus den Subtropen kommt. Wie viel Niederschlag in den beiden Regionen aus diesen Quellen ankommt, unterliegt über die Jahrtausende hinweg jedoch deutlichen Langzeitschwankungen.
„Für uns war besonders interessant, dass die Schwankungen in Niederschlagsmenge und -intensität markanten zeitlichen Zyklen folgten, die erst durch den langen von den Sedimentkernen abgedeckten Zeitraum sichtbar wurden: In Zentralchile beträgt die Zyklus-Länge 23.000 Jahre, in Südchile dagegen 41.000 Jahre“, hebt Jérôme Kaiser hervor.
Diese zeitlichen Muster korrelieren optimal mit zeitlichen Zyklen von natürlichen Veränderungen der Erdbahn um die Sonne: Im Zuge eines „Präzession“ genannten Phänomens, das mit dem kürzeren Niederschlagszyklus in Zentralchile korreliert, durchläuft die Erdachse eine kegelförmige Rotationsbewegung und verändert damit die Ausrichtung der Erde zur Sonne.
Zusätzlich kommt es zu einer Erdschieflage, was als „Erdachsenneigungsphänomen“ bezeichnet wird. Dieses wirkt sich ebenfalls auf die Ausrichtung der Erde zur Sonne aus und korreliert mit dem längeren Zeitzyklus der Niederschläge im Süden Chiles.
„Beide orbitalen Phänomene beeinflussen die ‚Schieflage‘ der Erde im Verhältnis zur Sonne und damit die Intensität der Sonneneinstrahlung, die in den verschiedenen Erdregionen ankommt. Und dies hat wiederum Folgen für die Winde, die Feuchtigkeit und Regen transportieren“, sagt Kaiser.
Erdschieflage mit Folgen
Dass die orbitalen Schwankungen auch klimatische Folgen haben, vermuten Wissenschaftler schon länger und versuchen, sie in regionalen Klimamodellen zu berücksichtigen.
„Unsere Studie hat jedoch erstmals […] belegt, dass das Hydroklima der mittleren Breiten Chiles auf orbitalen Zeitskalen ganz wesentlich gesteuert wird. Und auch hydroklimatische Extreme in Süd-Zentral-Chile, wie die sehr hohen Niederschlagsmengen während der letzten Eiszeit und die ausgeprägte Trockenheit des frühen Holozäns sind dadurch plausibel zu erklären“, fasst Jérôme Kaiser zusammen.
Der Warnemünder Forscher vermutet jedoch, dass die Extremwetter nicht ausschließlich von der Erdschieflage verursacht werden. Man müsse „die Schwankungen, die auch natürlichen Einflüssen unterliegen, besser verstehen und zudem berücksichtigen, dass sich natürliche und menschengemachte Schwankungen in der Wirkung aufaddieren können. Das gilt auch für Nord- und Mitteleuropa, wo sich die variable Erdbahn natürlich auch klimatisch bemerkbar macht“, so die Forscher.
Die Studie erschien am 29. August 2024 im Fachjournal „Nature Communications“.
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