Welche Musik erzieht unsere Kinder? (Teil 3)
Die meisten heutigen Musikstile haben aggressive Klangeigenschaften. Musik drückt Emotionen aus und ruft sie auch hervor – wenn aber Musik das kann, dann kann sie es natürlich auch in Bezug auf negative und schädliche Emotionen.
Um die Parallele zu den visuellen und audiovisuellen Gewaltmedien deutlich zu machen, bezeichnet Musikwissenschaftler Dr. Miehling Musik, die aggressive Klangeigenschaften besitzt, als „Gewaltmusik”. Dieser Begriff ist zwar nicht völlig, aber doch weitgehend deckungsgleich mit dem der sogenannten populären Musik: Jazz, Blues, Soul, Pop, Rock, Metal, Techno, Rap, um nur die wichtigsten Stile zu nennen. Der Artikel besteht aus insgesamt vier Teilen: Teil 1, Teil 2, Teil 3. sowie Teil 4.
Wodurch wirkt Gewaltmusik?
Musik wirkt. Sie verändert Gehirne. Sie ist „der stärkste Reiz für neuronale Umstrukturierung, den wir kennen”, wie es der Hirnforscher Eckart Altenmüller in der Zeitschrift GEO formuliert hat (2003/11, S. 68). In der frühen Kindheit, aber auch nochmals in der Pubertät ist das menschliche Gehirn besonders großen Veränderungen unterworfen, d.h. es ist besonders empfänglich für Umwelteinflüsse, und damit auch für die Botschaften der Musik.
Diese Prägung wiederum bestimmt natürlich auch die Persönlichkeit im Erwachsenenalter. Aber was verleiht der Musik, und speziell der aggressiven, der Gewaltmusik, diese Macht?
Gewaltmusik wirkt auf drei Ebenen
Gewaltmusik wirkt auf drei Ebenen: Durch die Klanglichkeit der Musik selbst, durch die Texte, und durch das Vorbild der Interpreten und der zur jeweiligen Musikrichtung gehörenden Subkultur.
Da ist zunächst der permanente „Beat”, der das Gehirn in einen tranceähnlichen Zustand versetzt und somit besonders aufnahmefähig für die in der Musik ausgedrückten Emotionen und Botschaften macht. Zugleich ist dieser „Beat” das perfekte akustische Symbol für Gewalt und Aggression; aber auch elektronisch verzerrte Instrumentalklänge und aggressiver Gesang tragen zum aggressiven Charakter dieser Musik bei.
Der Ausdruck von Hass und Aggression wird zwangsläufig auf den Hörer übertragen. Entweder empfindet er diese Aggression gegen sich selbst gerichtet, dann wird er der Musik zu entkommen versuchen; oder aber, und das ist leider die Reaktion der großen Masse, er identifiziert sich mit dieser Aggression, gerät also selbst in eine aggressive Stimmung. Dies entspricht dem, was Anderson/Gentile/Buckley zur fehlenden Katharsistauglichkeit der meisten aggressiven Medieninhalte festgestellt haben.
Mit der Überbetonung des Rhythmischen wird die „erregungssteigernde Funktion des Rhythmus” in den Vordergrund gerückt, „mit Spannungs- und Entspannungsverhältnissen, die vornehmlich für narzisstische, aggressive und sexuelle Affektregungen charakteristisch sind”. Hier nennt Helmuth Figdor die wesentlichen Parameter, die in Gewaltmusik ausgedrückt, thematisiert und durch sie angeregt werden: Narzissmus (Egoismus), Aggression und sexuelle Erregung.
Liedtexte werden erst in der gewaltmusikalischen klanglichen Umsetzung besonders gefährlich. Dabei können sogar harmlose oder unverständliche Texte als aggressiv (um)gedeutet werden: Der Klang interpretiert den Text. Auch darf man hierbei nicht nur an solch extreme Texte wie die von „Pornorappern” oder vieler Heavy-Metal-Gruppen denken. Zahlreiche in der Diskussion unbeachtete Texte der Gewaltmusik thematisieren in affirmativer Weise Rebellion, Kriminalität, Drogenkonsum und hemmungslose Sexualität, und das ist gewaltmusikalische Tradition von Anfang an.
