Immer aggressiver: Machen E-Autos die Straßen wirklich sicherer?
Die Zukunft der Mobilität soll elektrisch sein – und wenn möglich unfallfrei. Während ersteres langsamer vonstattengeht als gewünscht, ist die steigende Anzahl an E-Autos für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer hinderlich.
Tatsächlich sind Unfälle mit elektrischen Fahrzeugen meist mit schwereren Folgen verbunden, insbesondere für den Unfallgegner. Zu diesem Ergebnis kommt Jingwen Hu, Professor für Fahrzeugsicherheit an der Universität von Michigan, USA. Sein Spezialgebiet ist die „Biomechanik von Aufprallverletzungen bei Kraftfahrzeugkollisionen“, sprich, welche Kräfte bei einem Autounfall auf den menschlichen Körper wirken.
Finanziert wird seine Forschung unter anderem von der US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit (NHTSA) und großen Autokonzernen wie Ford und Toyota, denen Hus Erkenntnisse nur bedingt gefallen dürften. Sie sind ebenso schlicht wie folgenschwer: E-Autos verbessern den Schutz ihrer Insassen auf Kosten der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer, so seine Kernaussage nach über zwanzig Jahren in der Fahrzeugsicherheit.
Größer, schwerer, … langsamer
Grundsätzlich werden E-Autos und Verbrenner denselben Crashtests unterzogen, erklärt Prof. Hu auf der Wissenschaftsplattform „The Conversation“. Dabei müssen die Fahrzeuge ihre Crash-Tauglichkeit und den Insassenschutz unter Beweis stellen. Aus den Ergebnissen ermitteln beispielsweise NCAP oder Euro NCAP die bekannten Sterne-Bewertungen für Crashtests.
Im Regelfall sitzen dabei Dummys voller Sensoren in den Fahrzeugen. Im Fall von E-Autos beobachten Sicherheitsforscher dabei kein erhöhtes Brandrisiko, dennoch ist die Batterie Dreh- und Angelpunkt der Fahrzeugsicherheit, denn sie ist groß und schwer … und langsam. Prof. Hu schreibt dazu:
„Dank ihrer großen Batteriepakete, die im unteren Teil des Fahrzeugs untergebracht sind, tragen E-Fahrzeuge in der Regel deutlich mehr Gewicht und haben einen niedrigeren Schwerpunkt als herkömmliche Fahrzeuge. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit von Überschlagunfällen, die eine hohe Zahl von Todesopfern fordern, drastisch reduziert. Darüber hinaus ist bei einem Zusammenstoß zweier Fahrzeuge das schwerere deutlich im Vorteil, weil es nicht so abrupt abbremst – ein Faktor, der eng mit dem Verletzungsrisiko der Insassen verbunden ist.“
Die Batterie entscheidet
Letzteres erinnert an den Spruch: „Fallen ist nicht gefährlich, der Aufprall ist es.“ So besagt die Physik, dass sich ein Objekt Veränderungen nach Möglichkeit widersetzt. Die sogenannte Trägheit bewirkt, dass ein sich bewegendes Objekt sich weiter bewegen will und ein stehendes Objekt weiter stehen will. Treffen beide in einem Unfall aufeinander, ist das für mindestens eins von beiden nicht möglich. Je schneller das eine Objekt zum Stillstand kommt – oder je schneller das andere beschleunigt wird –, desto größer sind die wirkenden Kräfte.
„Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem eine kleine Limousine mit einem schweren Lkw kollidiert. Für die Insassen der Limousine besteht in jedem Fall ein höheres Verletzungsrisiko“, erklärt Prof. Hu bildlich.
Da E-Autos aufgrund der schweren Batterie träger sind, dauert der Aufprall länger. Es kommt langsamer zum Stillstand. Diese wenigen Millisekunden reduzieren die wirkenden Kräfte und damit das Verletzungsrisiko. Das Gleiche gilt für die immer beliebteren SUVs, Geländewagen und Pickups. Aufgrund der Fahrzeugmasse sind die Insassen bei einem Unfall tendenziell im Vorteil.
Bezogen auf das Brandrisiko von E-Autos ist noch zu erwähnen, dass sie nicht unbedingt häufiger brennen als Verbrenner. Während letztere jedoch praktisch nur im Betrieb oder durch äußere Einflüsse in Brand geraten, neigen E-Autos aufgrund der Batteriechemie mitunter zur spontanen Selbstentzündung. Außerdem lassen sich E-Autos schwer löschen. Sie brennen also nicht unbedingt häufiger, doch wenn sie es tun, sind die Folgen größer.
