Blinde Spitzensportlerin Bentele über „Blindes Vertrauen“

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Verena Bentele, Behindertenbeauftragte der BundesregierungFoto: Cover Kailash Verlag

Die blinde Spitzensportlerin Verena Bentele spricht in ihrem neuen Buch über „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser: Die eigenen Grenzen verschieben und Sicherheit gewinnen“. Sie sagt: „Wir alle hängen mehr oder weniger an einer Synchronkette!“

Die vierfache Weltmeisterin und zwölffache Paralympics-Siegerin Verena Monika Bentele wurde am 28. Februar 1982 in Lindau am Bodensee geboren und wuchs in Wellmutsweiler auf dem Bio-Bauernhof ihrer Eltern auf.

Behindertenbeauftragte der Bundesregierung

Die Biathletin und Ski-Langläuferin ist seit Januar 2014 Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Beeindruckend wie die von Geburt an blinde Sportlerin ihre inneren Grenzen erforscht hat und mit geradezu grenzenlosem Vertrauen ihr Leben meistert.

An der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat sie Neuere Deutsche Literaturwissenschaft studiert, in den Nebenfächern Sprachwissenschaften und Pädagogik, und schloss ihr Magister-Studium mit der Note „sehr gut“ ab.

„Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, ihre Richtung und Geschwindigkeit selbst zu bestimmen und dann zu bremsen, wenn sie es für richtig halten. Sie wollen die Kontrolle über ihr Handeln behalten. Im Volksmund heißt es: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Ich sage: Bei diesem Sprichwort stimmt die Reihenfolge nicht. Kontrolle gibt uns Sicherheit und Orientierung; sie ist wichtig, um ans Ziel zu kommen. Als Blinde sehe ich nicht, was mich in der Abfahrt erwartet. Weil ich gewinnen will, habe ich mich gegen das Bremsen und für das Vertrauen entschieden.

Im Langlauf und im Biathlon leiht mir mein Begleitläufer seine Augen, seine präzisen Ansagen ermöglichen mir, in der Spur zu bleiben. Mit einem kontrollierten Verhalten kann ich den sicheren Raum nicht verlassen. Ich kann keine Goldmedaille gewinnen, wenn ich mich immer davor schützen möchte, gegen Hindernisse zu fahren und zu stürzen. Will ich den Sprung aufs Siegertreppchen schaffen, muss ich meine Komfortzone verlassen und Risiken eingehen. Vertrauen bildet das Fundament, auf dem ich mich entfalten und gewinnen kann…“

Zusammen mit ihrem blinden Bruder Michael und ihrem älteren, sehenden Bruder Johannes lernte Verena bereits als kleines Kind Skifahren. Als Johannes in die Schule kam, wollte sie auch malen und schreiben. Ihre Kritzeleien musste sie zunächst ihrer Mutter und ihrer Oma erklären. Es ist ein Wunder, wie Verena ihre Schulzeit bis zum Abitur ohne große Schwierigkeiten durchlief.

„Ein blinder Mensch kann die Wände und andere Begrenzungen hören. Besser gesagt: den Schall, den eine Wand zurückwirft. Das funktioniert wie bei den Fledermäusen, die orientieren sich auch am Schall. Der blinde Amerikaner Daniel Kish hat die sogenannte Klicksonar-Methode entwickelt, die er nun anderen Blinden beibringt.

Diese Technik der Echo-Ortung lernten wir als Kinder spielerisch dank der Bewegungsfreiheit, die wir hatten, nur ohne bewusstes Klickgeräusch. Wir orientierten uns durch Lachen, Reden und andere Umgebungsgeräusche … Beim Fahrradfahren redeten, riefen und lachten wir und merkten auf diese Weise, ob wir zu nah an der Wand oder an einem parkenden Auto vorbeifuhren. Natürlich zerlegte es uns trotz aller Hilfestellungen öfter mal, wenn wir probierten, freihändig zu fahren …

Ich finde mich gut mit dem Blindenstock zurecht, der leise über dem Boden schleift. Als Frau habe ich außerdem die Möglichkeit, mich am Widerhall meiner klickenden Absätze auf dem Asphalt zu orientieren, ein echter Vorteil von hohen Schuhen …“

[–„BLINDIPEDIA – meine Sichtweisen von A bis Z“–]

Verena Bentele hat ihrem sehr beeindruckenden Buch ein 40-seitiges Stichwortregister hinzugefügt, das sie bezeichnet als „BLINDIPEDIA – meine Sichtweisen von A bis Z“.

Sie beschäftigt abwechselnd zwei Assistenten, nette junge Männer, die für alle Dinge zuständig sind, die sie nicht sehen kann. Die Brailleschrift ist eine Art Massage für die Fingerspitzen. Ein Blindenhund ist für Verenas Lebensstil nicht ratsam, weil ihr Tempo und das viele Reisen für den Vierbeiner viel zu anstrengend wären. Der Computer ist das wichtigste Kommunikationsmittel unserer Zeit. Verena hat keine herkömmliche Vorstellung von Farben, sie verbindet Farben mit Dingen, die sie fühlen oder riechen kann.

Geldmünzen erkennt sie gut an den Rändern, Scheine kann sie auseinanderhalten, weil sie unterschiedlich breit sind. Das Handy ist unverzichtbar; vorteilhaft für Verena ist der länger haltende Akku, weil sie den Bildschirm ausschalten kann. Ins Kino geht sie oft und gern mit Freunden. Das Radio ist der Fernseher für ihre Ohren, weil das gesprochene Wort Bilder lebendig macht. Die Stimme ist für Verena der Schlüssel zur Seele.

Im Jahr 2013 bestieg Verena Bentele den höchsten Berg Afrikas, den Kilimandscharo; außerdem nahm sie zur Sommersonnenwende Ende Juni 2013 an Norwegens herausforderndem Radmarathon „Den Store Styrkeprøven“ (die große Kraftprobe) teil: 540km non-stop, 3.400 Höhenmeter. Vorausgegangen waren lange Trainingseinheiten auf der Insel Mallorca, im Bodenseegebiet und auf schwierigen Wegen unterhalb der Zugspitze. Im Tandem mit Alex Fehlau bewältigte Verena Bentele den Norwegen-Marathon in 22 Stunden und 54 Minuten. Im Juni 2014 geht sie wieder an den Start.

„Das Tandem ist die ideale Metapher für Teamarbeit. Wir alle hängen mehr oder weniger an einer Synchronkette – in der Arbeit, in der Familie, im Freundeskreis. In welchem Team auch immer. Jeder Einzelne muss sich bewusst sein, dass er auf Kosten und zum Nutzen aller handelt …“

Stephanie Ehrenschwendner hat endlose Stunden und Tage mit Verena Bentele im Gespräch verbracht und die Gedanken der blinden Sportlerin zu einem wahrhaft gewinnbringenden Buch verarbeitet.

Foto: Cover Kailash Verlag

Verena Bentele und Stephanie Ehrenschwendner

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser: Die eigenen Grenzen verschieben und Sicherheit gewinnen

Kailash Verlag

€ 18,99



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