2.800 Meter Klimageschichte: Historischer Eisbohrkern in der Antarktis gewonnen

Vier Jahre lang hat ein internationales Forschungsteam mit deutscher Beteiligung einen 2.800 Meter langen Eiskern in der Antarktis erbohrt. Der bis zum Grundgestein reichende Eisbohrkern aus dem Projekt Beyond Epica enthält über weit eine Million Jahre altes Eis. In Kürze soll die eiskalte Errungenschaft in Spezialcontainern nach Bremerhaven verschifft werden.
Luftaufnahme Forschungscamp Little Dome C Antarktis.
Luftaufnahme Forschungscamp Little Dome C Antarktis.Foto: PNRA/IPEV
Von 10. Januar 2025

Mit jedem Meter, den das Team um Bohrmeister Matthias Hüther tiefer bohrte, drangen die Forscher weitere zehntausend Jahre in die Geschichte vor – oder besser zurück. Nach über 200 Tagen im ewigen Eis der Antarktis, verteilt auf vier Jahre, erreichten sie das Grundgestein, fast drei Kilometer unter dem Eisschild. Nun ist der historisch einmalige Eisbohrkern aus dem Antarktis-Projekt „Beyond EPICA – Oldest Ice“ geborgen.

„Wir haben einen historischen Moment für die Klima- und Umweltwissenschaft markiert“, kommentiert Carlo Barbante, Koordinator von Beyond EPICA, den Moment. Der Projektname ist eine Homage an den 2004 erbohrten EPICA-Bohrkern, der die Atmosphäre der letzten 800.000 Jahre abbildet. Der neue Bohrkern reicht nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts noch 400.000 weiter zurück „und wahrscheinlich noch darüber hinaus.“

Das internationale Forschungs- und Bohrteam nach Erreichen der 2.400-Meter-Marke im großen Forschungszelt. Foto: PNRA/IPEV

„Dies ist die längste kontinuierliche Aufzeichnung unseres vergangenen Klimas aus einem Eiskern und kann den Zusammenhang zwischen dem Kohlenstoffkreislauf und der Temperatur unseres Planeten aufzeigen“, fasst Barbante, Professor an der Universität Ca‘ Foscari in Venedig und leitendes Mitglied des Instituts für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats von Italien zusammen.

Bis zu 13.000 Jahre pro Meter

Was das in Zahlen bedeutet, erklärt Julien Westhoff, leitender Wissenschaftler im Feld und Postdoc an der Universität Kopenhagen:

Die vorläufigen Analysen von Little Dome C deuten stark darauf hin, dass die obersten 2.480 Meter eine Klimaaufzeichnung enthalten, die bis zu 1,2 Millionen Jahre zurückreicht, und zwar in einer hochauflösenden Aufzeichnung, bei der bis zu 13.000 Jahre in einem Meter Eis komprimiert sind.“

Der Eisbohrkern reicht damit in die Zeit des mittleren Pleistozäns. In jener erdgeschichtlichen Periode verlangsamten sich die Eiszeitzyklen von 41.000- auf 100.000-jährige Intervalle. Erdbahnparameter wie der Neigungswinkel, Sonneneinstrahlung und Eis-Albedo bestimmen diese Zyklen.

Warum sich die Reaktion des Erdsystems plötzlich so verschoben hat, ist jedoch nach wie vor eines der größten Rätsel der Klimawissenschaft. Ein Aspekt, der mit diesem Projekt gelüftet werden soll.

