Im Namen von Ideologien und von Machthabern „Wenn das der Führer sähe…“
BERLIN: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „LiteraturSalon im Kant Kino“ werden von der Autorin daraus Auszüge präsentiert. Am Dienstag, 16. Februar 2016 um 20.00 Uhr
„Wenn das der Führer sähe…“ Von der Hitler-Jugend in Filbingers Fänge. Ein deutsch-schlesisches Kriegsdrama. Jacqueline Roussety beschreibt in ihrem wissenschaftlich-literarischen Doku-Roman in schonungsloser Offenheit, welche Auswirkungen der Faschismus auf Familienstrukturen bis heute hat.
Noch während ihrer Arbeit an dem Buch hatte uns Jacqueline Roussety 2014 in einem Interview mit uns über ihre Hauptfigur, den Marinesoldaten Walter Gröger, der noch 1945 hingerichtet wurde, gesagt: „Walter Gröger war zunächst begeisterter Mitmacher, ein Täter, der später zum Opfer wurde. Der Marinerichter Filbinger war in meinen Augen nur Täter. Es gab 2300 Marinerichter und keinem von ihnen ist nach Kriegsende ein Haar gekrümmt worden, keiner war je in der Schusslinie, keiner war auch jemals am Kriegsgeschehen beteiligt mit eigenen Erfahrungen.“
„Und Filbinger war schon in seiner Studentenzeit ein glühender Verehrer des Nationalsozialismus. Er ist auch einer derjenigen gewesen, die danach reibungslos in der Bundesrepublik Karriere gemacht haben. Er ist für mich ganz klar ein reiner Täter. Ich behaupte mal, zunächst waren alle Deutschen Opfer von Hitler, aber irgendwann hätte man auch die Möglichkeiten gehabt, vielleicht etwas zu erkennen. Wie im Fall von Walter Gröger, der irgendwann gesagt hat: ‚Das will ich nicht‘.“
Ein deutscher Ministerpräsident ohne Unrechtsbewusstsein
Professor Dr. Wolfram Wette, Historiker und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung „Opfer der NS Militärjustiz“, schreibt in seinem Vorwort zu „Wenn das der Führer sähe ….“, dass Hans Karl Filbinger derjenige unter den rund 3.000 Militärjuristen der NS-Zeit ist, der in der Bundesrepublik Deutschland die steilste Karriere gemacht hat. Vom Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg musste er zurücktreten, weil er seine Mitwirkung an Todesurteilen leugnete, sie kleinredete und jedes Unrechtsbewusstsein vermissen ließ.
Eines seiner Opfer war der Mannschaftssoldat und Deserteur Walter Gröger. Wenn Filbinger es gewollt hätte, wäre Gröger vermutlich die Todesstrafe erspart geblieben und er hätte gerettet werden können. Doch Gröger wurde verurteilt und erschossen.
Nach 1945 galten Soldaten der Wehrmacht, die sich in den Jahren 1939 bis 1945 dem Vernichtungskrieg entzogen hatten, noch jahrzehntelang als Feiglinge und Verräter. Erst 1998 erfolgte ihre Rehabilitierung durch den Deutschen Bundestag.“
Die Autorin schreibt in der 763 Seiten starken Neuauflage über ihre eigenen Empfindungen:
„Das Bild von Walter Gröger hatte mir mehr zugesetzt, als ich wahrhaben wollte. Mein journalistisches Fieber war entfacht, inzwischen auch meine Verantwortung als Deutsche. Und natürlich drängten sich Episoden aus meiner eigenen Familie in mein Bewusstsein. Wie viel Leid hatten meine Eltern erlebt? Geboren mitten in den apokalyptischen Kriegsjahren, geprägt von Eltern, die in diesem System ihre Bürde aufgeladen bekamen. Diese Last hat bis in meine Gegenwart Schatten geworfen. Die eine Familie glühende Nationalsozialisten, die mir bis zum Schluss hinter vorgehaltener Hand zuraunten: „Der Hitler hat auch viel Gutes geschaffen … Ja, das mit den Juden, das wussten wir nicht.“ Die andere Familie, mitgetrottet in der großen namenlosen Masse derer, die dabei waren, ohne weiter darüber zu reflektieren. „Das war halt so …“
Berührend, fesselnd, lesenswert
Was mir als Rezensentin jetzt mit diesem Buch passierte, war wieder so wie beim ersten Teil, der 2015 als E-Book im frankly Verlag erschienen ist, und der nun mit dem zweiten Teil vereint auch als gedruckte Version im acabus Verlag herauskommt. Ich habe mich stundenlang festgelesen.
Der Erzählfluss von Jacqueline Roussety nimmt sehr schnell gefangen, lässt Bilder entstehen von Zeiten in einem schlesischen Dorf vor dem zweiten Weltkrieg, weckt Gefühle und Gedanken über die Schicksale der Familienmitglieder, und lässt auch nicht nach, wenn es um den Täter und seinen Hintergrund, den Marinerichter Filbinger geht.
„7. August 1978. Am Nachmittag tritt Filbinger von seinem Amt als Ministerpräsident zurück.
Nicht sein schlechtes Gewissen ist jedoch ausschlaggebend, oder gar wirkliche Reue, sondern letztendlich die fehlende Gefolgschaft seiner Partei. Er ist nicht mehr das Leittier der baden-württembergischen CDU. Er jedenfalls meint, es als Rufmordkampagne abstempeln zu müssen. Er empfindet seine Menschenwürde als mit Füßen getreten. Die Würde Walter Grögers wird mit keinem Wort erwähnt. Mal wieder kein Wort der Reue, kein Wort der wirklichen Entschuldigung an die Familie Gröger.“
Was Menschen, die sich nicht kennen, einander antun im Namen von Ideologien und von Machthabern, ist ein Thema, das uns gerade wieder beschäftigt oder beschäftigen sollte. Hoffnungen und Konflikte, Heilsversprechungen und brutale Realtäten, Familiensinn und Kriegsgeschehen, überwunden geglaubt und tief verstörend wieder aufgetaucht.
Eine wirklichkeitsnahe Geschichte, die mehr hergibt als Krimis oder Sciencefiction, berührend und fesselnd geschrieben. Sehr lesenswert.
Rezension von Detlef Alsbach, 2015: Neuer Anlauf zu einer Rezension für Jacqueline Roussety „Wenn das der Führer sähe…“ Band 1
Jacqueline Roussety
„Wenn das der Führer sähe…“
Von der Hitler-Jugend in Filbingers Fänge
Acabus Verlag, 766 S., 27,95 €
Präsentation mit Jacqueline Roussety
Dienstag, 16. Februar 2016 um 20.00 Uhr
Kant Kino, Kantstr.54, 10627 Berlin
Kartenbestellung unter: 030/ 319 98 66
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