Hospitalisierungsinzidenz: Ein neuer Alarmwert mit Tücken

Ob in ein Bundesland härtere Corona-Regeln durchgesetzt wird, soll künftig anhand einer Kennzahl entschieden werden, bei dem es um die Belastung von Kliniken geht. Doch der Wert ist mit Vorsicht zu genießen.
Titelbild
Leeres Bett in einer Krankenstation. Symbolbild.Foto: iStock
Epoch Times19. November 2021

„Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch“, sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag in Berlin – und forderte schärfere Maßnahmen.

Bund und Länder haben am Donnerstag unter anderem neue Alarmwerte für Beschränkungen fest, die auf der sogenannten Hospitalisierungsinzidenz auf Bundeslandebene beruhen. Aber welche Tücken hat die Zahl?

Größtes Problem ist der Meldeverzug

Das größte Problem bei der Beurteilung der aktuell angegebenen Hospitalisierungsinzidenz ist der Meldeverzug. Der ist deutlich größer als etwa bei den täglich gemeldeten Neuinfektionen. Das heißt: Kommt ein Corona-Patient neu in eine Klinik, kann es dauern, bis das zuständige Gesundheitsamt und nachfolgend das RKI davon erfahren. Dieser Tatsache ist sich das RKI durchaus bewusst: Die Behörde betrachtet den aktuellen Hospitalisierungswert deshalb 14 Tage lang unter Vorbehalt.

Die Hospitalisierungsrate sei weder eine aktuelle Zahl, noch spiegele der Wert die tatsächliche Belastung der Krankenhäuser wider, kritisierte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit Blick auf die Einführung der neuen Grenzwerte.

Abweichung zwischen ausgewiesenen und der tatsächlichen Werten

Auch eine Expertengruppe vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung urteilte Ende Oktober in einem Positionspapier, dass sich die Hospitalisierungsrate nicht als Entscheidungsgrundlage für ein angemessenes Pandemie-Management eigne.

Ihren Berechnungen zufolge habe die Abweichung zwischen der ausgewiesenen und der tatsächlichen Hospitalisierungsinzidenz – mit Nachmeldungen – in den vergangenen Monaten bei rund 48 Prozent gelegen.

Als problematisch erachten Experten auch die Tatsache, dass das Geschehen in den den einzelnen Bundesländern aufgrund der Unterschiede beim Melden kaum miteinander vergleichbar ist. Theoretisch ist es möglich, dass bei einer eigentlich gleichen Rate an Krankenhauseinweisungen die offizielle Inzidenz in einem Bundesland noch im grünen Bereich liegt, während sie in einem anderen bereits deutlich darüber liegt – nur weil ein Land langsamer meldet als ein anderes.

Wie kommt es zu dem Meldeverzug?

Hauptursache ist nach Ansicht der Deutsche Krankenhausgesellschaft ein Defizit in der Erfassung der Daten. „Bis heute gibt es kein digitales Meldeverfahren, in dem die Krankenhäuser täglich über eine Software an die Gesundheitsämter melden“, sagt Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß.

„Das passiert auf Papier, per Fax, und ist der Grund für die teils hohen Unterschiede. Die Realität wird hier nicht immer abgebildet.“ Die Defizite müssten dringend beseitigt werden, um ein einheitliches Meldeverfahren und vergleichbare Hospitalisierungsraten zu bekommen.

Als alleinige Grundlage für die Einführung von strengeren Maßnahmen – also etwa 2G Plus ab einem Wert von 6 – ist die Hospitalisierungsinzidenz vielen Experten zufolge nicht ausreichend. Die Inzidenz der Neuinfektionen müsse ebenso wie die aktuelle Belegung der Intensivstationen mit Covid-Patienten weiterhin als Informationskriterium genutzt werden, um vorausschauend zu planen, sagt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

Patientenschützer Brysch fordert ein „Covid-19-Radar“ für die Kliniken, der tagesaktuelle Parameter in den Blick nehme. Dazu gehörten Corona-Infizierte, Covid-19-Erkrankte, Corona-Verstorbene und die Auslastung aller Stationen. (dpa/dl)



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