Eis unbekannter Herkunft

Auch wenn erste Teilabschnitte des Bohrkerns bereits im Juli 2024 im AWI-Eislabor in Bremerhaven untersucht wurden, wird bis zur vollständigen Analyse noch eine Menge Wasser die Weser hinabfließen. Der Eisbohrkern befindet sich, wie das Bohrteam einschließlich des Glaziologen Frank Wilhelms, derzeit noch in der Antarktis. Der Kampagnenleiter vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Professor an der Universität Göttingen ergänzte:

Es ist faszinierend, dass wir jetzt wirklich genau dort Eis im Alter zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Jahren erbohren konnten, wo wir es aufgrund unserer Vorerkundungen vorhergesagt hatten: im Tiefenbereich zwischen 2.426 und 2.490 Metern.“

Ein Abschnitt des Eisbohrkerns im Forschungszelt. Foto: PNRA/IPEV

Der Eisbohrkern endete jedoch nicht in dieser Tiefe. Unterhalb des Eises, das die Klimaaufzeichnungen von mehr als 1,2 Millionen Jahren beherbergt, bestehen weitere 210 Meter des Eiskerns über dem Grundgestein aus altem Eis, das stark deformiert, möglicherweise durchmischt oder wieder eingefroren und von unbekannter Herkunft ist. In den untersten Abschnitten des 2.787,73 Meter langen Kerns könnte sogar noch älteres Eis aus der Zeit vor dem Quartär vorhanden sein.

Eis aus fast 2.800 Meter Tiefe. Foto: PNRA/IPEV

So soll der Eisbohrkern dazu beitragen, frühere Theorien über das Verhalten von wieder gefrorenem Eis unter dem antarktischen Eisschild zu überprüfen und die Vergletscherungsgeschichte der Ostantarktis aufzudecken.

An Bord eines Eisbrechers zurück nach Europa

Begonnen, den Eiskern zu erbohren, haben die Forscher im Südsommer 2021/22. Damit liegen insgesamt mehr als 200 Tage erfolgreicher Bohrungen und Eiskernbearbeitungen über vier Feldsaisons hinter den europäischen Teams vor Ort. Ihr Bohrcamp Little Dome C liegt in der rauen Umgebung des zentralantarktischen Plateaus. In einer Höhe von 3.200 Metern über dem Meeresspiegel erreichen die durchschnittliche Sommertemperatur rund –35 Grad Celsius.

Mitten im Nirgendwo der Antarktis: Im Eisbohrcamp werden es auch im Sommer durchschnittlich nur –35 Grad Celsius. Minus. Foto: PNRA/IPEV

Am Eisbohrkern gearbeitet wird im großen Tunnelzelt in der Mitte des Camps. Foto: PNRA/IPEV

Die Reise von der Antarktis nach Bremerhaven ins Eislabor am AWI treten die Forscher Ende Januar per Flugzeug an. Für den Eisbohrkern ist das keine Option.

Für ihn wurden spezielle Kühlcontainer konstruiert, mit denen das italienische Nationale-Antarktis-Forschungsprogramm den Versand an Bord des Eisbrechers Laura Bassi nach Europa plant. Eine logistische Herausforderung dabei wird sein, die Kühlkette von -50 °C aufrechtzuerhalten.

Werden die Abschnitte des Eisbohrkerns nicht benötigt … Foto: PNRA/IPEV

… werden sie in einer Eishöhle gelagert. Foto: PNRA/IPEV

Der Transport nach Bremerhaven erfolgt in Spezialkontainern bei -50 Grad Celsius. Foto: PNRA/IPEV

Sobald die Eiskerne in Europa sind, werde sich das Projekt auf die Analyse der Eisproben konzentrieren, um die Geschichte des Klimas und der Atmosphäre der Erde in den letzten 1,2 Millionen Jahren und wahrscheinlich darüber hinaus aufzudecken.

Bohrmeister vor Ort und AWI-Glaziologe Matthias Hüther freut sich bereits: „Wenn die Kerne im Frühsommer am AWI zur weiteren Bearbeitung in unserem Eislabor in Bremerhaven eintreffen, beherbergen wir viele internationale Fachleute […] und werden gemeinsam sicher noch viele spannende ungeplante Entdeckungen machen.“

Über das AWI

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das WAI ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Das Projekt „Beyond EPICA – Oldest Ice“ wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert und von europäischen Partnern unterstützt.

(Mit Material des AWI)



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