Hirnforscher Gerald Hüther appelliert an Eltern: Schenkt den Kindern Zeit und Erfahrungen
Was schenke ich bloß? Und wie viel, wenn der Wunschzettel endlos ist? Vor Weihnachten kennen gerade Eltern diese Fragen. Der Entwicklungsforscher Gerald Hüther appelliert, Kindern Zeit und gemeinsame Erfahrungen anstelle von materiellen Dingen zu schenken.
„Viele Eltern schenken gedankenlos Spielzeug oder Süßes, weil man es immer so gemacht hat und es alle so machen“, sagte Hüther der Deutschen Presse-Agentur. Dies gelte es auch angesichts von Erkenntnissen aus der Hirnforschung zu hinterfragen.
Es habe sich gezeigt, dass Erfahrungen für die Gehirnentwicklung von Kindern maßgeblich seien, sagt der frühere Professor für Neurobiologie der Universität Göttingen. „Diese Erfahrungen werden in Form von Netzwerkstrukturen im Hirn verankert.“ Es gelte, Kinder so zu begleiten, dass möglichst viele dieser Strukturen angelegt würden.
Geschenke als Ersatzbefriedigung
Legten Erwachsene jedoch früh einen Fokus auf Materielles, werde der angeborene offene Blick der Kinder verengt: „Das ganze Denken, Fühlen und Handeln dreht sich dann nur noch darum, was man alles bekommt und was man sich beschaffen kann.“ Durch Besitz glücklich zu werden, sei jedoch ein Irrglaube – und Konsum meist eine Ersatzbefriedigung.
Erwachsene seien sich zudem oft nicht bewusst, welche Absichten hinter ihren Geschenken steckten, bemängelt Hüther. Kinder würden etwa mit pädagogisch wertvollem Spielzeug zum Objekt eigener Erwartungen und Vorstellungen gemacht: Der Schenkende will zum Beispiel erreichen, dass das Kind sich mit einem bestimmten Thema beschäftigt. Oder er will eher sich selbst eine Freude bereiten. Aus Sicht Hüthers ist es für Kinder schädlich, auf diese Weise zum Objekt gemacht zu werden: Grundbedürfnisse nach Geborgenheit und nach autonomen Entscheidungen würden dadurch verletzt.
Verführung statt Entdeckerfreude
Letztlich würden viele Geschenke nach kurzer Zeit weggeworfen, oder sie würden für Kinder schnell uninteressant, weil sie deren Entdeckerfreude wenig förderten, sagt Hüther. In seinem Buch „Was schenken wir unseren Kindern“ beschreibt er die meisten materiellen Geschenke als „fragwürdige Verführungen“, die Kindern die Kraft raubten, ihre Begabungen zu entfalten. Ein Anlass zum Schreiben sei auch der Klimawandel gewesen, der durch Konsum befeuert werde, sagt Hüther. „Es ist Zeit umzudenken.“
Ein besonderes Geschenk, an das Hüther sich bis heute erinnere, sei ein Erlebnis in der Kindheit gewesen: Sein Onkel habe ihm auf einer Wiese Schritt für Schritt gezeigt, wie man Feuer macht. „Dann hat er mich das anzünden lassen, nicht ohne vorher noch einen Eimer Wasser zum Löschen bereitzustellen.“ Wenn er heutzutage beim Laternenumzug Kinder mit LED-Lämpchen sehe, tue ihm das leid: „Das heißt doch, dass man Kindern nicht zutraut, dass sie verantwortungsvoll mit gefährlichen Dingen umgehen können.“
Nach Jahren mit einer Flut an Geschenken auf einen Schlag Leere unterm Baum herrschen lassen – das müsse wiederum auch nicht sein, betont Hüther. „Es geht nicht darum, dass man sofort sein Verhalten ändert. Aber mehr darüber nachdenkt.“ Ein sinnvolles Geschenk sei zum Beispiel ein Gutschein für einen gemeinsamen Radausflug im Frühling. Kinder könnten auch solche Geschenke schätzen lernen.
Geschenke gehört dazu – aber in Maßen
Die Psychologin Svenja Lüthge aus Kiel teilt die Einschätzung, dass Zeit und Aufmerksamkeit für Kinder mehr Wert haben als materielle Geschenke. „Aus der christlichen Tradition heraus, mit der Vorfreude auf Weihnachten während der Adventszeit, finde ich aber, dass ein Herzenswunsch von Kindern auch erfüllt werden sollte“, sagt sie. Es gehe nicht um Masse. Jedoch sei das Schenken etwas Schönes und gehöre zum Fest dazu.
„Eltern dürfen auch gern sagen, dass nicht alles erfüllt werden kann“, sagt die Expertin. Den einen „Herzenswunsch“ müssten Eltern auf langen Wunschzetteln teils auch erst identifizieren: Oft seien es Wünsche, die schon lange und immer wieder geäußert würden. Wenn man sich für weniger oder keine Geschenke entscheide, solle das vorab angesprochen werden, um die Absicht dahinter zu erklären und Enttäuschungen zu vermeiden, sagt Lüthge. „Ich würde solche Sachen immer an den Familientisch holen.“ (dpa)
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