Benedikt Herles über „Gehirnwäsche für die Business Class“

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"Professoren und Unternehmen meinen, mit Excel-Tabellen das komplette wirtschaftliche Gefüge beherrschen zu können."Foto: Cover Knaus Verlag
Von 27. Januar 2014

Dem jungen Unternehmensberater Benedikt Herles kam recht schnell die Erkenntnis, dass unsere wirtschaftlichen Eliten den falschen Weg eingeschlagen haben. Die Zukunft des Menschseins steht zur Disposition.

Der im März 1984 in Starnberg geborene Diplom Volkswirt Dr. Benedikt Herles beschreibt in beeindruckender Offenheit und mit sprachlicher Brillanz den Zustand einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft, die junge Menschen mit lukrativen Versprechungen zur Profitgier erzieht.

In Vallendar am Rhein begann der Sohn des ZDF-Journalisten Wolfgang Herles an der privaten Elite-Universität WHU – der Otto Beisheim School of Management – seine Traumreise in die Welt der Betriebswirtschaft. Das Hauptgebäude ist ein altes Kloster, in dessen Eingangshalle eine Bronzebüste des Namensgebers und Stifters den Besucher begrüßt. Im Februar 2013 hat sich dieser Unternehmer, Multimilliardär und Mäzen Otto Beisheim in Rottach-Egern am Tegernsee das Leben genommen – das Leben trotz der vermeintlich großen Erfolge war plötzlich sinnlos geworden.

Der hochintelligente Benedikt Herles macht sich glücklicherweise bereits im Alter von 29 Jahren auf die Suche nach dem wahren Wert des menschlichen Lebens.

Das Studium erlebt er als Bulimie-Lernen – Dutzende von Ordner auswendig in sich hineinfressen und in der Prüfung als unverdautes Wissen heraus kotzen. Es gibt keinen Freiraum für Reflexion und Diskussion. Der Schlafentzug wird professionell trainiert. Ein 16-stündiger Arbeitstag wird als Norm für den zukünftigen Erfolgsmanager proklamiert. Ein herkömmliches Studentenleben gibt es nicht. In den wenigen  Pausen wird das "Wall Street Journal Europe" gelesen oder der nächste studentische Private Equity Club organisiert. In Vallendar rennen Studenten mit ihrem Laptop zwischen Vorlesung und Schreibtisch hin und her. Nur keine Zeit verlieren. Vor Klausuren wird kollektiv bis zum Morgengrauen gelernt. Work hard, play hard.

Und so beschreibt Herles seine Ausbildung: „Geistiger Pluralismus ist nicht erwünscht. Dem Nachwuchs wird der Glaube an Mathematik und Rationalität eingebläut, als handele es sich um die reine, unveränderbare Wahrheit. Der irre Versuch, aus der ökonomischen Forschung eine Naturwissenschaft zu machen, hat sich tief in die Kursinhalte gebrannt. Als VWL-er schüttelte ich den Kopf über die absurde Mathematisierung meines Fachs. Doch erst im Job sollte mir klar werden, was es heißt, Teil einer kaputten Elite zu sein…“

„Nach einem halben Jahr als junger Unternehmensberater machte sich bei mir eine ernüchternde Erkenntnis breit: Wissen über die Wirtschaft ist kaum gefragt. Der Job lässt sich genauso gut erledigen mit einem Abschluss in Physik oder Ethnologie wie mit einem in BWL. Wer sich für einen Start in der Beratungsbranche entscheidet, dem blühen nicht nur stupide Tätigkeiten, sondern vor allem ein hartes Leben."

"Meine Arbeitswoche begann montags um vier Uhr in der Früh. Da klingelte der Wecker, und die Reise zum Kunden begann. Jeden Tag um 18 Uhr war es Zeit für den sogenannten Battle Call: eine mehr oder weniger kurze Sitzung, in der das Projektteam besprach, welche Aufgaben noch am selben Tag zu bewältigen seien. Feierabend selten vor 23 Uhr. Leistung ist in diesem System die einzige Religion. Wer das Risiko scheut, überlebt am besten. Die Leute sind ängstlich und brutal ehrgeizig, Statussymbole sind ihnen wichtig. Und man muss technokratisch veranlagt sein, sonst langweilen einen die Analysen und scheinrationalen Prognosen…“

In den Augen von Benedikt Herles erleben wir nicht eine Finanzkrise, sondern eine Krise der ökonomischen Eliten. Nur Zahlen und Daten haben einen Wert. Mund halten und abliefern, was gefragt ist, sind die Spielregeln.

„Das Problem ist, dass falsche Mentalitäten und Methoden das richtige System korrumpieren. Natürlich glaube ich an eine freie und soziale Marktwirtschaft. Die antrainierten Dogmen machen Menschen unglücklich. Sie vernichten Kapital, schaden Unternehmen und verhindern letztlich Innovation. Sie schaffen eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, in der ich nicht leben will. Wir erleben die größte Glaubwürdigkeits- und Stabilitätskrise der freien Wirtschaft seit der großen Depression. Es ist Zeit, die Schraube zurückzudrehen.“

„Ich wurde ausgebildet in einem System, das einem fast schon religiösen Glauben an mathematische Rationalität und Analyse erlegen ist. Die kaputte Elite huldigt dem Dogma von Effizienz und Optimierung. Professoren und Unternehmen meinen, mit Excel-Tabellen das komplette wirtschaftliche Gefüge beherrschen zu können. Genau deshalb standen die Finanzmärkte vor fünf Jahren am Rande des Abgrunds. Trotzdem predigen die Business-Schools weiter ihre technokratische Weltsicht, pflanzen sie ihrem Nachwuchs ein und trainieren ihnen das eigene Denken ab. Da beginnt das Dilemma. Nur so konnten sich die falschen Dogmen überhaupt so lange halten.“

„Wir müssen die Erziehung zur geistigen Freiheit in den Mittelpunkt stellen. Wir brauchen keine Produkte für die Personalabteilung, sondern reflektierte Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Schauen wir uns die meisten ‚High Potentials’ doch mal an. Die sind glatt geschliffen bis zum Gehtnichtmehr. Ich bin deshalb dafür, den reinen BWL-Abschluss abzuschaffen und zumindest ein Nebenfach in Geistes- und Sozialwissenschaften zur Pflicht zu machen. Wer nur BWL lernt, wird irgendwann zum zahlengläubigen Technokraten…“

Am Ende des Buches entwirft Benedikt Herles seine Vision und seinen Traum von neuen Eliten im Jahr 2023. „Der Homo oeconomicus hat abgedankt. Man findet ihn kaum noch in akademischen Publikationen. Stattdessen erlebte sein besserer Bruder, ich nenne ihn den Homo authenticus, einen kometenhaften Aufstieg … Firmen bemühen sich, Hierarchien radikal abzubauen. Effizienz- und Kostenmanagement haben an Bedeutung verloren. Controller wurden entmachtet. Verständliche Sätze gelten jetzt als Ausdruck klarer Gedanken … Querköpfe und Menschen mit der Fähigkeit, vernetzt zu denken, sind die Gewinner des neuen ökonomischen Zeitgeistes …“

Ein mutiger Aufruf, den notwendigen Wandel zu wagen.

Foto: Cover Knaus Verlag

Benedikt Herles

„Die kaputte Elite –

ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen“

Knaus-Verlag, 175 Seiten – Oktober 2013

EUR 16,99



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