Die Evolution als Flickschuster – ein bislang unbekannter Weg, wie neue Gene entstehen
Bestimmte Zellbestandteile, etwa die Chloroplasten und Mitochondrien, verfügen über eigenes genetisches Material. Sie stammen von ehemals freilebenden Cyanobakterien oder Proteobakterien ab, die vor Jahrmillionen von Wirtszellen aufgenommen wurden. Mittlerweile aber liegt der Hauptteil ihres genetischen Materials im Zellkern.
In einer kürzlich in der Fachzeitschrift „Trends in Genetics“ erschienenen Arbeit zeigt ein Team um Professor Dario Leister, Lehrstuhl für Botanik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, dass durch Übernahme, Anpassung und Veränderung des genetischen Materials der Organellen neue zelluläre Gene entstehen können.
Obwohl die betreffenden Zellbestandteile schon lange ihre genetische Unabhängigkeit verloren haben, erfüllen sie immer noch essentielle Aufgaben. Die Chloroplasten etwa betreiben Photosynthese, erzeugen also aus Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid den Energieträger Zucker sowie Sauerstoff.
Ein internationales Forscherteam unter Leisters Leitung hat nun ein zentrales Protein der Photosynthese identifiziert. Wie in der aktuellen Ausgabe von „Cell“ berichtet, handelt es sich bei PGRL1 vermutlich um eine lang gesuchte, zentrale Komponente eines Multiproteinkomplexes, der eine Variante des photosynthetischen Reaktionsprozesses, den zyklischen Elektronentransport, ermöglicht und reguliert.
Die Zellen höherer Organismen enthalten als wichtige Bestandteile die Energie erzeugenden Mitochondrien; Algen und Pflanzen besitzen zusätzlich Plastiden, etwa die Chloroplasten. All diese Zellorganellen stammen von Einzellern ab, die von anderen Zellen aufgenommen wurden und Schritt für Schritt ihr genetisches Material, das Erbmolekül DNA, zu großen Teilen an den Wirt übergaben. Dieser Transfer geschah vor allem in der frühen Phase der gemeinsamen Evolution. Dabei wurden auch vollständige Gene übertragen, also für Proteine kodierende DNA-Abschnitte, und in das genetische Material des Wirts integriert. „Derartige Transfers kompletter Gene kommen jetzt aber kaum noch vor“, berichtet Leister. „Trotzdem wird immer noch genetisches Material von den Plastiden und Mitochondrien übertragen – und zwar in überraschend großem Umfang. Weil diese DNA-Abschnitte ganz zufällig irgendwo im Erbmaterial des Wirts eingebaut werden, können dadurch auch potentiell schädliche Veränderungen auftreten. Wir haben nun untersucht, ob auf diesem Weg auch ein positiver Effekt durch die Entstehung neuer Gen-Abschnitte auftreten kann.“ Bislang war bekannt, dass neue Gene unter anderem durch eine Umverteilung genetischen Materials innerhalb des Zellkerns entstehen, etwa durch die Fusion oder Teilung bereits bestehender Gene, aber auch durch so genannte „mobile DNA-Elemente“.
