Pflanzen und Tiere sind Hochwasser nicht ausgeliefert – sie können sie beeinflussen
Zunächst standen die Wissenschaftler im Frühsommer 2013 vor einem Scherbenhaufen. Ihr Forschungsthema änderte sich quasi über Nacht – seither studieren sie die Folgen einer solchen Naturkatastrophe.
„Das sah alles entsetzlich aus“, sagte Anne Ebeling, sie arbeitet am Institut für Ökologie der Universität Jena. Die Wissenschaftler forschen hier seit 2002 über Wechselwirkungen im Ökosystem Wiese, das sogenannte Jena-Experiment hat inzwischen mehr als 200 verschiedenen Parzellen. Oder besser gesagt: hatte.
Die dreckige Brühe blieb mehrere Wochen, an den tiefsten Stellen reichte sie bis über die Wathose. Auf einigen Parzellen spülten die Fluten die ganze Erde weg. „Wir waren schockiert und dachten: Das ist das Aus für das Projekt.“
Als das Wasser weg war, wurden Pflanzenteile geerntet und die Biomasse analysiert, Bodenproben genommen, Stoffwechselaktivitäten gemessen, eingespülte Sedimente genauer unter die Lupe genommen und die verbliebenen Lebewesen bestimmt. Das Ganze verglichen sie mit den zuvor über Jahre gesammelten Daten.
1. Überraschung: Artenreichtum half nicht
Inzwischen sind erste Ergebnisse unter anderem im Journal „Nature Communications“ veröffentlicht. Weitere Fachartikel werden vorbereitet. Dabei hat sich gezeigt: Einige feste Standards der Wissenschaft hat dem Hochwasser nicht standgehalten. Etwa dass artenreichere Wiesen eine solch massiven Störung leichter abpuffern.
„Die Theorie ging bisher davon aus, dass mit der Artenvielfalt die Stabilität der Pflanzengemeinschaft zunimmt“, erklärt Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung mit Sitz in Leipzig. Er spricht von gegenseitigem „Versicherungseffekt“.
Entgegen der bisherigen Lehrmeinung brach auf besonders stark überfluteten Bereichen im Testgebiet die Produktion von Biomasse bei artenreichen Teilen weitaus mehr ein als bei solchen mit nur wenigen Arten. Bei geringer Störung bildeten Wiesen mit vielen verschiedenen Pflanzenarten aufgrund des hohen Nährstoffangebots durch das Hochwasser dagegen viel mehr Biomasse als die Monokulturen.
Bei den Pflanzen wollen die Forscher nachspüren, welche Eigenschaften manche weniger anfällig für das Hochwasser machen als andere – etwa Hohlräume im Stängel, der Aufbau des Wurzelsystems oder besondere Stärke-Speicher.
2. Ein halbes Jahr später: die Ameisen sind auch schon wieder da
Auch Bodenorganismen wie Fadenwürmer und Ameisen haben die Forscher überrascht. Denn sie hatten sich auf den Wiesen nach kurzer Zeit wieder in großer Zahl breitgemacht. „Nach etwa vier bis sechs Monaten waren die Flächen schon wieder etwa genauso dicht besiedelt wie vor dem Hochwasser“, erläutert Eisenhauer. „Ich hätte erwartet, dass das viel langsamer vonstattengeht.“
Die Jenaer Forscher waren verblüfft, dass schon nach kurzer Zeit wieder sehr viele Ameisen auf den Wiesen zu finden waren. „Wir wissen von tropischen Ameisen, dass sie unter Wasser überleben können, indem sie mit ihrem Panzer Nesteingänge verschließen oder luftgefüllte Röhren haben“, erläutert sie. „Für die Ameisen hier ist so etwas nicht beschrieben.“
Bei genauerem Hinsehen habe es aber enorme Verschiebungen bei der Zusammensetzung dieser Gemeinschaften gegeben, die die Forscher nun genauer analysieren wollen. So untersuchen die Forscher, wie die Wiesen wieder von Käfern besiedelt wurden.
„Wir sind davon ausgegangen, dass fast alle durch das Hochwasser abgestorben sind“, sagt Zoologin Ebeling. Doch haben etliche wohl als Larven, Puppen oder Eier im Boden überlebt und waren nach dem Hochwasser bald wieder zu finden. „Ich erwarte, dass sich die Populationen auf artenreichen Wiesen insgesamt schneller erholt haben als bei Monokulturen, weil sie attraktiver für die Tiere sind.“
3. Pflanzen und Tiere beeinflussen Überschwemmungen
In früheren Versuchen hatte ein Team um Anke Hildebrandt von der Universität Jena gezeigt, dass bestimmte Pflanzen und Tiere nicht nur einer Überschwemmung ausgeliefert sind, sondern sie auch beeinflussen können.
Die Aufnahmefähigkeit des Bodens hängt von großen Poren ab, solchen von über einem zehntel Millimeter Durchmesser. Gräser wirken sich demnach negativ auf die Entstehung solcher Poren aus, Regenwürmer, Klee und Lupinen positiv.
Fazit: In der Forschung offen bleiben und neue Wege gehen
„Das Hochwasser war ein riesiger Härtetest und zugleich eine einmalige Chance“, resümiert Eisenhauer. „Das hätten wir nie im Leben simulieren können.“ Zumal Fachleute angesichts des Klimawandels künftig häufiger solche extremen Wetterereignissen erwarten. (dpa/ks)
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