Europaweit einzigartige römische Waffe aus Haltern am See erstrahlt in neuem Glanz
Europaweit gibt es keine weitere, derartig gut erhaltene Kombination dieses Dolchtyps inklusive Scheide und dem dazu passenden Gürtel. Restauratoren des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster stellten nun in einem aufwendigen Verfahren die kunstvoll verzierte römische Waffe eines Legionärs wieder her.
„Die Entdeckung römischer Blankwaffen bei archäologischen Ausgrabungen ist immer etwas ganz Besonderes. Daher war sofort klar, dass der Dolch und sein Gürtel so gut wie möglich untersucht und restauriert werden mussten“, erklärte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger in einer Pressemitteilung.
„Hinter jeden Archäologen, der nach Funden gräbt, steht ein Restaurator, der die Funde so wiederherstellt, dass die Museen diese vorzeigen können“, erklärt die Forscherin weiter. Der umfassenden Restaurierung sei zu verdanken, dass Dolch und Gürtel ihr ursprüngliches Aussehen nahezu vollständig zurückgewonnen hätten.
Römische Waffe erstrahlt in neuem Glanz
Auf den ersten Blick fallen die zahlreichen Verzierungen an Griff und Scheide auf, die sich vor allem auf der Vorderseite befinden. Dazu zählen die vielen silbernen Linien und Flächen, die in die Eisenbleche eingearbeitet sind. Sie ergeben Muster aus Rauten, Halbmonden und Blättern.
Es handelt sich dabei um sogenannte Tauschierungen. Bei dieser Technik wurden zuerst Vertiefungen in die Bleche geschnitten oder geschlagen. Diese Vertiefungen wurden anschließend mit feinen Drähten und dünnen Blechen aus Silber und Messing ausgelegt. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass einige Silberfäden aus nur 0,15 bis 0,2 Millimetern starken, in sich gedrehten Blechstreifen hergestellt wurden.
Darüber hinaus besitzt die römische Waffe Einlagen aus rotem Email und ebenfalls rotem, echtem Glas. Email ist eine Mischung verschiedener Mineralien, die bei hohen Temperaturen in die Vertiefungen eingeschmolzen werden und ein glasähnliches Material ergeben.
„Natürlich können wir ein 2.000 Jahre altes Objekt nicht wie neu erscheinen lassen“, schildert LWL-Restaurator Eugen Müsch. „Die Vielfarbigkeit von Schwarz, Silber, Rot und Gold entspricht jedoch weitgehend der einstigen Optik.“
Bei aller Schönheit der Waffe betont Müsch: „Es geht nicht in erster Linie darum, Objekte mit antiquarischem Wert zu erstellen, sondern um die Gewinnung von Informationen.“ Um wichtige Hinweise auf die Konstruktion und den Zustand der Funde zu erhalten, wurden der Dolch und der Gürtel vor der Restaurierung geröntgt und computertomografisch untersucht.
Dolch im CT
Während gewöhnliche Röntgenaufnahmen nur zweidimensionale Bilder erzeugen, bilden Computertomografen die Objekte in vielen Schichten ab. Diese können die Forscher dann einzeln betrachten. „Anhand der CT-Aufnahmen konnten wir zum Beispiel erkennen, dass der Griff aus zahlreichen einzelnen Bauteilen aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt ist, die mit acht Nietstiften verbunden werden“, so Müsch.
„Außerdem geben die Bilder Auskunft über die Erhaltung der Tauschierarbeiten und den Zustand der zahlreichen Einlagen. Diese Informationen sind für die anschließende Restaurierung von großer Bedeutung“, erklärt der Restaurator weiter. Darüber hinaus ergab die CT-Messung, dass die Klinge des Dolches aus unterschiedlichen Stählen besteht, die im Schmiedefeuer miteinander verschweißt wurden.
Auch der Gürtel besteht aus zahlreichen Elementen. Das Leder war dicht besetzt mit Plättchen aus Bronze oder Messing. Um den Eindruck von teurem Silber zu erwecken, waren die Metallplättchen mit Zinn überzogen. Der Gürtel verfügt über zwei Haken, in die der Besitzer seinen Dolch mit Hilfe von Lederschlaufen einhängen konnte. Es sind noch Teile des Gürtelleders erhalten, die sogar noch Nähte erkennen lassen. Als Garn wurde Flachs verwendet.
„Naturwissenschaftliche Untersuchungen und interdisziplinäres Arbeiten sind heutzutage notwendige Voraussetzungen für jede Forschung“, erläutert Prof. Michael Rind, Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen. So besteht die Dolchscheide aus einem hölzernen Kern. Untersuchungen der Universität zu Köln ergaben, dass es sich hierbei um Lindenholz handelt. Auch die genaue chemische Zusammensetzung der Metalle und der Glaseinlagen wurde analysiert.
