Permanente Kontrolle an Universitäten nach Bologna-Reformen

Epoch Times18. April 2012

„Universitäten brauchen Freiheit, sonst sind sie das Geld nicht wert, das man ihnen die ganze Zeit kürzt“ – mit dieser Behauptung beendete Gastreferent Prof. Dr. Andreas Dörpinghaus seinen Impulsvortrag „Wie man Bildung erfolgreich verhindert. Eine Kritik der Halbbildung“, mit dem er die aktuelle Vorlesungsreihe des Studium Generale an der Marburger Philipps-Universität einläutete und den Boden für eine lebhafte Debatte bereitete. Der Würzburger Bildungstheoretiker diskutierte seine Thesen am Mittwoch, den 11. April 2012 im Auditorium Maximum der Philipps-Universität mit Unipräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause und Marburger Erziehungswissenschaftlern.

Das diesjährige Studium Generale unter dem Reihentitel „Bildung im Wandel“ wird vom Fachbereich Erziehungswissenschaften ausgerichtet und kann mit renommierten Vortragenden an 13 Veranstaltungsterminen aufwarten. Der Themenbereich Bildung wird vor dem Hintergrund globalisierter Verhältnisse beleuchtet: unter anderem werden Missbrauch, Gewalt, Rechtsextremismus und Körperlichkeit diskutiert.

Dörpinghaus ging der These nach, dass Universitäten und Schulen „zu Orten der Verdummung sowie Halbbildung“ werden, da die sogenannten Bologna-Reformen von ihnen lückenlose Verwaltung und permanente Kontrolle verlangten. Kontrolle sei zum Fundament der Universitäten geworden und Studierende sowie Lehrende neigten dazu, sich permanent selbst zu kontrollieren und im Habitus des lebenslangen Lernens als defizitär einzustufen. Bildungsstandards, die vermitteln, welche Fähigkeiten in welchem Zeitrahmen erworben werden sollen, seien symptomatisch für den modernen Fortschrittsglauben.

Bei alledem würde völlig übersehen, dass ein wesentlicher Auftrag an universitäre Bildung darin liege, Studierende dazu zu ermutigen, das Gelehrte kritisch zu hinterfragen, um so zu mündigen Wesen heranzureifen. „Studierende sind angehende Wissenschaftler, keine Schüler“, konstatierte Dörpinghaus.

Seine provokanten Thesen führten anschließend zu einer kontroversen Diskussion unter der Moderation von Heike Schmoll, Bildungsjournalistin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Tamara Schwalb, Studentin der Erziehungswissenschaften, beklagte überfüllte Seminarräume. Das Arbeiten in Gruppen, die doppelt so groß seien, als die Raumkapazität vorsehe, erschwere eine aktive Teilnahme an den Lehrveranstaltungen, sagte sie. Krause griff das Thema der Raumnot auf und verwies auf die knappen finanziellen Ressourcen der Hochschulen: Diese seien in den vergangenen Jahrzehnten nicht mit den ständig steigenden Studierendenzahlen mitgewachsen, legte die Unipräsidentin dar.

Auch der Marburger Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Seitter ging auf die Rahmenbedingungen des Studiums ein. Er betonte gegenüber Dörpinghaus, man müsse die konzeptionelle Ebene „an die Organisationsebene zurückbinden“. Der Religionspädagoge Prof. Dr. Bernhard Dressler thematisierte ebenfalls das Spannungsverhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit der Hochschulen, das er historisch beleuchtete: „Die Humboldtsche Idee von der Universität gab es in der Realität nie.“

Einig waren sich alle Teilnehmer in ihrer Kritik an der Beschleunigung von Bildungsprozessen; man dürfe den jungen Menschen nicht vermitteln, sie hätten keine Chance, wenn sie zu lange für ihr Studium benötigten – vielmehr solle man sie ermutigen, sich Zeit zu nehmen. Dörpinghaus erzählte, als er noch studiert habe, sei derjenige mit der höchsten Semesterzahl von den Kommilitonen in der Kneipe zum Bier eingeladen worden. Wenn heute Studierende sagten, sie seien im siebten Semester, so täten sie dies schon mit schlechtem Gewissen.  (Nadja Kindinger / idw)



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