In ihrer Studie identifizierten die Forscher zunächst ehemalige Organellen-DNA, die nun in oder neben den Genen ihrer Wirte – untersucht wurden Mensch, Ackerschmalwand, Reis und Hefe – integriert sind. Dabei fanden sich überraschend viele dieser kleinen DNA-Abschnitte, wobei vermutlich noch sehr viel mehr dieser Sequenzen wegen ihrer geringen Größe nicht mehr als solche identifiziert werden können. Dabei ist zu beachten, dass sich die Gene höherer Organismen aus kodierenden Teilen, den Exons, und nicht kodierenden Teilen, den Introns, zusammensetzen. Für die Synthese eines Proteins wird zunächst eine Abschrift seines Gens hergestellt, aus der dann die Introns entfernt werden. Letztlich kodieren nur die übrig gebliebenen und dann wie Bausteine zusammengesetzten Exons für das Protein. Der genetische Beitrag der Organellen-DNA betrifft vor allem einzelne Exons – damit aber auch den Aufbau des gesamten Gens sowie des dazugehörigen Proteins. „Es ist ein bislang unbekannter Weg, wie neue Gene entstehen“, sagt Leister. „Es scheint, dass die Evolution wie ein Flickschuster arbeitet: Sie klaubt sich die genetische Information wohl von überall her zusammen.“
In einer weiteren Untersuchung widmete sich Leister der Photosynthese. Von diesem außerordentlich wichtigen Prozess hängen alle Lebewesen – und nicht zuletzt auch wir Menschen – ab. Die Photosysteme I und II, zwei ausgedehnte Molekülkomplexe in den Chloroplasten, absorbieren dabei Energie aus dem Sonnenlicht, die letztlich für den Aufbau energiereicher Kohlenhydrate genutzt wird. Dabei werden Elektronen in mehreren Schritten über verschiedene Energieniveaus auf eine Kette von Elektronenempfängern übertragen, wobei ATP entsteht, die universelle Energiewährung der Zelle. Beim so genannten linearen Elektronenfluss nehmen beide Photosysteme teil und die Elektronen landen schließlich bei einem kleinen Trägermolekül, dem NADP. Beim zyklischen Elektronenfluss dagegen ist nur das Photosystem I beteiligt, wobei dann auch nur ATP erzeugt wird. Je nach Bedarf können die Pflanzen zwischen den beiden Transportwegen umschalten, um das Verhältnis von ATP und NADPH flexibel einzustellen.
Damit aber müssen Elektronen zwischen den Photosystemen verteilt werden, um diesen Ausgleich zu schaffen. „Man weiß noch nicht genau, wie der zyklische Elektronenfluss genau funktioniert und reguliert wird“, sagt Leister. „Anders als lange vermutet, spielt er in höheren Pflanzen aber keine untergeordnete Rolle. Er leistet unter bestimmten Bedingungen sogar einen erheblichen Beitrag, etwa bei Stress durch Dürre oder starke Sonneneinstrahlung. Aber auch zu Beginn jeder photosynthetischen Aktivität betreiben die Pflanzen zyklischen Elektronenfluss.“ Bislang ist nur ein einziges für diesen Reaktionsweg spezifisches Protein bekannt: PGR5. Dieses Protein transportiert sehr wahrscheinlich aber nicht selbst Elektronen. „Wir konnten jetzt aber einen neuen Mitspieler identifizieren, der deutliche Hinweise liefert, wie der zyklische Elektronentransport funktioniert“, berichtet Leister. „Das Protein PGRL1 interagiert funktionell und auf Proteinebene mit PGR5 sowie mit dem Photosystem I und weiteren zentralen Komponenten des zyklischen Elektronentransports.“
Das Protein wurde in der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) gefunden. Ohne PGRL1 ist der zyklische Elektronenfluss in den Pflanzen gestört, ähnlich wie bei einem PGR5-Defizit. „Wir vermuten, dass der PGRL1-PGR5-Komplex den zyklischen Elektronenfluss in höheren Pflanzen begünstigt, wenn nicht sogar direkt vermittelt“, meint Leister. „PGRL1 und PGR5 müssen kooperieren und zusammen mit anderen Komponenten bilden sie wohl jene lang gesuchte spezifische Komponente des zyklischen Elektronentransports, die im wahrsten Sinne des Wortes den Kreis schließt.“ Weitere Untersuchungen zur Regulation des zyklischen Elektronentransports sollen nun die genaue Funktion des Komplexes entschlüsseln. „Wir werden dabei auch Pflanzen einbeziehen, bei denen dieser Reaktionsweg eine besonders wichtige Rolle spielt“, so Leister. „Bei Mais etwa gibt es Gewebe, in denen fast ausschließlich zyklischer Elektronenfluss stattfindet. Daneben könnte man bei bestimmten einzelligen Grünalgen auch über die Manipulation des zyklischen Elektronentransports nachdenken, um die Produktion von Wasserstoff als erneuerbare Energieform zu verbessern.“ (sfr/Ludwig-Maximilians-Universität München)
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