RELEVANZ – Emporhebung oder Erleichterung?

Epoch Times3. September 2012

Die Etymosophie-Kolumne von Roland R. Ropers erscheint wöchentlich exklusiv in der EPOCH TIMES Deutschland.

Das Adjektiv relevant wird landläufig als sachbezogen, bedeutungsvoll, gewichtig verstanden, das gegenteilige Wort irrelevant als unwichtig und sinnlos. Hier haben wir es mit einer willkürlichen Sprachdeutung zu tun, die etymosophisch nicht haltbar ist. Das lat.: Verb relevare heißt emporheben, letztlich im Sinne von Erleichterung (lat.: levis = leicht).

Relevanz ist die Herausforderung, dass wir unser Leben auf der Leiter von Leichtigkeitsgraden begreifen, was uns leider nie überzeugend vermittelt wurde.

„La gravité est le bonheur des sots.“ „Der Ernst (die Schwere) ist das Glück der Toren“ sagte Charles de Secondat Baron de Montesquieu, 1689 – 1755.

Der sprichwörtliche Ernst des Lebens (frz.: la gravité de vie) macht das Leben vielfach schwer erträglich. Die Floskeln: „Nimm´s leicht! Nimm`s nicht so schwer!“ werden kaum in ihrer Tiefe verstanden. Und im Zuge der progressiven Gravitation finden sich dann Lebensaussagen wie:

– sie hatte eine schwere Geburt
– er hatte einen schweren Tod
– sie hatten ein schweres Leben
– die Schule war nur schwer
– er ist schwermütig
– sie ist eine schwerreiche Witwe
– er ist schwerhörig
– warum machst du es dir so schwer?
– er hat einen schwerwiegenden Fehler gemacht
– er hat schwer zu tun
– sie hat schwer zu leiden
– es ist alles verdammt schwer

Warum nur beschweren wir unser Leben mit sprachlichem Ballast, der unser Unterbewusstsein blockiert?

Schauen wir uns zunächst die lateinischen Worte gravitas und levitas an. Wir finden im Wörterbuch folgende Übersetzungen:

a) gravitas: Schwere, Gewicht, Last, Kraft, Druck, Bedeutung.

b) levitas: leichtes Gewicht, Beweglichkeit, Leichtsinn.

Hieraus haben wir im Deutschen Gravitation (= Schwerkraft) und gravitätisch (= erhaben, bedeutungsvoll) gemacht. Sinnentsprechend müsste dann Levitation = Leichtkraft bedeuten, aber dieses Wort kennen wir nicht. Unter Levitation versteht man im Allgemeinen die vermeintliche Aufhebung der Schwerkraft sowie freies Schweben. Nun muss man sich ja nicht gleich vom Boden abheben, wenn man das Leben leicht nimmt. Warum sehen wir den Leichtsinn als so negativ an und bevorzugen stattdessen Schwersinn, Schwermut, den Ernst des Lebens?

Im Zirkus bewundert das Publikum die „leichtsinnigen“ Hochseilartisten. Der artistische Leicht-Sinn ist die Grundvoraussetzung für den balancierenden Seiltänzer. Wäre er schwersinnig (schwermütig), würde er abstürzen. Leichtsinn und Leichtmut sind wesentliche Bestandteile unseres täglichen Lebens. Das englische Wort foolishness (eigentlich: Dummheit) ist hier fehl am Platz. Das Wort levity (Leichtfertigkeit) kommt der Sache näher, wenn wir leichtfertig positiv deuten.

Der Patient wird nach seinen Beschwerden gefragt; er sucht beim Arztbesuch Erleichterung. Beschwerde-Freiheit ist in unserer Konsumgesellschaft ein sehr seltenes Gut geworden. Viele kennen das Gefühl von Beschwerde-Losigkeit (im Englischen würde ich hierfür das Wort heavylessness einführen) kaum noch. Das völlige in-Ordnung-sein, die Balance, das Stimmungs- und Spannungs-Gleichgewicht, muss als gesicherte Erfahrung wiedererlernt und eingeübt werden. Wir benötigen Therapeuten, Weg-Begleiter für Gesunde, die sich in ihrer Beschwerde-Losigkeit oftmals unwohl und unsicher fühlen.

Ich habe dafür das Wort „Leer-Therapeuten“ gewählt.

Wir wissen intuitiv, dass wir den Weg zum Licht und zur Leichtigkeit gehen sollten (the path of lightful lightness = der Weg zu lichtvoller Leichtigkeit). Aber wir haben die Stufenleiter auf unserem Weg zur Befreiung pervertiert, umgedreht: wir sprechen von Schwierigkeitsgraden, wenn wir zum Gipfel kommen wollen. Die Schule ist hier ein klassisches Beispiel, die unsere Kinder oft bereits im frühesten Stadium völlig falsch führt und desorientiert. Schulerziehung ist Training (lat.: trahere: mühevolles Ziehen), aber keine Edukation (engl: education). Edukation kommt von lat.: educere = herausführen (kein Gezerre!), sondern das Führen zur geistigen Freiheit. Dieser Weg muss unabdingbar der Pfad zum Licht und zur Leichtigkeit sein. Schwierigkeitsgrade führen in Dunkelheit, Unwissenheit, Krankheit und Leid.

Wenn Leben sinnvoll sein soll, brauchen wir Leichtsinn (engl.: light sense; N.B. dieses Wort gibt es noch nicht). Wir müssen leichten Herzens auf der Leiter der Leichtigkeitssgrade zum Gipfel unseres Lebens emporsteigen. Dann wird die Krankheit (engl.: disease, die Nicht-Leichtigkeit) zur Gesundheit (engl.: ease, Leichtigkeit).

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Der Religionsphilosoph Roland R. Ropers ist Autor und Herausgeber etlicher Bücher:

Was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Hans-Peter Dürr im Gespräch mit bedeutenden Vordenkern, Philosophen und Wissenschaftlern von Roland R. Ropers und Thomas Arzt; 2012 im Scorpio Verlag

Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Gott, Mensch und Welt. Die Drei-Einheit der Wirklichkeit von Raimon Panikkar und Roland R. Ropers

Die Hochzeit von Ost und West: Hoffnung für die Menschheit von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Geburtsstunde des neuen Menschen. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zum 100. Geburtstag von Roland R. Ropers



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