Die dritte, indirekte Wirkungsweise der Gewaltmusik geht vom Vorbild der Interpreten bzw. der jeweils mit der Musik vermittelten Subkultur aus. So ist es kein Zufall, dass die höchsten Kriminalitätsraten bei Raphörern zu finden sind. Rapmusik ist nicht unbedingt aggressiver als Pop- oder Rockmusik, aber sie stammt aus den kriminellen Subkulturen amerikanischer Großstädte, und viele Rapmusiker sind selbst Kriminelle.
Einige davon fielen sogar Bandenkämpfen konkurrierender Rap-Plattenfirmen zum Opfer: Mindestens 37 prominente Rapper wurden in den letzten Jahren erschossen oder erstochen. Man stelle sich das einmal in der klassischen Musikszene vor! Ein Zufall ist es ebensowenig, dass genau zu der Zeit, als sich die Rapmusik in Europa durchsetzte, die Gewaltkriminalität von Kindern und Jugendlichen in vielen europäischen Staaten dramatisch anstieg.
Motto der Gewaltmusik: „Tu, was Du willst. Nutze alle Mittel”
Die meisten jugendlichen Subkulturen nähren und erhalten sich durch ihre Musik. Wer würde sich hierzulande die kriminelle Subkultur amerikanischer Großstädte mit ihren Bandenkriegen, ihren Drogenhändlern und Zuhältern zum Vorbild nehmen, wenn nicht die Rapmusik wäre? Was wäre der ecstasykonsumierende Partygänger ohne seine Techno- oder Discomusik?
Was wäre der rebellische Autonome, der sich gegen Eltern, Gesellschaft und Gesetz auflehnt, ohne Rockmusik? Nähme man diesen Leuten die Musik weg, was bliebe dann noch? Es ist die Musik, welche diese Subkulturen zusammenschweißt; es ist die Musik, in der sie ihre Vorbilder und Ideologien finden; es ist die Musik, welche die Ideologien immer wieder aufs neue bestätigt und verfestigt.
Zu den Ideologien der Gewaltmusik gehören vor allem zwei Maximen, die in dem sogenannten „Gesetz von Thelema” des Satanisten Aleister Crowley zusammengefasst sind: „Tu, was Du willst. Nutze alle Mittel”. Auch Musiker, die sich nicht ausdrücklich auf den Satanismus berufen, vertreten dieses Prinzip.
Jürgen Laarmann, früher Herausgeber des Techno-Magazins Frontpage, hat es zum Beispiel wörtlich genau so als Botschaft der Technomusik formuliert: „Tu, was Du willst. […] Nutze alle Mittel”. Auch ein geflügeltes Wort der Rap-Szene erinnert daran: „By all means necessary”, d.h. „mit allen erforderlichen Mitteln”. „Tu, was Du willst” – das ist das Prinzip des Hedonismus. „Nutze alle Mittel” – das ist das Prinzip der Gesetzlosigkeit, der Anarchie.
Wie wirkt Gewaltmusik?
Mit dem Hören von Gewaltmusik und dem damit normalerweise verbundenen Interesse für die Interpreten und die jeweilige Subkultur ist ein Lernprozess verbunden: Der Hörer lernt, sich mit den Emotionen der Musik, den Inhalten der Texte, den Verhaltensweisen der Interpreten und den Idealen der entsprechenden Subkulturen zu identifizieren. Je nach dem Umfang des Hörens und je nach den persönlichen Voraussetzungen des Hörers geschieht dies mehr oder weniger schnell und mehr oder weniger weitgehend.
Durch die wiederholte Auseinandersetzung mit gewaltmusikalischen Inhalten – also durch das Hören über Wochen, Monate und Jahre – wird das Gelernte verfestigt, werden die übernommenen Ideologien immer wieder bestätigt.
Verbunden mit diesem Identifikationsprozess ist eine Desensibilisierung gegenüber Gewalt, Kriminalität und übersteigerter Sexualität durch Gewöhnung und Abhärtung, wie sie auch für den Konsum von Gewaltfilmen und Gewaltvideospielen belegt ist.
