Ende der ISS-Mission: Rückkehr nach fast einem Jahr im All
„Wir sehen sie jeden Abend beim Essen“, sagt der Kosmonaut Michail Kornijenko in einer Grußbotschaft von der Internationalen Raumstation ISS. Dann zeigt er auf seinen US-Kollegen Scott Kelly: „Eine Freundschaft im Weltraum ist für immer.“ Kelly wirkt gerührt. Es ist auch ein seltener Gefühlsausbruch für einen russischen Raumfahrer, nach fast einem Jahr ununterbrochen im All. „Nachrichten von der Erde sind wie ein Hauch frischer Luft, wie Vitamine."
Seit Ende März 2015 arbeiten die Männer auf dem Außenposten der Menschheit – im Dienste der Wissenschaft. Nun geht es für Kornijenko (55) und Kelly (52) zur Erde zurück. Dabei wäre er eigentlich auch gerne noch länger geblieben, sagte Kelly kurz vor seinem Rückflug bei einer per Videoschaltung von der ISS übertragenen Pressekonferenz.
„Ich könnte auch noch 100 Tage bleiben, oder auch noch ein Jahr, wenn das sein müsste“, ergänzte der mit verschränkten Armen aufrecht in der ISS schwebende Astronaut. „Es ist nicht so, dass ich hier schon an den Wänden kratze und es gar nicht mehr abwarten kann.“
Rund ein Jahr im Kosmos: So lange lebte noch kein Raumfahrer ununterbrochen auf der ISS rund 400 Kilometer über der Erde. Und nun gleich zwei – ein Russe und ein US-Amerikaner, ausgerechnet in der größten politischen Krise seit dem Kalten Krieg. „Wenn auch die Beziehungen zwischen Russland und den USA einige Schwierigkeiten erlebt haben, wir arbeiten im All erfolgreich Seite an Seite“, sagt Kornijenko.
Auf der Erde kontrollieren Mediziner ständig den Zustand der beiden Langzeitraumfahrer, die doppelt so lange im All sind wie sonstige ISS-Besucher. Die Ärzte interessiert auch, ob die Männer nach der Landung in Kasachstan eigenmächtig ihre Kapsel werden verlassen können. Denn die Jahresmission ist ein Test für einen Flug zum Mars, und dort wird den Ankömmlingen nach monatelanger Reise niemand aus dem Raumschiff helfen. Die permanente Schwerelosigkeit im Weltall schwächt die Muskeln und Knochen erheblich. Aufrecht durch die Gänge laufen Raumfahrer nur in Filmen wie „Raumschiff Enterprise“.
Die ISS sei zwar ein „magischer Ort“, aber das Leben dort auch einschränkend und anstrengend, sagt Kelly. „Man fühlt sich nie ganz normal. Dass alles immer schwebt, macht den Alltag sehr viel schwieriger. Und man hat kein fließendes Wasser – ich fühle mich wie nach einem Jahr Camping im Wald.“
Ein anderes Problem ist der Abbau der Sehqualität. Etwa 70 Prozent der Raumfahrer, die ein halbes Jahr auf der ISS waren und älter sind als 50 Jahre, hätten Sehprobleme, sagt Jörn Rittweger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Viele Brillen mussten nach der Rückkehr angepasst werden – andere Raumfahrer mussten sich erstmals eine verschreiben lassen. Auch Kelly berichtet von Problemen mit den Augen. Ansonsten fühle er sich gesundheitlich aber weitgehend gut.
Im Zentrum der Jahresmission steht die Frage, ob es zwei Raumfahrer so lange miteinander aushalten. „Wegen der Langzeitisolation kann es zu psychosozialen Problemen kommen“, sagt der Moskauer Arzt Juri Bojko. Der Druck während eines Zehn-Stunden-Arbeitstages sei groß, zudem fehle der Kontakt zur Familie. Als privaten Ort hätten die Astronauten nur ihre Schlafkoje. „Am schwierigsten ist es, solange von den Menschen, die einem wichtig sind, isoliert zu sein“, berichtet auch Astronaut Kelly.
Der Kosmonaut Waleri Poljakow aber meint, dass die Probleme zu bewältigen seien. Er muss es wissen: Der Russe stellte 1994/95 auf der sowjetischen Raumstation „Mir“ mit 437 Tagen den Rekord für den längsten Nonstop-Raumflug auf. Damit simulierte er quasi im Selbstversuch einen Flug zum Mars und zurück.
Allein waren Kelly und Kornijenko nicht im All: Die Sollstärke der ISS beträgt sechs Raumfahrer. Mal brachte ein dänischer Kollege von der Erde Lego-Steine mit, ein anderes Mal überraschte ein Kasache die Anwesenden mit Stutenmilch. „Eigentlich war immer etwas los“, sagt Kornijenko. Ebenso wie Kelly absolvierte er auch einen Außeneinsatz. Für die USA ist es die erste Jahresmission überhaupt. Zwei Russen hatte dagegen 1987/88 bereits 365 Tage am Stück im Orbit verbracht.
Für Wissenschaftler ist Kelly aus einem ganz speziellen Grund besonders interessant: Der Astronaut hat einen Zwillingsbruder, ebenfalls ein früherer Raumfahrer. Für die Forschung stellte Mark Kelly in den vergangenen rund zwölf Monaten den idealen Vergleichsprobanden dar. Gemäß der Relativitätstheorie wird Scott in der rund 28 000 Stundenkilometer schnellen Raumstation um drei Millisekunden weniger altern als Mark. Der Effekt vergrößert den Abstand der beiden noch ein kleines bisschen mehr: Mark ist seinem Bruder Scott ohnehin – geburtsbedingt – um sechs Minuten voraus.
Er freue sich auf zu Hause, sagt Scott Kelly bei der Pressekonferenz aus der ISS. Was er – nach zahlreichen Medizinchecks – als allererstes machen wolle? „Ich springe in meinen Pool.“ Danach wolle er weiter für die US-Raumfahrtbehörde Nasa arbeiten und sich stärker für den Schutz der Erde einsetzen, die er nun so lange von oben habe betrachten dürfen. Sagt’s, salutiert zum Abschied – und macht eine schwerelose Rolle rückwärts. (dpa)
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