Google Baseline: Was uns blüht, wenn Google „weiß“, was ein gesunder Mensch ist
Google geht in die Genforschung. Ist das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Schon 2007 kommentierte die Kronenzeitung: „Google und Genforschung klingt (…) definitiv nach Frankensteinlabor und Weltherrschaft-an-sich-reißen“. Damals war die Googles Genforschungs-Zweig "23andMe" gerade erst gegründet worden. Die Suchmaschine solle in ein paar Jahren nicht mehr nur Fakten auf Knopfdruck auspucken können, sondern auch Fragen beantworten wie „Was soll ich heute machen?“ oder „Was ist der richtige Job für mich?“, hieß es damals.
Nun kommen wir der Schreckensvision des komplett berechneten Standardmenschen einen gewaltigen Schritt näher:
Unter dem Motto "Baseline Study" will der Internetkonzern mit seinem Forschungsteam „Google X“ den menschlichen Körper bis ins kleinste Detail erforschen. Zuerst werden diesen Sommer genetische und molekulare Informationen von 175 Menschen gesammelt – anonym versteht sich, mit Hilfe einer Firma für klinische Tests. Zu einem späteren Zeitpunkt will Google dann zusammen mit der Stanford-Universität das Erbgut Tausender weitere Personen erforschen und damit das kompletteste Abbild eines „gesunden Mensch“ gewinnen.
Blut, Speichel und Tränen
Noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen. Leiter ist der 50-jährige Molekularbiologe Andrew Conrad, der bereits ein Team von 70 bis 100 Experten aufgebaut hat. Diese kommen aus den verschiedensten Feldern: Von der Physiologie über die Biochemie und Optik bis zu bildgebenden Verfahren. Gearbeitet wird mit Blut, Speichel, Tränen und Urin-Proben, die den Forschern nicht nur alles über die Gene der Studienteilnehmer, sondern auch über das Genom ihrer Eltern verraten. Außerdem werden Informationen zum Nahrungs-Stoffwechsel und zum Herzschlag unter Stress erforscht und wie chemische Reaktionen das Verhalten der Gene ändern.
Google behauptet aktuell, dass „Google Baseline“ auch langfristig keinen Gewinn abwerfen wird. Der Konzern forscht hier also ganz selbstlos zum Wohle der Menschheit und seiner Mission getreu, „alle Informationen der Welt“ zu sammeln und verfügbar machen zu wollen.
Na klar, das menschliche Genom ist eben ein hochkompliziertes, göttlich erschaffenes Wunder und deshalb fällt schon bei der Berechnung einer einzigen Person ein riesiger Datenberg an. Anfang der Nuller Jahre hätte die Sequenzierung eines einzigen menschlichen Genoms noch 100 Millionen Dollar gekostet – nun ist die Technik soweit fortgeschritten, dass man es mal eben für 1000 Dollar pro Person schafft. Schön, dass Google diese Aufgabe jetzt ungefragt übernimmt.
Doch was bedeutet es für uns, wenn Google in Zukunft den „Standardmenschen“ komplett berechnet hat und angeblich weiß, wie das Erbgut eines „gesunden Menschen“ auszusehen hat?
[–Berechnet, sortiert und kontrolliert–]
Der medizinische Nutzen wird aktuell in den Vordergrund geschoben: Hätte man das menschliche Genom erst einmal bis ins kleinste Detail analysiert, könne man doch viel besser Krebs und andere schwere Krankheiten bekämpfen, ja sogar früher erkennen, vielleicht sogar Menschen mit einer bestimmten Veranlagung vorwarnen, so dass sie ihr Leben möglichst gesundheitsbewusst gestalten und die Chance auf längere Lebenserwartung haben.
Das ist die positive Idee. Auf der anderen Seite könnte die Information auch zu genau umgekehrten Schlüssen missbraucht werden. Zum Beispiel würde es Krankenversicherungen und Arbeitgeber sicher sehr interessieren, ob ein Kunde oder Bewerber vielleicht irgendwelche Risiken im Erbgut hat. Denn für sie zählt ja nicht der einzelne Mensch – sondern nur das Konzerninteresse. Was wenn sie ein DNA-Pröbchen mal eben überprüfen lassen könnten – vielleicht auch ohne Kenntnis des Betroffenen, denn DNA-Spuren hinterlässt der Mensch ja schon an dem Wasserglas, dass man ihm beim Bewerbungsgespräch anbietet …
Angenommen, Google würde die Prognose erstellen, dass dieser Mensch nur noch wenige Jahre zu leben hat? Würde er den Job trotzdem bekommen, trotz hoher Risiken in die Krankenversicherung aufgenommen werden, oder im Fall eines schweren Unfalls im Krankenhaus eine exorbitant teure, aber lebensrettende OP bekommen? Was, wenn da ein Mensch in der Notaufnahme im Koma läge und man in Minuten die Auswertung empfinge: „Lohnt sich nicht, stirbt eh in zwei Jahren“. Würden die Ärzte dann nicht gleich zu einem einfühlsamen Gespräch mit den Angehörigen übergehen ihm Stil von: „Hat ihr Verwandter eigentlich jemals mit ihnen über Organspende gesprochen?“
Und Google verwaltet das Ganze …
Wenn der Mensch und sein individuelles Leben in Zukunft zu einem großen Stück berechenbarer werden – und Google ist gerade dabei, diese Vision wahr zu machen – wer verwaltet dann diese Informationen? Wird es auf Erden noch eine Instanz über Google gegeben, die sicherstellt, dass kein Missbrauch geschieht? Wohl kaum, und wenn ja, dann wird diese Elite die Kontrolle über uns haben.
Das Hauptproblem ist aber: Sobald für den „gesunden Menschen“ ein Standard und ein Normbereich existieren, wird alles, was nicht in diesen Normbereich fällt automatisch zum Ausgrenzungsmerkmal und -grund. Wenn dann ein bestimmter, hoher Grad der Abweichung vom „gesunden Normalfall“ erreicht ist, haben wir sie wieder, jene Definition vom „unwertem Leben“. Auch wenn sie in Zukunft einen anderen, beschönigenden Namen tragen wird. (rf)
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