Zu Besuch bei den „Rebellen der Erde“ – Biolandwirt Benedikt Bösel startet Hoftour-Saison
Der Blick auf den Wetterbericht verspricht sommerliche Temperaturen am vierten Aprilwochenende. Trotzdem packe ich die Gummistiefel ein, denn als Empfehlung für die Hoftour des Biolandwirtschaftsbetriebs Gut & Bösel gilt festes Schuhwerk.
Auf dem Weg nach Alt Madlitz, einem verschlagenen Dörfchen mit knapp 300 Einwohnern in Brandenburg, bemerke ich die ersten Rapsblüten auf dem Feld. Vorerst nur zögerlich und nur vereinzelt recken sie ihre gelben Köpfchen gen Himmel. Bevor ich die Hofeinfahrt nehme, fahre ich durch eine Obstbaumallee, die in voller Blüte steht und eine reiche Ernte verspricht, so nicht letzte Nachtfröste die Blüten vereisen.
Auf dem Hof des Biolandwirtschaftsbetriebes angekommen, erwartet die Teilnehmer der Hoftour-Premiere bereits Kaffee, Tee und Wasser. Auf den bereitgestellten Bierzeltgarnituren nehmen die ersten Ankömmlinge Platz und versinken in Gespräche – ein Ehepaar aus der Modebranche ist aus Lüneburg angereist und unterhält sich angeregt mit einer Familie aus Mecklenburg.
Aus den vielen Wortwechseln wird schnell klar, dass unterschiedliche Regionen verschiedenste Anforderungen an die Landwirte stellen. Fruchtbare Böden aus Schleswig-Holstein oder gar Lehm in Mecklenburg haben so gar nichts mit dem gemein, was für den Hof von Benedikt Bösel eine Herausforderung darstellt. Er hat überwiegend mit kargen Sandböden zu kämpfen, die schnell austrocknen und nur wenige Nährstoffe zu bieten haben.
Als sich etwa 30 interessierte Besucher versammelt haben, biegt ein Quad auf den Parkplatz des Gutshofs ein. Wie unschwer an dem Basecap zu erkennen ist, handelt es sich bei dem Fahrer um den Chef Benedikt Bösel höchstpersönlich. Der 38-Jährige hat dem Hof vor einigen Jahren einen neuen, erfrischenden Atem eingehaucht. Seither weht hier ein anderer Wind, und zwar mit Erfolg. Im Jahr 2022 verlieh ihm „agrarheute“ als führendes digitales Medium im Agrarbereich die Auszeichnung zum Landwirt des Jahres. Damit ging dieser Titel erstmalig nach Brandenburg. Inzwischen ist Bösels Buch „Rebellen der Erde“ erschienen. Außerdem ist er gern gesehener Gast in Talkshows und Radiosendungen. Am 17. April nahm er sogar als Sachverständiger an einer Anhörung des Bundestagsausschusses Landwirtschaft und Ernährung teil.
Wie der Biobauer in seiner Einführung auf der Hoftour berichtet, war sein Start in die Landwirtschaft etwas holprig und von Umwegen geprägt. Nach zehn Jahren in der Finanzwirtschaft und einem zusätzlichen Abschluss in Agrarökonomie stellte er schnell fest, dass Technologie allein nicht gegen Trockenheit hilft. Um den Hof auf Dauer nachhaltig zu bewirtschaften, brauchte er neue Konzepte und vor allem einen gesunden Boden.
Was das bedeutet, erklärt der Landwirt anhand von zwei großen Kesseln mit Erde, die vor ihm auf dem Tisch stehen. Der eine ist mit Sand der Region befüllt, der andere mit nährstoffreicher Muttererde. Wie Bösel von A nach B kommen will, erklärt er während der Ausfahrt.
Nach etwa einer halben Stunde geht es los. Wir nehmen Platz auf dem Heuwagen, der diesmal jedoch gar kein Heu geladen hat. Vielmehr stehen zwei Holzbankreihen auf der Ladefläche parat, auf denen die neugierigen Besucher in den nächsten Stunden Rücken an Rücken durch die Gegend gefahren werden. Gezogen wird der Anhänger von einem Traktor, hinter dessen Lenkrad sich der Unternehmer klemmt. Drei Stationen stehen auf dem Plan.
Wie die Anpassung der Pflanzen gelingt
Ein paar Minuten später stehen wir auf einer Versuchsfläche. Bösel spricht von syntropischer Landwirtschaft und Agroforst – Ökosystemen, die sich im günstigsten Fall am Ende selbst düngen, Wasser speichern, an die robusten Wetterverhältnisse angepasst sind und mehrere Ernten im Jahr versprechen.
Die Syntropie geht zurück auf den Schweizer Landwirt Ernst Götsch, der in seiner Wahlheimat Brasilien Wälder aufforstete. Hierzu werden auf einer Brachfläche zunächst Pionierpflanzen angesiedelt, zu der sich nach und nach weitere Pflanzen gesellen. Bei Götsch holte sich das Team des Biohofs Gut & Bösel wertvolle Tipps und ließ den Schweizer auch nach Brandenburg einfliegen, um das Wissen in Seminaren zu vertiefen.
