Schutz der Privatsphäre: „Deutschland und Kanada versinken im Sumpf“

Sicherheitsbedenken und technologischer Fortschritt bedrohen Persönlichkeitsrechte
Titelbild
Überwachungskameras der Londoner Polizei. (Daniel Berehulak/Getty Images)
Von und 4. Februar 2008

Der Anschlag auf das World Trade Center zog weltweit Sicherheitsmaßnahmen nach sich. Das führte über die letzten Jahre zu einer immer stärkeren Einschränkung der Privatsphäre. Besonders in den Vereinigten Staaten und Großbritannien wurden zum Schutz der eigenen Grenzen und dem besseren Aufspüren potentieller Terroristen umfassende Überwachungstechniken und Gesetzesänderungen eingeführt.

Auch in Kanada, das bisher – ebenso wie Deutschland – im weltweiten Vergleich mit den besten Schutz der Privatsphäre vorzuweisen hatte, dürfte man sich auf weitere Einschränkungen im Jahr 2008 einzustellen haben. Das Jahr 2007 endete dort mit einer Warnung der kanadischen Datenschutzbeauftragten Jenniver Stoddart, im kommenden Jahr stünde man „vor weiteren Herausforderungen“, die Privatsphäre betreffend. „Wachsende Besorgnis um die nationale Sicherheit, der steigende ‚Appetit’ der Privatwirtschaft nach persönlichen Daten, sowie der technologische Fortschritt sind alles mächtige – und im Wachstum begriffene – Bedrohungen für die Persönlichkeitsrechte“, sagte Stoddart in einer Pressemitteilung.

Nur wenige Tage später veröffentlichte die in London ansässige, international tätige Menschenrechtsorganisation Privacy International (PI), ihren jährlichen Bericht über die Privat – und Menschenrechtslage. Es wurden 47 Länder bewertet, wobei Griechenland, Rumänien und Kanada die besten Noten erhielten. Deutschland rutschte um zwei Kategorien tiefer und befindet sich jetzt hinter Luxemburg, Portugal, Slowenien und Ungarn. In europäischen Vergleich liegt Deutschland somit auf Platz 7. Gründe sind die beschlossene Vorratsdatenspeicherung, die Speicherung von Fingerabdrücken auf Pässen sowie eine der höchsten Zahlen für Abhörmaßnahmen. Im vergangenen Jahr, als PI erstmals mit einem Ranking arbeitete, war Deutschland noch in die zweithöchste Kategorie eingeteilt.

Polizeistaaten und Schurkenstaaten

„Der allgemeine Trend geht dahin, dass die Privatsphäre Land für Land ausgelöscht wird“, sagte der Direktor der Organisation, Simon Davies, bei der Vorstellung des Berichts in London. Selbst Länder wie Deutschland und Kanada, bei denen PI weiter einen starken Schutz der Privatsphäre erwartet habe, würden „im Sumpf versinken“, so Davis.

Großbritannien und die USA wurden gemeinsam mit China, Russland und Singapur in die „schwarze“ Kategorie eingestuft in der Überwachung besonders umfassend ist. Diese Kategorie steht für die „endemischen Überwachungsstaaten“. In den USA wurde besonders das Abhörprogramm kritisiert, mit dem die Strafverfolgungsbehörden ohne Zustimmung eines Richters Telefongespräche und E-Mails von Terrorverdächtigen abhören dürfen.

 In Großbritannien kritisierte PI die geplante Einführung von persönliche Daten speichernden Personalausweisen und das dichte Netz von Überwachungskameras. Allein in London sind rund 10.000 Überwachungskameras in Betrieb. Daher müsste man doch eigentlich annehmen, dass London die sicherste Stadt Europas sei, schreibt das luxemburgische Tagblatt. Ein Zahlenvergleich von vorhandenen Kameras und aufgeklärten Verbrechen zeichne in der Statistik aber ein deutliches Bild des Gegenteils. Kameras, die unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung eingesetzt würden, beschatteten tagtäglich nicht nur das rege Treiben in Londons öffentlichen Strassen, sondern auch die Privatsphäre der Bürger, die so auf Schritt und Tritt verfolgt würden. „Eine Totalüberwachung durch einen Polzeistaat, der jedes Individuum zu kontrollieren beabsichtigt“, so die Zeitung.

Kanada besitzt eine „sehr detaillierte Struktur von Gesetzen“.

Die Sorge um erhöhte Einwanderung und Grenzkontrollen haben viele Länder dazu veranlasst, Datenbanken und Fingerabdruck-Systeme einzuführen. Dazu die Vorsitzende der Sektion „Freedom of Information and Protection of Privacy“ der kanadischen Anwaltskammer und Professorin an der British Columbia‘s Sauder School of Business, Janina Kon: „Wenn der Staat aus Sicherheitsgründen persönliche Informationen der Bürger erhalten will, ist es sehr schwierig, den höchsten Grad an Persönlichkeitsschutz aufrecht zu erhalten.“

Das gute Abschneiden Kanadas beim Schutz der Persönlichkeit vor Zugriffen des Staates führt Kon auf die Existenz einer „sehr detaillierten Struktur von Gesetzen“, sowohl auf Bundes-, als auch auf Provinzebene zurück. Außerdem gäbe es in British Columbia, Alberta und Quebec Gesetze die festlegen, wie Unternehmen mit Informationen, die sie von Privatpersonen sammeln, umzugehen haben. Es gäbe jedoch einen Informationsfluss von Kanada ins Ausland, bei dem, laut Kon, die Privatsphäre nicht annähernd so gut geschützt sei.

Auch Kalifornien und einige andere US-Bundesstaaten besitzen umfangreiche Gesetze zum Schutz der Privatsphäre, die aber vom „Patriot Act“, der nach den Anschlägen vom 9. 11. eingeführt wurde, jeder Zeit außer Kraft gesetzt werden können. „Wir haben eine gemeinsame Grenze, deshalb gibt es eine Menge politischen Druck“, sagte Kon. Sie sehe jedoch nicht, dass es in Kanada jemals eine solch durchschlagende Gesetzgebung geben wird. „In Kanada gibt es weit weniger öffentliche Unterstützung, Persönlichkeitsrechte um der Sicherheit willen zu opfern, und die Regierung weiß das“.

Privacy International stellte in seiner Bewertung 2007 einen vermehrten Trend der Regierungen fest, geographische, Kommunikations- und die Finanzen der Bürger betreffende Daten zu sammeln. „Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass alle Bürger, ganz gleich, welchen rechtlichen Status Sie haben, unter Verdacht stehen“, stellte Ian Kerr, Fachbereichsleiter für Ethik, Recht und Technologie an der Universität Ottawa, fest. Mit der Entwicklung von Computersystemen und Datenbanken dürfte auch die Erosion von Privatrechten zunehmen. Dabei kann es jedoch vorkommen, dass Informationen, die im Interesse der nationalen Sicherheit in solchen Datenbanken gesammelt wurden, gestohlen und für andere als die ursprünglich gedachten Zwecke benutzt werden.

„Wir leben heute in einer Gesellschaftsstruktur, die nach Risiken ausgerichtet ist. Deshalb ist es heute ein gängiges Argument, dass Sicherheitsinteressen über dem Persönlichkeitsschutz stehen müssen“, sagte Kerr.



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