Charité-Virologe Drosten: Zweite Corona-Welle „liegt an uns“
„Man hört im Moment in der Öffentlichkeit Besprechungen darüber, ob es eine zweite Welle gibt, ja oder nein“, sagte Charité-Virologe Christin Drosten mit Blick auf Sars-CoV-2 in seinem neuesten Podcast. Häufig würde man dabei zu der Erkenntnis kommen: „Es liegt an uns.“ Es sei keine Naturkonstante, dass eine zweite Welle komme und „wir wehrlos dagegen sind“.
Nach Drostens Auffassung sei man jetzt in einer Situation, in der das kontrolliert werden könne. Die Erfahrung im Alltag würde zeigen, dass die Meldezahlen gar nicht mehr groß ansteigen. Das sei eine gute Situation.
„Wir können für uns in Deutschland nur hoffen, dass wir diesen Effekt, den wir jetzt erreicht haben, möglichst lange erhalten können“, sagte Drosten. Diese Strategie funktioniere, solange die Gesundheitsämter jedem einzelnen möglichen Übertragungscluster hinterherkämen.
Im Moment helfe auch der Sommer dabei. „Aber zum Herbst hin werden wir eine große Änderung haben, nämlich, dass bis dahin die Schulen und die Kitas wieder in Gänze geöffnet werden müssen“, gibt der Virologe zu bedenken.
Gesellschaftlich sei man sich darüber einig, dass daran eigentlich kein Weg vorbeigehen könne. Insoweit befinde sich Deutschland jetzt in einer Test- und Vorlaufphase, nach dem Motto: „Machen wir mal wieder auf, denn die Sommerferien kommen sowieso“. Und wenn etwas schief gehe, bestünde die Gelegenheit, sich darüber noch einmal Gedanken zu machen.
„Jetzt machen wir erst mal Ferien und gehen noch einmal in eine Fehleranalyse“, sagte Drosten. In ein paar Wochen würde man mehr wissen. Das sei zum Teil auch so etwas wie ein „bisschen statistischer Zufall, ob das passiert oder nicht“.
Risiko im normalen Schulbetrieb
Selbst wenn man sich vorstelle, dass das alles „glimpflich“ ausgehe und dann bis September alle Schulen in voller Klassenstärke wieder geöffnet seien, was passiere dann? „Natürlich wissen wir, es ist nicht realistisch, dass sich Schüler und gerade kleinere Kinder an Abstandsregeln halten“, schätzt der Virologe. Sie könnten „natürlich auch nicht durchgehend eine Maske tragen“, weil das einfach nicht befolgt werden würde.
Eine Studie aus einem Vorort von Tel Aviv sei nun zu dem Ergebnis komme, dass Kinder zu 45 Prozent so empfänglich für das Virus seien wie Erwachsene. Auf die Frage, ob Drosten ein derartiges Ergebnis erwartet habe, sagte er: „Also ich muss wirklich sagen, ich bin da ohne Erwartungen, was dieses ganze Kinderthema angeht. Es ist ja so, dass viele Studien einfach nur feststellen: Bei uns sieht es so aus, als wären weniger Kinder infiziert. Punkt.“
Der „Haken an der Sache“ sei, dass es kaum Beobachtungen ohne Lockdown gebe. Selbst in China waren gerade Ferien, als SARS-CoV-2 dort ausbrach.
„Wenn wir uns gegenseitig eingestehen müssen – egal wie gefährlich es ist – wir müssen die Schulen öffnen, etwa aus Gründen des Kindeswohls, der Betreuung, Arbeitskraft der Eltern und so weiter, dann kann man den Wissenschaftler jetzt natürlich fragen: Was kann man denn jetzt tun?“, sagte Drosten.
Aufgabe der Wissenschaft sei es, Werkzeuge bereitzustellen, um einer Gefahr entgegenzutreten. Aufgabe der Politik sei es hingegen, nicht die Frage zu klären, ob man Schulen und Kitas wieder öffne, sondern wie man die Öffnung zum Herbst und Winter absichert, ohne dass es zu „riesigen Ausbrüchen“ komme. Idealerweise müsse man erreichen, dass in einem solchen Fall nicht die ganze Schule, sondern nur einzelne Klassen unter Quarantäne gesetzt werden. (sua)
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