Grabung in Haltern
Im April 2019 entdeckte der 19-jährige Praktikant Nico Calmund Dolch und Gürtel bei einer gemeinschaftlichen Ausgrabung mit der Universität Trier im römischen Gräberfeld von Haltern am See.
Die Bewohner des Militärlagers bestatteten ihre Toten vor 2.000 Jahren vor allem in Urnengräbern, die von einem Hügel umgeben waren. Zur großen Überraschung der Ausgräber lagen die beiden Fundstücke aber nicht im Grabhügel selbst. Stattdessen befanden sich die Funde in der Verfüllung eines Grabens, der als Umfassung des Hügels diente.
„Für eine klassische Grabbeigabe ist dieser Fundort sehr ungewöhnlich“, so LWL-Römerexpertin Dr. Bettina Tremmel. Wie die beiden Objekte in den Graben gelangten, ist archäologisch nicht eindeutig zu klären.
„Ein zufälliger Verlust der kostbaren Waffe samt Gürtel an dieser Stelle scheint unwahrscheinlich. Denkbar wäre zum Beispiel, dass der Dolch nach der Bestattung im Gedenken an den hier bestatteten Kameraden niedergelegt wurde – aber das ist reine Spekulation.“
Ohne Zweifel ist jedoch, dass der Dolch aus Haltern zu den bedeutendsten Funden seiner Gattung in Europa gehört. „Die Kombination aus vollständig erhaltener Klinge, Scheide und Wehrgürtel inklusive der wichtigen Informationen über die genaue Fundlage sind bisher ohne Vergleich“, bestätigt LWL-Chefarchäologe Rind.
Römische Waffe und ihre mühsame Restaurierung
Die Restaurierung von Dolch und Gürtel hat ein dreiviertel Jahr in Anspruch genommen. Vor allem die Restaurierung von Eisen in Kombination mit anderen Materialien ist aufwendig, da das Material dicke Korrosionsschichten bildet. Durch eine Kombination von Schleiftechniken und Sandstrahlen hat der Restaurator diese Korrosionsschichten Stück für Stück abgetragen. Nur so gelangte er wieder an die Originaloberfläche, die im Falle des Dolches allerdings ebenfalls von Eisenkorrosion betroffen war.
Die Herausforderung lag für Müsch darin, dass diese Schichten nur minimale Härte- und optische Unterschiede aufwiesen. Zugleich bewirkten Korrosionsblasen räumliche Verwerfungen, die er soweit möglich korrigierte.
„Man kann sich das so vorstellen, dass die Originaloberfläche auf unterschiedlichen Ebenen liegt – einfaches Abschleifen ist da nicht möglich. Wenn man bedenkt, dass die Silberverzierungen stellenweise nur 0,15 bis 0,3 Millimeter sind, wird klar, wie vorsichtig man arbeiten muss“, beschreibt Müsch.
Bewegte Vergangenheit
Müsch gelang es zudem im Zuge der Restaurierung, den Dolch unbeschadet aus der Scheide zu nehmen. Dieser Eingriff ermöglichte zum einen Einblicke in die Scheidenkonstruktion. Zum anderen bot sie die Möglichkeit, die charakteristisch geschweifte Klinge mit den eingearbeiteten Blutrinnen näher zu beurteilen.
So mühevoll die Restaurierung derartiger Funde auch ist, so offenbart sie doch viele Details. Ein Beispiel hierfür sind deutliche Gebrauchsspuren am Dolch. Bereits während seiner Nutzung gingen einige Silbereinlagen verloren. Auf der Knaufvorderseite wurden Fehlstellen nur noch mit Messing statt Silber ersetzt. Vor allem der Abrieb an den Ringen und Einhängeösen spricht für eine längere Nutzungsdauer.
Das LWL-Römermuseum in Haltern möchte den Dolch und sein Waffengürtel ab März 2022 im Zuge der archäologischen Landesausstellung Nordrhein-Westfalen ausstellen. Unter dem Oberthema „Roms fließende Grenzen“ beleuchten fünf Museen den niedergermanischen Limes und die umliegende Region.
Hintergrund und wissenschaftliche Einordnung
Bei der gefundenen Waffe handelt es sich um einen römischen Militärdolch, lateinisch „Pugio“. Fußsoldaten trugen und nutzten diese römische Waffe im Nahkampf.
Anhand der schmalen Klingenform und der Konstruktion lässt sich der Halterner Fund eindeutig den frühesten römischen Militärdolchen vom Typ „Vindonissa“ zuordnen. Ein vergleichbarer Dolch war bereits 1967 in Haltern gefunden worden – allerdings ohne Scheide und Gürtel.
Waffen dieses Typs waren vor allem in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Christus in Gebrauch. Sie kommen in einem Gebiet vor, dessen Zentrum sich von Norditalien bis zur Rheinmündung erstreckt. Weiterhin umfasst der Bereich auch den südlichen Teil der britischen Inseln.
(Mit Material des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe)
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