Nur positiv getestet oder auch ansteckend?
Inzwischen liegen dem Charité-Virologen Professor Christian Drosten und seinem Team Daten aus sechs Monaten Corona-Pandemie vor. „Wir zeigen jetzt, wie der PCR-Test mit der eigentlichen Infektiosität korreliert. Das heißt, wir können jetzt nicht mehr nur sagen, ob jemand infiziert ist, sondern auch, ob er zum Zeitpunkt des Tests eine infektiöse Virusdosis trug“, erklärt Drosten.
Insoweit sei es jetzt also möglich, dass Labore mit Hilfe der PCR-Tests die Ansteckungsgefahr einschätzen können. Ziel sei es, einen „Korridor“, also einen Richtwert, festzulegen.
Wenn ein PCR-Test viel Virus nachweise, dann sei der Patient mit großer Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Probenentnahme infektiös gewesen. „Wer Kontakt hatte, sollte sofort in Quarantäne“, betont der Virologe. Wenn ein Testergebnis hingegen unterhalb eines bestimmten Korridors liege, sei die Person zwar infiziert, aber nicht mehr infektiös und stelle „eher kein großes Risiko dar“.
Quarantäne auch bei negativem Testergebnis – außer bei Reiserückkehrern
Derzeit wird zwischen positiv getestet und infektiös nicht unterschieden. Wer positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde, muss in Quarantäne, ob er Symptome hat oder nicht. Das gilt auch für die Kontaktpersonen der positiv Getesteten. Daran ändert selbst ein späterer negativer Test nichts. Insoweit teilte Oliver Grimm, Pressesprecher des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gegenüber Epoch Times mit:
„Wenn eine Quarantäne angeordnet wurde, weil eine Person engen Kontakt zu einem bestätigten Fall hatte (sogenannte Kontaktperson der Kategorie 1), dann beträgt die Dauer der Quarantäne grundsätzlich 14 Tage. Sie kann auch nicht durch negative Testergebnisse abgekürzt werden, da – anders als beispielsweise bei der Quarantäne-Pflicht für Reisende aus Risikogebieten – nachweislich Kontakt zu einer infizierten Person bestand.“
Ob zukünftig jedoch nur Personen in Quarantäne geschickt werden, bei denen eine Infektiosität nachgewiesen wird, ist Sache der Zukunft.
Leichtere Handhabung für Gesundheitsämter
Drosten hofft jedenfalls, dass eine Testauswertung mit Infektiosität den Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung von Kontakten helfen werde, oder den Kliniken, die entscheiden müssen, ob sie einen COVID-19-Patienten entlassen können. Im Prinzip könnte eine Gesundheitsbehörde diese Vorgehensweise per Empfehlung schon bald umsetzen. „Wir reden gerade mit dem Robert-Koch-Institut drüber“, sagt der Virologe.
„Aber wir sind ja im Moment in Deutschland gar nicht in der Not.“ Man habe vergleichsweise geringe Neuinfektionszahlen und Zeit, solche Erkenntnisse zu diskutieren und Maßnahmen vorzuhalten für den Moment, „wenn es wieder ernst wird“. Derzeit seien die existierenden Richtlinien „vollkommen in Ordnung“.
Gleichzeitig betont Drosten, dass er keine Empfehlungen gebe. Er berichte Datenstände, aus denen dann andere Empfehlungen formulieren. „Oder die Politik entscheidet gleich auf Basis der wissenschaftlichen Daten“, sagt der Virologe. Er habe vor den Entscheidungen, die die Politik immer wieder treffen müsse, ziemlichen Respekt. „Ich möchte das nicht machen müssen.“
Maskentragen wirkt auch, wenn nicht jeder mitmacht
Anders als in den USA bestehe in Deutschland „eigentlich keine Politisierung der Maske oder des Maskenverweigers“. Die Zahl von Leuten, die sich privat im Alltag darüber aufregen und die vielleicht als Provokation ohne Maske durch den Supermarkt laufen würden, ist nach Drostens Einschätzung gering.
