Abgeschaltete Kernkraftwerke: „Hochleistungs-Stromfresser“ mit gezügeltem Appetit

Kraftwerke erzeugen nicht nur Energie, ihre Anlagen und Steuerung verbrauchen sie auch. Das gilt auch für Kernkraftwerke. Hat sich die Energiepolitik selbst ein Bein gestellt?
Titelbild
Das Kernkraftwerk Gösgen (Schweiz, Symbolbild).Foto: iStock
Von 20. April 2023

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Seit dem Wochenende speisen die deutschen Kernkraftwerke keinen Strom mehr in das Netz ein. Obwohl sie abgeschaltet sind, sind sie jedoch nicht aus. Personal und Material bleiben vor Ort und auch Energie wird noch benötigt, nur erzeugen die Kraftwerke diese nicht mehr selbst.

Das blieb in den sozialen Medien nicht unbemerkt und man macht sich Sorgen, sowohl um die Stromversorgung als auch um die Sicherheit der Kernkraftwerke. Auf Telegram heißt es beispielsweise:

„Viele glaubten, dass ab dem Zeitpunkt der Abschaltung kein Wasserdampf mehr aus dem Kühlturm kommt – das ist falsch. Wenn ein Kernkraftwerk abgeschaltet wird, müssen die Brennelemente noch für mehrere Jahre weiter mit Wasser gekühlt werden. […] Nur mit dem Unterschied, dass das Kernkraftwerk jetzt keinen Strom mehr produziert, sondern mit Strom versorgt werden muss. Mit viel Strom. Und so mutieren die Kernkraftwerke von Hochleistungs-Reaktoren zu Hochleistungs-Stromfressern.“

Eine weitere „Kleinigkeit“ dürfe man laut der Nutzerin nicht vergessen: „Falls die Stromversorgung ausfallen sollte und auch der Notstrom versagt, überhitzten die Brennstäbe.“

„Stromfresser“ mit gezügeltem Appetit – außer beim Personal

Selbstverständlich braucht ein Kraftwerk selbst ebenfalls Energie. Die Leistung für Pumpen, Steuerung und Ähnliches liegt jedoch weit unter der Nennleistung des Kraftwerks.

Epoch Times wollte es genauer wissen und fragte einen, der es wissen muss: Manfred Haferburg. Der in Dresden studierte Kernenergetiker hat nach eigenen Angaben mehr Kernkraftwerke von Innen gesehen als die meisten Menschen von Außen. Im besonders schneereichen Winter 1978/1979 war er Schichtleiter im Kernkraftwerk Greifswald und für rund 1.000 Mitarbeiter verantwortlich. Als meterhoher Schnee das Kraftwerk von der Außenwelt abschnitt, gelang es Haferburg und Kollegen in einer 70 Stunden dauernden Marathonschicht, die Stromversorgung der damaligen DDR aufrechtzuerhalten. Gegenüber Epoch Times erklärte er:

Ein Konvoi-Block, wie er in den drei angeschalteten Kraftwerken Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 bis zum 15. April 2023 in Betrieb war, benötigte „unter Volllast maximal 70 Megawatt Eigenbedarf“. Das entspricht fünf Prozent der Nennleistung von etwa 1.400 MW.

„Unmittelbar nach der Abschaltung sinkt der Eigenbedarf desselben Blocks auf weniger als zehn Megawatt“, fuhr der Kernenergetiker fort. Abhängig von der Zeit reduziert sich dieser Wert weiter. Bezogen auf den Volllastbetrieb beträgt der Stromverbrauch also unter 0,7 Prozent der Kraftwerksleistung. Von einem Hochleistungs-Stromfresser kann demnach nicht die Rede sein.

Obwohl der Eigenbedarf sinkt, kann ein KKW jedoch weder unbeaufsichtigt noch stromlos bleiben. „Solange Brennstoff im Reaktor oder Abklingbecken ist, bedarf es der vollen Mannschaft.“

Größte Energieverbraucher ebenfalls abgeschaltet

Ebenso wie ein Kohle- oder Gaskraftwerk erzeugten die abgeschalteten nuklearen Kraftwerke den Strom nicht direkt, sondern zunächst Wärme. In einem Dampferzeuger – einem großen Schnellkochtopf – wird daraus Dampf erzeugt. Erst dieser treibt die Turbinen an, die wiederum einen Generator drehen. Anschließend gibt es noch einen dritten Kreislauf, der letztendlich im Kühlturm endet.

Aufbau eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor und den verschiedenen Kühlkreisläufen. Foto: San Jose, Niabot (CC BY 3.0)

Sowohl die Verbrennungsprozesse in konventionellen Kraftwerken als auch der nukleare Zerfall erzeugen dabei kontinuierlich Wärme, die abgeführt werden muss.

Die verschiedenen Pumpen sind zugleich die größten Stromverbraucher in einem Kraftwerk im Leistungsbetrieb: Hauptkühlmittelpumpen im Reaktorgebäude, Speisewasserpumpen für den Dampferzeuger, Kondensatpumpen für die Turbine, Kühlwasserpumpen für den Kondensator (nach der Turbine) und Nebenkühlwasserpumpen, um die verschiedenen Pumpen zu kühlen.

Im abgeschalteten Zustand führen Nebenkühlwasserpumpen, Nachkühlpumpen, IT-Steuerung, Ventilsteuerung, Lüftungssysteme und Wasserreinigung die Liste der größten Energieverbraucher an.

Und wenn der Strom ganz weg ist?

Was passiert, wenn diese Systeme nicht mehr mit Strom aus dem Netz versorgt werden können, beispielsweise wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Nichts. Vielleicht ist ein leises Brummen auf dem Gelände des Kraftwerks zu hören. Das ist eines der Notstromaggregate.

„Es gibt vier Notstandsdiesel in den unabhängigen Sicherheitsscheiben, meist noch einen Reservediesel und meist einen mobilen Diesel“, so Haferburg. Diese haben je nach Typ etwa zwölf Megawatt Leistung und entsprechen damit etwa dem Motor eines großen Baggers oder einem kleinen Schiffsdiesel.

Nach Adam Ries wäre damit auch der Eigenbedarf des Kraftwerks unter Volllast gedeckt. Der Kraftstoff vor Ort reicht im Regelbetrieb mehrere Wochen, sodass die abgeschalteten Kernkraftwerke vermutlich mehrere Monate ohne externe Energiezufuhr auskommen.



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