Klimapolitik: Wer haftet bei simulationsgestützter Politikberatung?

Simulationen sind in manchen Bereichen von Vorteil und können Entwicklungen und Entscheidungen positiv fördern. Allerdings empfiehlt es sich, sichere Simulationen wie im Flugzeugbau von unsicheren wie der Klimavorhersage zu unterscheiden.
Klimapolitik: Wer haftet bei simulationsgestützter Politikberatung?
Wissenschaftler untersuchen in einem Forschungszentrum die Klimaveränderungen.Foto: iStock
Von 5. September 2022

Viele politische Entscheidungen werden heutzutage auf der Grundlage von Simulationen getroffen. Mit Modellen wird simuliert, wie sich das Klima in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnte. Daraufhin bewerten Fachleute, ob diese möglichen Entwicklungen für die menschliche Gesellschaft materielle Schäden bewirken und was ihre Beseitigung kostet.

Ob politische Entscheidungen nutzen, ist jedoch abhängig von der Genauigkeit der Simulationen – und der Interpretation der Ergebnisse durch die Entscheidungsträger, sagt André Thess, Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart in einem Vortrag auf der Tagung „20 Jahre Energiewende – Wissenschaftler ziehen Bilanz“ vom 8. bis 10. Juli 2022.

Politische Entscheidungen in der Klimapolitik und ihre Simulationsgrundlagen

Bisher habe die Politik bereits mehrere Gesetze und Verbote auf der Grundlage von Simulationen beschlossen, auch wenn dies nicht immer auf den ersten Blick zu sehen wäre. Das Verbrennerverbot für die Automobilbranche beruhe auf Lebenszyklusanalysen. Entscheidungen in der Corona-Politik orientierten sich an Simulationen der Virenausbreitung. Andere Beispiele wären der Kohleausstieg, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das Klimaschutzgesetz, denen implizit Klimasimulationen zugrunde lagen.

Um die Glaubwürdigkeit von Simulationen verständlich zu kommunizieren, schlägt Thess eine Einteilung in drei Qualitätskategorien vor – ähnlich den Ratings für Staatsanleihen. Die vorgeschlagenen Kategorien richten sich nach der Höhe der Fehlerquote, der Validierung und des Haftungsgrades.

Simulationskategorie A – validiert und überprüfbar

Die Simulationskategorie A bilde den Goldstandard. Diese Kategorie fände man beispielsweise bei Simulationen in der Aerodynamik. Hier könnten die Entwickler genaue Parameter eingeben, wie etwa Flugzeugform und Fluggeschwindigkeit. Die Modelle berechnen dabei den entsprechenden Auftrieb und Widerstand. Als Methode wird die numerische Lösung der Navier-Stokes-Gleichungen angewendet.

Entwickler können in diesen Modellen sehr gut erkennen, welche Flugzeugformen gut und welche weniger gut funktionieren. Die Validierung findet durch präzise Windkanalexperimente statt. Die Fehlerquote bei dieser Simulationskategorie beträgt weniger als ein Prozent. Der Flugzeughersteller trägt das wirtschaftliche Risiko für Fehlprognosen.

Ein Flugzeug (Symbolbild). Foto: Gulfstream Aerospace Corporation.

Simulationskategorie B – teilweise validiert und überprüfbar

Etwas ungenauer werde es bei der nächsten Kategorie: B. Hier gehe es beispielsweise um die Wetter- oder Klimavorhersage. Dabei müssten die Forscher etliche Anfangsbedingungen berücksichtigen, wie Temperatur, Strömung, Feuchte, Salz, CO₂. In den Simulationen versuchen die Forscher, die zeitliche Entwicklung dieser Größen über Tage und Jahre hinweg, bei Klimasimulationen sogar über Jahrzehnte, vorherzusagen.

Die Validierung für das Wetter fände partiell im Nachhinein statt, entweder anhand der Beobachtung oder mit historischen Daten. Die Fehlerquote betrage bei dieser Kategorie bereits etwa zehn Prozent. Der Deutsche Wetterdienst wie auch Klimaforschungsinstitute sind bei falschen Prognosen nicht zur Haftung verpflichtet. Klimasimulationen können partiell, aber nicht vollständig validiert werden.

Eine simulierte Wetterkarte. Foto: iStock

Simulationskategorie C – nicht validiert

Die Simulationskategorie C treffe beispielsweise auf Energieszenarien zu. Bei diesen versuchen Forscher zum Beispiel anhand vermuteter CO₂-Emissionen im Jahr 2050 einen kostenminimalen Investitionspfad zur Erreichung der Klimaziele herauszufinden. Als Methoden würden meist Optimierungsverfahren angewendet.

Eine Validierung gebe es nicht, denn man könne das Energiesystem eines Landes nicht im Laborexperiment nachstellen. Die Fehlerquote ist zum derzeitigen Zeitpunkt unbekannt. Weder Wissenschaftler noch „Denkfabriken“ würden hierbei zur Haftung gezogen.

Die Entscheidung ist nur so gut wie das schlechteste Modell

Kurz gesagt lassen sich die drei Simulationskategorien wie folgt zusammenfassen: A: vollständig validiert, B: teilweise validiert, C: nicht validiert.

Was folgt daraus für das Klimaschutzgesetz, fragt sich Professor Thess. Viele Milliarden Euro würden gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Klimaschutz eingesetzt. Das Urteil beruhe implizit auf Berechnungen über die Schäden durch den Klimawandel beziehungsweise Wetterextreme (Simulationskategorie B). Dazu kämen noch Klimaschutzkosten (Simulationskategorie C) und Klimaanpassungskosten (Simulationskategorie B) im Zuge der Klimapolitik. Letztlich könne die Entscheidung jedoch nicht besser sein als die unsicherste Simulation. Daraus folge, dass die deutsche Klimapolitik in letzter Instanz durch Simulationen der Qualitätsstufe C begründet werde.

Simulationen und Haftung

Damit simulationsbasierte politische Entscheidungen gerechtfertigt wären, sollten diese laut André Thess einzig auf Simulationen der Güteklasse A aufgebaut werden.

Die Klimasimulationen würden in die Güteklasse B gehören, während Energiewendekostensimulationen in die Güteklasse C einzuordnen seien. Dabei haften die Urheber von Klima- und Energiewendekostensimulationen nicht für ihre Ergebnisse oder deren Folgen.

Inwiefern das mit der „Verantwortung für die künftigen Generationen“ vereinbar sei, sei eine offene Frage. Der geforderte Verzicht auf Entscheidungen auf der Basis von Simulationen der Kategorien B oder C wäre kein Plädoyer für einen vollständigen Verzicht auf wissenschaftliche Politikberatung. Expertenwissen sollte unbedingt in politische Entscheidungen einfließen, jedoch gegebenenfalls ohne das Etikett „simulationsbasiert“, so André Thess, der auch das Buch „Sieben Energiewendemärchen?“ geschrieben hat.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 60, vom 03. September 2022.



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