Blinde sehen bei Nahtoderfahrungen zum ersten Mal

Menschen, die von Geburt an blind sind, haben keine visuellen Eindrücke, wenn sie träumen. Bei Nahtoderfahrungen sieht es jedoch anders aus, heißt es in verschiedenen Studien.
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Es sei wunderbar gewesen, „draußen zu sein und sich frei zu fühlen und sich keine Sorgen zu machen, gegen etwas zu stoßen“, erzählte eine blinde Frau über ihre Nahtoderfahrung.Foto: zlikovec/iStock
Von 16. Juni 2022

Viele Menschen haben während einer Nahtoderfahrung (NTE) das Gefühl, ihren Körper zu verlassen. Auch Menschen, die von Geburt an blind sind, erleben das. Das erstaunliche ist jedoch, dass sie während einer NTE auch zum ersten Mal sehen können. Für einige fühlt es sich ganz natürlich an, für andere ist es eine verwirrende und schockierende Erfahrung.

Laut einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 1982 berichteten 15 Prozent aller Amerikaner, die (unter sehr unterschiedlichen Umständen) fast gestorben waren, von NTE. Etwa 9 Prozent berichteten vom „klassischen Verlassen des Körpers“, 11 Prozent gaben an, eine andere Sphäre betreten zu haben, und 8 Prozent sagten, sie seien Geistwesen begegnet.

Dass blinde Menschen bei Nahtoderfahrungen visuell Dinge wahrnehmen, macht das Ganze umso erstaunlicher. Oft werden NTE mit Halluzinationen gleichgesetzt. Auch wird häufig Hypoxie (Sauerstoffmangel) als Ursache für Nahtoderfahrungen angegeben. Als eine weitere Ursache gilt die REM-Schlaf-Intrusion. Dabei erfolgt die REM-Phase (von englisch: Rapid Eye Movement), die als die Phase gilt, in der man beim Schlafen träumt, während man wach ist.

Doch Personen, die sich mit NTE beschäftigen, widersprechen diesen Erklärungen. Eine dieser Personen ist der Forscher Robert Mays, der seit etwa 30 Jahren NTE untersucht. In einem Vortrag auf der Konferenz der gemeinnützigen Organisation „International Association for Near-Death Studies“ im Jahr 2014 erklärte er, dass sich Nahtoderfahrungen stark von den Erfahrungen unterscheiden, die normalerweise bei Hypoxie oder einer REM-Schlaf-Intrusion auftreten.

„Menschen, die Nahtoderlebnisse hatten, berichten fast immer von hyperrealen Erfahrungen, die unser gewöhnliches, bewusstes Erleben weit übertreffen. So hatten sie das Gefühl, die Sphäre in der NTE sei ihr wahres Zuhause, durchdrungen von bedingungsloser Liebe. [Sie berichteten auch], dass sie keine Angst mehr vor dem Tod haben“, meinte Mays.

Diese charakteristischen Aspekte seien bei Hypoxie, REM-Schlaf-Intrusion und so weiter einfach nicht vorhanden, so Mays weiter.

Wie blinde Menschen träumen

Studien zufolge können blinde Menschen im Traum nicht sehen. Untersuchungen zeigten jedoch, dass blinde Menschen bei Nahtoderfahrungen oft sehen. Beispielsweise führten Amani Meaidi und ihr Team von der Universität Kopenhagen eine Studie über die Art und Weise durch, wie blinde Menschen träumen. Die Studie wurde 2014 in der Fachzeitschrift „Sleep Medicine“ veröffentlicht. 

Sie fanden heraus, dass keiner der Teilnehmer, die von Geburt an blind waren, von visuellen Eindrücken in ihren Träumen berichtete. Bei Teilnehmern, die früher sehen konnten, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie von visuellen Eindrücken im Traum berichteten, umso geringer, je mehr Zeit seit dem Verlust ihres Augenlichts vergangen war.

In den 1990er-Jahren ergab eine Studie über blinde Menschen, die von Nahtoderfahrungen berichteten, unter der Leitung von Kenneth Ring an der Universität von Connecticut, dass 15 von 21 blinden Teilnehmern von visuellen Eindrücken berichteten. Drei Teilnehmer waren sich nicht sicher, ob sie eine visuelle Wahrnehmung hatten, und die übrigen drei sahen nichts. Die Hälfte der von Geburt an Blinden gab an, etwas zu sehen.