Sicher für die einen, aggressiv für die anderen
Die Kräfte, die nicht auf das E-Auto wirken, wirken indes auf den Unfallgegner. Somit bieten die unvermeidlichen Extrakilos moderner Fahrzeuge zwar einen natürlichen Vorteil für den Schutz der Insassen, bedeuten aber auch, dass andere Fahrzeuge – oder Radfahrer und Fußgänger – bei Kollisionen mit schwereren E-Fahrzeugen mehr Energie absorbieren müssen.
Dieses Dilemma ist laut Prof. Hu zentraler Bestandteil der sogenannten Crash-Kompatibilität. Diesbezügliche Studien „messen die ‚Aggressivität‘ eines Fahrzeugs anhand des Schadens, den es anderen Fahrzeugen zufügt, und schwerere Modelle werden fast immer als aggressiver eingestuft.“
Das Gewicht ist jedoch nicht der einzige Grund, warum moderne Fahrzeuge immer aggressiver werden. Besonders für die Fußgängersicherheit spielt die Form der Front eine große Rolle. Hierbei gilt: Hohe und stumpfe Formen – wie sie gerade bei SUVs und Pickups zu finden sind – erhöhen das Risiko für Fußgänger erheblich. So zeigen Untersuchungen des US-amerikanischen Versicherungsinstituts für Autobahnsicherheit (IIHS) von fast 18.000 Kollisionen, dass die bulligen, kantigen Formen das Sterberisiko für Fußgänger um bis zu 45 Prozent erhöhen.
Bei einigen amerikanischen Modellen beginnt die Motorhaube sprichwörtlich auf Augenhöhe. Ein Fußgänger endet im Fall der Fälle damit unmittelbar im Kühlergrill oder unter dem Fahrzeug. Bei der Kollision mit einem anderen Fahrzeug bohrt sich die hohe Front wiederum direkt in die Scheiben, statt in das Metall.
Autos mit flacher, runder Front hingegen treffen Fußgänger im Zweifelsfall unterhalb der Hüfte und die Personen landen mehr oder weniger sanft auf Motorhaube und/oder Windschutzscheibe. Der Aufprall dauert wiederum länger, die Kräfte sind geringer, ebenso das Verletzungs- und Sterberisiko.
Null Unfälle, null Autos?
Neben der Aggressivität „stellt die erhöhte Energie bei einem Aufprall von schwereren E-Fahrzeugen, insbesondere von Elektropickups, die Leitplanken auf Autobahnen vor erhebliche Herausforderungen“, ergänzt Prof. Hu.
Und es gibt noch eine Gefahr, die speziell von E-Autos ausgeht: die hoch gepriesene Lautlosigkeit. „E-Autos, vor allem solche, die bei niedrigen Geschwindigkeiten geräuschlos fahren, [sind] ein erhöhtes Risiko für Fußgänger, Radfahrer und andere Personen, […] die das Herannahen der E-Fahrzeuge möglicherweise nicht hören.“
Letztlich dürfe man angesichts der steigenden Sicherheit in einem E-Auto „die Sicherheitsprobleme, die sie für andere Verkehrsteilnehmer mit sich bringen“, nicht vernachlässigen.
Dennoch ist Prof. Hu zuversichtlich: „Leichte Materialien, leistungsfähigere Sensortechnologien und Sicherheitsalgorithmen, verbesserte Sicherheitsgurte und bessere Airbags“ seien der wichtigste Katalysator für die Überwindung der Sicherheitshürden bei E-Autos. „Die enge Verbindung zwischen Elektrofahrzeugen und den sich rasch entwickelnden Computerkapazitäten“ werde außerdem „die Entwicklung neuer Sicherheitstechnologien wahrscheinlich fördern.“
Ob immer mehr Technik Unfälle aus Unachtsamkeit tatsächlich reduzieren oder die Ablenkung noch weiter vergrößert, kann nur die Zukunft zeigen. Doch selbst dann, wenn Computer zuverlässig jeden Unfall vermeiden könnten, müssten, um dieses Ziel zu erreichen, alle Verkehrsteilnehmer ohne Chip (-Implantat) von den Straßen verbannt werden.
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