„Je häufiger Jugendliche straffällig werden […] desto häufiger halten sie sich in der Disco auf”
Der „Beat” führt zu tranceartigen Zuständen, wobei speziell Technomusik mit ihrer extremen Repetitivität tatsächliche Trance erzeugen kann; bekanntlich wird dieser Effekt von vielen Hörern durch die Einnahme von Drogen verstärkt. Doch schon die Musik alleine kann wie eine „psychoaktive Substanz” wirken, wie der Musikpsychologe Günther Rötter sagt. Es werden Hemmschwellen herabgesetzt, das rationale Denken wird ausgeschaltet und die Risikobereitschaft erhöht.
Daher ist es in Diskotheken – oder Clubs, wie sie sich heute meist nennen – besonders leicht, Drogen an den Mann oder die Frau zu bringen und willige Sexualpartner zu finden. Unter der Beschallung mit aggressiver Musik (auch Alkohol spielt oft eine Rolle) sind die Menschen zu Dingen bereit, die sie unter normalen Umständen nicht tun würden
Ein Lehrbuch der Kriminologie fasst Untersuchungsergebnisse der 1970er bis 90er Jahre lapidar zusammen: „Je häufiger Jugendliche straffällig werden […] desto häufiger halten sie sich in der Disco auf” (Hans-Dieter Schwind). Aber welche Eltern wissen das?
Wenn jemand ein bestimmtes Verhalten ausführt, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass er dieses Verhalten abermals ausführt; das ist ein Grundsatz der Verhaltenspsychologie, den wir im Alltag durch viele Gewohnheiten, die wir angenommen haben, gute und schlechte, bestätigt finden. Einmal ist also nicht keinmal, wie eine Redensart uns glauben machen will, sondern meist das erste Mal von vielen Malen.
Ein Beispiel: In der Therapie gegen Phobien geht es bekanntlich darum, das angstbesetzte Verhalten (z.B. eine Spinne anzufassen oder einen Turm zu besteigen) überhaupt erst einmal auszuführen. Wenn man dies einmal geschafft hat, ist der Damm gebrochen. Oder: Der zweite Sprung vom Zehn-Meter-Brett fällt bereits viel, viel leichter als der erste. Nicht anders ist es mit Straftaten und anderen abweichenden Verhaltensweisen: Wer einmal die Schwelle zur Kriminalität überschritten, einmal ein Tabu verletzt hat, der wird es in der Regel immer wieder tun.
Musik löst Hemmungen
Schon bald benötigt man die enthemmende Wirkung der Musik gar nicht mehr: Drogenkonsum, Promiskuität, Unehrlichkeit, Unzuverlässigkeit, Leistungsverweigerung sind zu Persönlichkeitseigenschaften, zum als normal empfundenen Verhalten geworden. Ein von Bob Larson zitierter Rockhörer beschreibt es so: „Ich begann zu beobachten, wie mein Leben von der Musik, die ich hörte, beeinflusst wurde. […] Ich begann zu bemerken, dass ich tolerantere Einstellungen zu Sex und Drogen bekam. Meine Musik verübte an mir nach und nach eine Gehirnwäsche […].”
Robin Denselow bezeugt: „Ein Mädchen sagte, dass Rockmusik sie dazu geführt hatte, promiskuitiv zu sein, und ein junger Mann versicherte mir, dass sein Niedergang begann, als er im Alter von zwölf Jahren anfing, Schallplatten von Barry Manilow zu hören. Dies führte zwangsläufig zu härterer Musik, Drogen, Alkohol und Gewalt.” (Beide Zitate im original englisch, Übers. K. M.).
Anders als diese Hörer bemerken allerdings die Wenigsten, dass Veränderungen, die bei ihnen stattfinden, auf die Musik und deren Umfeld zurückzuführen sind. Eltern und Pädagogen schieben solche negativen Veränderungen gerne auf die „Pubertät”. Nur seltsam, dass die Pubertät bei Jugendlichen, die sich der klassischen Musik widmen, normalerweise weit weniger dramatisch verläuft …
Es mag politisch nicht korrekt sein, das festzustellen, aber es ist Realität: Es gibt gute und schlechte Musik, wobei nicht die künstlerische, sondern die moralische Qualität das Entscheidende ist.