Inzwischen wachsen an dem von uns besuchten Feld schmale Streifen mit verschiedensten Bäumen, Gehölzen und Beeren sowie grüne Wiesenflächen – gerade breit genug für einen Mähdrescher. Dort gedeihen Löwenzahn, Klee und allerlei andere Wildkräuter. In einer Reihe geben sich Maulbeerbäume und Brombeeren die Ehre.
Je nachdem, wie man die Obstbäume zieht, können sie als Spalier oder in Höhe oder Breite wachsen, erklärt Bösel. Damit könne man die Wachstumsbedingungen auf dem Feld direkt steuern. Im vorliegenden Fall werden jeweils Randstreifen der Wiese abgemäht und als Mulch in die Reihen mit Gehölzen ausgebracht. Auf diese Weise entsteht eine natürliche Umgebung, in der sich Mikroorganismen anreichern und ein gutes Pflanzenwachstum gewährleisten. Die restliche wachsende Grasfläche dient später der Heuernte.
In den ersten zarten Zügen der Umsetzung dieser Art Bewirtschaftung musste Benedikt Bösel am eigenen Leib erfahren, dass Ungeduld kein guter Lehrmeister ist, schildert er während der Begehung. Als die ersten Bäume angepflanzt wurden, wählte er fortgeschrittene Stämme aus, die viel Blattmasse versprachen und höher waren als andere.
Letztendlich kommt ihn das auf die Jahre teuer zu stehen. „Diese Bäume sind zwar nach oben ausgetrieben, haben aber ein verkümmertes Wurzelsystem. Damit können sie sich gar nicht an die neuen Standortbedingungen anpassen“, schildert er. In einem trockenen Sommer wie im letzten Jahr mussten diese Bäume deutlich mehr gewässert werden.
Die Lösung ist einfach, aber zeitaufwendig. Inzwischen hat der Landwirt eine eigene Baumschule etabliert, wobei er beispielsweise gern auf örtliche Mostereien zurückgreift. Dazu wird der Apfeltrester [der nach der Saftherstellung übrige Abfall] in einzelne Reihen ausgebracht. Die daraus wachsenden Bäumchen, die sich quasi mit ihrer Geburt auf die kargen Lebensbedingungen auf den brandenburgischen Sandböden einstellen, dienen später als Unterlage für zu veredelnde Obstbäume.
Doch auch die Tierwelt stellt den Landwirt auf die Probe. Neben Schäden durch Rehe, die auf nicht umzäunten Flächen Bäume abfressen oder Rinde abschälen, gab es auf den vor Wild geschützten Feldern einen Vorfall anderer Art. Hier sorgten abgeknipste Zweige für Stirnrunzeln. Aus unerklärlichen Gründen fehlten bei einigen Bäumen die ausgetriebenen Spitzen. Ein Telefon mit Brasilien brachte Klarheit. Götsch machte deutlich, dass hier die Natur eingeschritten war: Ameisen hatten die Bäume davor bewahrt, nach oben auszutreiben. Durch ihren natürlichen Eingriff konnten sich die Wurzeln besser ausprägen.
Regenerative Weihnachtsbäume und Wirbelkomposter
Und auch in der zweiten Station geht es um Bäume. Wir finden uns nach wenigen Minuten auf einem Feld mit regenerativen Weihnachtsbäumen und einer Kompostwerkstatt wieder. Doch was sind regenerative Weihnachtsbäume?
Anders als üblich werden regenerative Weihnachtsbäume nie komplett gefällt, es bleiben immer die untersten Nadelkränze stehen. „Geerntet“ wird dann nach Jahren lediglich der neu gewachsene obere Teil, der durch einen speziellen Schnitt in der Anfangsphase die richtige Weihnachtsbaumform erhält – ein Christbaum, der wirklich nachhaltig ist und zudem für ein gutes Gewissen sorgt.
Ein besonderes Herzstück des Biohofs bildet zweifelsohne der Kompost. Benedikt Bösel steht inzwischen vor einem etwa einen Kubikmeter umfassenden Wirbelkomposter, einer Art Bioreaktor, der mit zahlreichen Sauerstoffkanälen versehen und durch Holzlatten in Form einer Tonne gehalten wird. Darin werden die unterschiedlichsten biologischen Abfälle aufgeschichtet. Das Besondere daran: Wenn der Kompost fertig ist, reicht er für 1.000 Hektar Fläche – also ein Kilogramm pro Hektar.
Wie das geht, verrät der Fachmann: „Wir bringen nicht den Kompost auf dem Acker aus, sondern beizen darin unser Saatgut.“ Mit anderen Worten: Die Samen werden gewässert und sodann in einer Mini-Menge Kompost gewälzt, sodass sie ein perfektes Starterkit bei der Aussaat mitbringen. Üblicherweise werden Sämlinge in Dünge- und Pflanzenschutzmitteln gewälzt, um sie resistent zu machen. Mit seiner Methode greift der Landwirt jedoch nicht zur chemischen Keule, sondern verhilft ihnen zum natürlichen Start mit allem, was sie zur Anpassung an die vorherrschenden Bodenverhältnisse brauchen.