Die Ungewissheit einiger Teilnehmer könnte damit zusammenhängen, dass das Sehen für diejenigen, die es noch nie erlebt haben, ungewohnt ist. Außerdem tritt es gleichzeitig mit anderen Besonderheiten von Nahtoderfahrungen auf. Selbst sehende Menschen, die eine NTE hatten, haben manchmal Schwierigkeiten, die Erfahrung zu beschreiben, die in vielerlei Hinsicht über das normale Leben hinauszugehen scheint.

Eine Bibliothek mit „Tausenden, Millionen und Milliarden von Büchern“

Ein Mann, der von Geburt an blind war, erzählte Ring, dass er sich in einer Bibliothek mit „Tausenden, Millionen und Milliarden von Büchern, so weit man sehen konnte“, wiederfand. Auf die Frage, ob er sie visuell gesehen habe, bejahte er. Er habe die Bücher deutlich sehen können und sei gar nicht überrascht gewesen, dass er sehen konnte, erzählte er.

Ring interviewte für seine Studie auch Vicki Umipeg, die ebenfalls in verschiedenen Medieninterviews über ihre Erfahrung sprach. Sie erlebte eine insgesamt angenehme NTE, beschrieb das plötzliche Sehen jedoch als „beängstigend“.

Sie war 22 Jahre alt und arbeitete als Sängerin in einem Nachtclub in Seattle. Eines Abends konnte sie nach der Arbeit kein Taxi bekommen und ließ sich daher von einigen betrunkenen Gästen mitnehmen. Während sie im Auto saß, hatte es einen Unfall. Sie wurde dabei schwer verletzt und erlitt einen Schädelbruch.

Sie hatte das Gefühl, ihren Körper zu verlassen und schwebte im Harbour View Medical Centre zur Decke hinauf. Sie hörte, wie ein Arzt davon sprach, dass die Verletzung an ihrem Trommelfell sie möglicherweise auch taub machen könnte. Sie konnte einen Arzt sehen, der sich über etwas beugte, von dem sie erkannte, dass es ihr Körper sein musste. Sie hatte ihren eigenen Körper noch nie gesehen.

Sie wurde durch einen Tunnel gezogen und kam an einem Ort mit Gras und Menschen aus Licht wieder heraus. „Ich fühlte mich von dieser Erfahrung überwältigt, weil ich mir nicht wirklich vorstellen konnte, wie Licht aussieht“, sagte Umipeg in einem Interview für den BBC-Dokumentarfilm „The Day I Died“.

Umipeg wurde als Frühchen geboren und erblindete aufgrund von zu viel Sauerstoff im Inkubator. Sie meinte, dass es während ihrer NTE „wunderbar war, draußen zu sein und sich frei zu fühlen und sich keine Sorgen zu machen, gegen etwas zu stoßen.“ Wenn sie etwas wissen wollte, kam das Wissen sofort. Als sie in ihren Körper zurückkehrte, sei es „unerträglich schmerzhaft und sehr schwer“ gewesen.

Ring merkte an, dass Umipeg häufig Wörter verwendete, die sich auf das Sehen bezogen – auch dann, wenn sie nicht ihre NTE beschrieb. So sprach sie zum Beispiel davon, Fernsehen zu „schauen“ oder verwendete Ausdrücke wie „sieh dir das an“, die sie nicht wörtlich meinte. 

„Obwohl diese Beobachtung die Aussagen in unseren Berichten nicht unbedingt entkräftet, mahnt sie doch zur Vorsicht bei der Interpretation der Erzählungen unserer blinden Probanden“, schrieb Ring. Er schloss daraus, dass die blinden Studienteilnehmer die Sprache des Sehens möglicherweise verwendeten, um einen Sinn zu beschreiben, der sich nur schwer in Worte fassen lässt.

Ring zitierte die Antwort eines Teilnehmers, der sich nicht sicher war, ob er während seiner NTE Visionen hatte. Der Teilnehmer beschrieb seine Wahrnehmung als „eine Art Synästhesie“, bei der alle Reize zu einem Bild in seinem Kopf verschmolzen. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich etwas gesehen hatte, doch er wusste, was vor sich ging und nahm alles in seinem Geist wahr.

„Um unsere Frage, was diese Personen erleben, zu beantworten: Wenn es kein Sehen ist, dann schlagen wir vor, dass es sich um ein transzendentales Bewusstsein handelt – einen besonderen Bewusstseinszustand und eine eigenständige Art des Wissens –, das bei blinden und sehenden Personen während ihrer Erfahrungen gleichermaßen aktiv ist und das nun einer Erklärung bedarf“, so Rings Fazit.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: In Near-Death Experiences, Blind People See for First Time (deutsche Bearbeitung von as)



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