Chaotische Eisgittermuster: Die Wiederentdeckung eines uralten Designs
Das chinesische „Binglie“ ist ein kompliziertes Muster, das auf den ersten Blick chaotisch wirkt. Auf den zweiten Blick erinnert es an zerbrochenes Eis, weshalb es auch als Eisgittermuster bezeichnet wird.
Bereits vor über 1.000 Jahren verwendeten die Baumeister und Keramiker des Alten Chinas dieses dekorative Element. So findet sich das Muster vor allem in Türen und Fenstern, aber auch auf Tonwaren wie Tellern und Vasen. Bis heute ist Binglie ein fester Bestandteil der traditionellen chinesischen Architektur.
Von der Natur inspiriert
Wie so häufig erhielten die kreativen Menschen und aufmerksamen Beobachter ihre Ideen aus der Natur. So soll das gebrochene Muster für das Schmelzen des Eises stehen und den Beginn eines blühenden Frühlings symbolisieren.
Auch der gebürtige Inder Dr. Iasef Md Rian war fasziniert von diesem Design. Der Professor für Architektur kam erstmals 2019 mit dem Gittermuster in Kontakt, als er die Fenster mit Holzgittern in den klassischen Gärten von Suzhou, China, sah.
„Klassische Gärten in China kommen mir ganz anders vor als die westlichen, die symmetrischer und organisierter sind“, sagt Rian. „Chinesische Gärten hingegen sind in ihrer Form und Gestaltung natürlicher. Das Eisgittermuster ist eines der Ausdrucksformen.“
Nachdem er sich viele Jahre lang mit fraktaler Geometrie in der Architektur beschäftigt hatte, hegte Rian den Wunsch, auch die Schönheit dieser Muster zu erforschen.
„Mein Geist ist immer auf der Suche nach dieser Art von Inspirationsquelle. Daher war ich sofort motiviert, die den Eisgittermustern zugrunde liegenden geometrischen Regeln zu untersuchen“, sagt er.
Das Chaos hat eine Regel (oder mehrere)
Auch wenn die Muster zunächst chaotisch und ohne jegliche Ordnung erscheinen, sind sie nach einer bestimmten Regel geschaffen. Und diese, so Dr. Rian, ist sogar sehr einfach.
„Nehmen wir Typ 1 als Beispiel: Ein Quadrat wird zunächst in zwei Vierecke unterteilt, und dann wird jedes dieser Vierecke wiederum in zwei Vierecke unterteilt. Bei jedem Schritt sind die Proportionen der unterteilten Vierecke anders, und so entsteht das Zufallsmuster nach einer einfachen Regel“, erklärt der Professor.
Diese Unterteilung lässt sich praktisch mit beliebiger Vielfalt wiederholen und anpassen. Beispielsweise kann aus einem Viereck je ein Dreieck, Viereck und Fünfeck werden, die im Fall des Fünfecks in zwei Vierecke und ein Fünfeck geteilt werden, beziehungsweise ausgehend vom Dreieck, ein Viereck und ein Dreieck ergeben (Typ 4).
„Durch diese Anordnung wollten die chinesischen Handwerker möglicherweise die Festigkeit des Gitters erhöhen. So konnte es auch als Schutzgitter für die Fenster dienen. Die willkürliche Anordnung von Eisgittermustern sorgt für mehrwinklige Verbindungen, die das Fenster in eine Einheit aus sich einander verstärkenden Kräften mit gleichmäßiger Spannungsverteilung verwandeln. Dadurch wird schließlich eine einzigartige Festigkeit erreicht“, so Rian.
Außerdem birgt die von der Natur inspirierte Form einen weiteren Vorteil: Durch ihre Anordnung ist sie überraschend leicht und trotzdem stabil – auch im Fall einer einseitigen Belastung. Dies macht die Struktur zu einem idealen Element für die Konstruktion von Kuppeln und gekrümmten Strukturen.
Dr. Rian ist inzwischen ein Fachmann auf dem Gebiet der Eisgittermuster. Überzeugt von den Vorteilen dieses Designs nahm er diese komplexe Geometrie in seine Lehrveranstaltungen auf, damit Architekturstudenten diese traditionelle Form künftig anwenden können. „Das ist etwas ganz anderes als das, was sie in der Schule gelernt haben“, erklärt Rian.
Wiederentdeckung der Eisgittermuster
Doch der Architekturprofessor ist noch lange nicht am Ende seiner Forschung. In Zukunft möchte er diesen Bereich erweitern und die Wirksamkeit komplexer Geometrie in verschiedenen Bereichen wie Materialdesign im Mikrobereich und Strukturdesign untersuchen.
„Beim Fassadendesign beispielsweise verwenden wir normalerweise konventionelle oder parametrische Geometrie, um regelmäßige Formen zu entwerfen. Die mit komplexer Geometrie entworfenen zufälligen Formen können jedoch einen natürlicheren Eindruck und einen besseren Tageslichteinfall bieten“, so Rian.
Für den Professor ist die Vergangenheit und Geschichte eine ideale Gelegenheit, um seinen Wissenshorizont zu erweitern und zu lernen.
„Jedes traditionelle Design hat eine versteckte Regel in sich. Wir können jetzt digitale Technologien und fortschrittliche Werkzeuge nutzen, um das Wissen über traditionelles Handwerk für zeitgenössisches Design zu erweitern und zu vertiefen. Es gibt viele Inspirationen hinter den traditionellen Designs und dies können wir nutzen, um innovative Designs für die Zukunft zu entwerfen“, so Rian abschließend.
Die Studie erschien im April 2024 in der Fachzeitschrift „Frontiers of Architectural Research“.
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