Es gibt Musik, die positive, konstruktive, humane Werte vermittelt, und es gibt Musik, die negative, destruktive, inhumane Werte vermittelt; je nachdem, welche klanglichen Mittel eingesetzt werden. Wer Gewaltmusik produziert, der produziert Aufforderungen zu Straftaten. Natürlich ist trotzdem jeder selbst verantwortlich für das, was er tut.
Aber es ist heuchlerisch, wenn sich Gewaltmusiker und untätige Politiker auf diesen Allgemeinplatz zurückziehen, denn Gewaltmusik überträgt Emotionen der Rebellion, der Aggression, des Hasses und der sexuellen Erregung auf die Hörer. Wer solche Musik verbreitet oder ihre Verbreitung fördert, ist daher mitverantwortlich für die Folgen.
Der Artikel besteht aus insgesamt vier Teilen: Teil 1, Teil 2, Teil 3. sowie Teil 4.
Zitierte Literatur:
Anderson, Craig A. u. Gentile, Douglas A. u. Buckley, Katherine E.: Violent Video Game Effects on Children and Adolescents, Oxford 2007.
Denselow, Robin: When the music’s Over. The Story of Political Pop, London und Boston 1989.
Figdor, Helmuth u. Röbke, Peter: Das Musizieren und die Gefühle. Instrumentalpädagogik und Psychoanalyse im Dialog, Mainz u.a. 2008.
Hopf, Werner H.: „Mediengewalt, Lebenswelt und Persönlichkeit – eine Problemgruppenanalyse bei Jugendlichen“; in: Zeitschrift für Medienpsychologie 16/2004/3, S. 99-115.
Larson, Bob: Larson’s Book of Rock, Wheaton/Ill ²1988.
Roe, Keith: „The School and Music in Adolescent Socialization“; in Lull, James: Listener’s Communicative Uses of Popular Music, S. 140-174.
– ders. (Hg.): Popular Music and Communication, Newbury Park/Calif. u.a. 1987, S. 212-30.
Rötter, Günter: „Musik und Emotion“; in: Motte-Haber, Helga: u. ders. (Hg.): Musikpsychologie, Laaber 2005 = Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft 3, S. 268-338.
Schneider, Mark: Vandalismus. Erscheinungsformen, Ursachen und Prävention zerstörerischen Verhaltens sowie Auswirkungen des Vandalismus auf die Entstehung krimineller Milieus, Diss. Würzburg 2001, Aachen 2002.
Schwind, Hans-Dieter: Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen = Grundlagen 28, Heidelberg 1986, 132003.
Selfhout, Maarten H. W. et al., „Heavy Metal and Hip-Hop Style Preferences and Externalizing Problem Behavior. A Two-Wave Longitudinal Study“, in: Youth & Society 39/2008/4, S. 435-52.
Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft = Transfer ins Leben 1, Stuttgart, Düsseldorf u. Leipzig 2005.
Schumann, Siegfried: „Mit der Persönlichkeit der Bürger wandelt sich die Republik“; in: Psychologie Heute, Okt. 2005, S. 28-31.
Tame, David: Die geheime Macht der Musik. Die Transformation des Selbst und der Gesellschaft durch musikalische Energie, Zürich 1991 (orig.: The Secret Power of Music, o.O. 1984).
Zur vertiefenden Lektüre:
Miehling, Klaus: Gewaltmusik – Musikgewalt. Populäre Musik und die Folgen, Würzburg 2006. Kompakt und aktualisiert als Gewaltmusik – Populäre Musik und Werteverfall sowie Lautsprecher aus! Zwangsbeschallung contra akustische Selbstbestimmung, Berlin 2010.
Dr. Klaus Miehling (geb. 1963 in Stuttgart) promovierte 1993 an der Universität Freiburg i.Br. in Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Historischen Hilfswissenschaften. Er ist sowohl Autor von verschiedenen Büchern wie „Gewaltmusik – Musikgewalt“ als auch Komponist. Er lebt als freiberuflicher Musiker und Musikwissenschaftler in Freiburg im Breisgau. Der Artikel wurde 2009 geschrieben und im Dezember 2018 aktualisiert.
Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Klaus Miehling.
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