Eine Studie von James Lloyd Smith in Nature habe anhand der Sars-Epidemie 2002 gezeigt, dass zwei verschiedene Sorten von Maßnahmen kombiniert gut funktionieren, führte Drosten aus: eine breit angelegte, die nur etwa 20 Prozent Durchschlagskraft haben muss, also zum Beispiel das Maskentragen, und zusätzlich eine gezielte Maßnahme gegen Cluster, also das Eindämmen von Superspreading-Events, wenn eine Person sehr viele weitere ansteckt. „Das ist auch bei Sars-CoV-2 so. Die Cluster-Kontrolle ist Aufgabe der Gesundheitsämter, das Maskentragen erfordert die Kooperation der Bevölkerung, und es wirkt auch, wenn nicht jeder mitmacht“, erklärt der Virologe.
Anfangs keine perfekten Impfstoffe
Es sei sicher nicht garantiert, dass man im nächsten Jahr gegen COVID-19 impfen könne, aber Drostens Einschätzung ist positiver verglichen mit denen der Zweifler, die hinterfragen, ob jemals irgendein Impfstoff gefunden werde.
„Die ersten Impfstoffe werden wahrscheinlich nicht perfekt sein“, gibt Drosten zu Bedenken. Es könnte schon sein, dass sie nicht so stark wirken, wie man sich das wünsche. Wenn beispielsweise gemeldet werde, dass eine Studie vergrößert wird, könne das auch bedeuten, dass man wohl mehr Menschen impfen müsse, um überhaupt einen Effekt feststellen zu können. Und über seltene Nebenwirkungen könne man jetzt auch noch nichts sagen.
„Aber dass es im nächsten Jahr einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 geben wird, diese Hoffnung habe ich. Darauf basiert unsere gesamte Strategie“, zeigt sich Drosten optimistisch.
Dass derzeit „der Anstieg der positiven Tests ohne gleichzeitige Zunahme von Hospitalisierungen, Intensivbehandlungen und Todesfällen derzeit keine einschneidenden Maßnahmen rechtfertigt“, wie im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (EbM) berichtet wird, sei „richtig – aber auch trivial“. Drosten erklärt:
Hier wird gesagt, die Zahlen rechtfertigten derzeit keine einschneidenden Maßnahmen. Wir aber sorgen uns ja nicht um diese Woche, sondern um den November und den Februar auch noch. Wir müssen vordenken, sonst ist es irgendwann zu spät.“
Netzwerk fordert objektive Berichterstattung und repräsentative Stichproben
Das Netzwerk EbM hatte gefordert, dass die mediale Berichterstattung „unbedingt die von uns geforderten Kriterien einer evidenzbasierten Risikokommunikation beherzigen und die irreführenden Meldungen von Absolutzahlen ohne Bezugsgröße beenden“ solle.
Statt „ungezielter Massentestungen“ wurden gezielte repräsentative Stichproben aus der Bevölkerung gefordert und dass die Testungen auf Hochrisikogruppen beschränkt werden.
Es gebe insgesamt noch sehr wenig belastbare Evidenz, weder zu COVID-19 selbst noch zur Effektivität der derzeit ergriffenen Maßnahmen, heißt es weiter vom EbM. Aber es sei nicht auszuschließen, dass die trotz weitgehend fehlender Evidenz ergriffenen Maßnahmen inzwischen größeren Schaden anrichten könnten als das Virus selbst.
„Jegliche Maßnahmen sollten entsprechend wissenschaftlich begleitet werden, um den Nutzen und Schaden beziehungsweise das Verhältnis von Nutzen und Schaden zu dokumentieren“, fordern die EbM-Experten. Es würden insbesondere randomisierte Studien dringend benötigt, um die politischen Entscheidungen angemessen zu stützen.
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