Leben ohne Schmerz – der Afrikanische Nacktmull

Titelbild
Der Afrikanische Nacktmull (Heterocephalus glaber) ist eines der außergewöhnlichsten Säugetiere der Erde. Zu seinen vielen erstaunlichen Besonderheiten gehört, dass er keinen Schmerz empfindet.Foto: Ewan St. J. Smith/Copyright: MDC
Epoch Times7. Februar 2008

Der Afrikanische Nacktmull (Hetero-cephalus glaber) ist eines der ungewöhnlichsten Säugetiere der Erde. Er ist nur 15 Zentimeter groß, kaum behaart, lebt eng gedrängt mit seinen Artgenossen in unterirdischen, stickigen Höhlen und er kennt keinen Schmerz. Was es mit diesem außergewöhnlichen Nagetier auf sich hat, erforschen die Schmerzforscher Prof. Gary R. Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und Prof. Thomas J. Park von der University of Illinois in Chicago, USA.

Die Forscher konnten jetzt zeigen, dass Säure, die im Normalfall starke, schmerzhafte Verätzungen verursacht, Nacktmullen nichts anhaben kann. „Das ist für Wirbeltiere absolut einzigartig“, sagte Lewin. Auch das Capsaicin in Chili-Pfeffer, das normalerweise auf der Haut brennende Schmerzen auslöst, lässt die Tiere kalt. Die Forscher vermuten, dass die extremen Lebensbedingungen die Tiere im Laufe der Evolution unempfindlich gegen Schmerzen gemacht haben.

In früheren Arbeiten hatte Park nachgewiesen, dass Afrikanische Nacktmulle zwei Botenstoffe, die Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten, nicht bilden können: die Substanz P und das Calcitonin Gene related Peptide (CGRP). Doch lässt sich das mangelnde Schmerz-Verhalten der Tiere nicht allein durch das Fehlen dieser Signalstoffe erklären.

Schmerz-Fühler vorhanden

Zwar sind Nacktmulle, wie alle Wirbeltiere, mit Schmerz-Fühlern (Nozizeptoren) ausgestattet. Diese Fühler sind sensorische Nervenzellen, deren Nervenendigungen in der Haut liegen. Sie nehmen potentiell gefährliche Reize auf und leiten sie an das Gehirn weiter, das dem Körper einen Schmerz signalisiert. Schmerz-Empfinden ist im Prinzip für alle Lebewesen überlebens-notwendig, um zum Beispiel gefährliche Situationen vermeiden zu können. Säure zum Beispiel ist ein sehr gefährlicher Stoff, der normalerweise bei allen Säugetieren und damit auch beim Menschen sowie bei Wirbeltieren wie Amphibien und Fischen sehr schmerzhafte Verätzungen und Entzündungen auslöst.

Beim Afrikanischen Nacktmull ist das jedoch völlig anders. Er ist das einzige Wirbeltier, das Säure-Reizungen überhaupt nicht wahrnimmt und auch damit verbundene Entzündungen nicht spürt. Den Schmerz-Forschern in Berlin und Chicago gelang es jetzt, den Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten nachzuweisen. Die Schmerz-Fühler in der Haut der Nacktmullen werden überhaupt nicht aktiviert, wenn sie mit Säure in Kontakt kommen. Auch dann nicht, wenn sie einen pH-Wert von unter 3,5 hat, was der stärksten Säure entspricht, die Chemiker in einem Labor einsetzen.

Heftige Reaktion der Schmerz-Fühler auf Chili-Pfeffer

Im Gegensatz dazu reagieren die Schmerz-Fühler der Nacktmulle auf das Capsaicin in Pfeffer- oder Chili-Schoten sehr heftig. Capsaicin löst normalerweise Brennen und Hitze-Empfinden im Mund aus, wenn man sehr scharf isst, auf der Haut sind hohe Dosen dieses feurigen Stoffs sehr schmerzhaft. Nicht so jedoch beim Afrikanischen Nacktmull. Obwohl Capsaicin auf ihrer Haut die Schmerz-Fühler aktiviert, reagieren die Tiere paradoxerweise überhaupt nicht darauf. Der scharfe Stoff macht ihnen gar nichts aus.

Wie die Forscher jetzt herausgefunden haben, aktivieren bei den Nacktmullen die auf Capsaicin reagierenden Schmerz-Fühler andere Regionen im Gehirn als bei „normalen“ Säugetieren, die über die gleichen Schmerz-Sensoren verfügen. Die beiden Neurobiologen vermuten, dass die Information „Schmerz“ beim Nacktmull entweder ins Leere läuft oder möglicherweise angenehme Gefühle weckt.

Extreme Lebensbedingungen

Weshalb der Nacktmull auf Säure überhaupt nicht reagiert, bei Capsaicin aber sehr heftig und dennoch keinen Schmerz spürt, führen die Forscher auf die Anpassung an seine extremen Lebensbedingungen zurück. Nacktmulle leben in engen, dunklen Höhlengängen in den Halbwüsten Zentralostafrikas dicht gedrängt in Kolonien mit bis zu 300 Tieren. Dadurch ist der Sauerstoffgehalt der Luft sehr gering, der Kohlendioxid-Gehalt hingegen so hoch, dass ein Mensch in dieser Luft kaum überleben könnte. Nacktmulle haben ihren Staat ähnlich wie Bienen oder Termiten organisiert. Sie trinken nicht und ernähren sich nur von Knollen. Auch ist der Nacktmull das einzig bekannte wechselwarme Säugetier. Das bedeutet, er passt seine Körpertemperatur der Umgebung an. Wird ihm zu kalt, muss er sich in wärmere Ecken seiner Höhle verkriechen, ähnlich wie Eidechsen, die zum Aufwärmen in die Sonne gehen. Darüber hinaus werden Nacktmulle im Vergleich zu Mäusen geradezu steinalt. Während Mäuse eine natürliche Lebenserwartung von etwa zwei Jahren haben, können Nacktmulle 25 Jahre alt werden.

Die Schmerz-Forscher weisen darauf hin, dass hoher Kohlendioxid-Gehalt zu einer Daueraktivierung von Schmerz-Sensoren führt. Offenbar ist dieser Mechanismus bei den Nacktmullen aber im Laufe der Evolution stillgelegt worden und sicherte so den Stärksten von ihnen das Überleben. Die Unempfindlichkeit gegenüber Entzündungsschmerz könnte nach Ansicht der Forscher ein Nebenprodukt der Anpassung an die extremen Lebensbedingungen sein.

Jetzt wollen Prof. Lewin und Prof. Park auch die molekularen und zellulären Mechanismen für die Schmerz-Unempfindlichkeit der Nacktmulle erforschen. Sie hoffen, dadurch auch Einblick in die ’normale‘ Schmerz-Wahrnehmung von Säugetieren und damit des Menschen zu gewinnen. (sfr/MDC)



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