Ein Kälbchen erblickt die Welt
Nach einer ausführlichen Einleitung in die Kompostwelten geht es hinaus zu den Kühen auf die Weide. Hier stehen schwarze Angusrinder neben „den stärksten Bodyguards der Welt“. Mit ihren ausladenden Hörnern bieten die braunen Salers, eine französische Rinderrasse, den notwendigen Schutz vor Wölfen. In der näheren Umgebung gibt es laut Bösel zwei Rudel, die für seine Herde bislang noch keine Gefahr darstellen, und zwar ganz ohne Stallhaltung.
Nachdem der Bauer durch den Elektrozaun geklettert ist, wird er von seinen „Mädels“ herzlich umringt. Hier und dort gibt es Streicheleinheiten, vor allem für die Leitkuh.
Üblicherweise streifen die braunen und schwarzen Rinder über die Weiden. Aufgrund der feuchten Bodenverhältnisse befinden sie sich jedoch derzeit in einer Warteschleife. Unter den etwa 150 Kühnen sind rund 60 Tiere, bei denen in den nächsten Tagen mit Nachwuchs zu rechnen ist.
Und tatsächlich werden wir alle Zeuge einer Geburt. Just in dem Moment, in dem wir ankommen, kämpft eine Färse – eine Kuh, die bislang noch nicht gekalbt hat – mit den Wehen. Von unserem Heuwagen aus verfolgen wir den Geburtsprozess mit Spannung. Zuerst schauen minutenlang nur die Vorderfüße des Kälbchens heraus. Es ist deutlich zu sehen, wie seine Mutter immer wieder presst. Schließlich flutscht es und das Neugeborene liegt auf der Weide, noch ganz in der Fruchtblase eingehüllt. Jetzt beginnt das Bangen: Wird es aufstehen und trinken?
Während die Mutterkuh sich zu ihrem Kalb gesellt und es abschleckt, erklärt uns der Biobauer von den Tücken der Tierhaltung anhand eines Beispiels aus der Vergangenheit: Einmal kalbten zwei Kühe so dicht beieinander, dass eine Kuh das Kalb der anderen als ihr eigenes ansah – mit verheerenden Folgen. Denn ganz ohne Mutter sind die Lebenschancen gleich null, eine Aufzucht mit der Flasche bei einer Herde mit über 150 Rindern ist extrem zeitaufwendig und nicht zu gewährleisten. Oft rappeln sich zurückgelassene Kälber auf und versuchen, bei einer Mutterkuh anzudocken. Nicht selten werden sie mehrfach weggetreten. Doch auch in der Tierwelt gibt es Ammen, die sich um solche Tiere kümmern. So war es auch im Fall des zurückgelassenen Kälbchens.
Zurück in der Gegenwart werfen wir einen Blick auf die frischgebackene Mutterkuh mit ihrem Nachwuchs. Immer wieder stupst sie ihr Kleines liebevoll an und ermutigt es, auf die Beine zu kommen. Immer wieder sackt es zusammen. Noch fehlen Kraft und Standfestigkeit. Doch schon bald zieht es mit den anderen Tieren auf die Weide hinaus.
Durch sehr kurze Weidezeiten mit mobilen Zäunen wandern die Rinder von Ort zu Ort und sorgen dafür, dass die Gräser lediglich gestutzt, aber nicht abgefressen werden. Das kommt dem Boden und der Pflanze zugute, denn das Wurzelwachstum wird kräftig angeregt, wodurch vermehrt Kohlenstoff im Boden gebunden werden kann. Auf diese Weise werden die Tiere auch nicht übermäßig dick, sondern sind am Ende ihrer Lebenszeit Garant für beste Fleischqualität.
Leider muss unser Heuwagen auch schon weiterziehen. Denn wir haben den Zeitrahmen durch die Geburt schon um einiges überzogen. Erst in einem späteren Gespräch erfahre ich, dass das frisch geborene Kälbchen es auf die Beine geschafft und auch das Euter der Mutter gefunden hat.
Auf dem Hof angekommen, steht ein Snack für die Gäste bereit – ein krönender Abschluss. Liebevoll angerichtete Roggenbrote aus hofeigenem Getreide mit einem Belag aus Krautsalat, Gurken, Röstzwiebeln und selbst gemachter Barbecuesauce zieren den Tisch. Herzhaft beißen die Gäste hinein und nehmen noch eine Tasse Tee oder Kaffee, bevor sie sich untereinander über ihre Eindrücke austauschen. Manche nutzen die Gelegenheit, einige Produkte im hauseigenen Bioladen einzukaufen.
So geht ein einzigartiges Erlebnis auf dem Biohof von Benedikt Bösel zu Ende. Eine Premiere, die für den Landwirt des Jahres 2022 besser kaum hätte laufen können. Doch auch in Zukunft hält der Hof seine Pforten für angemeldete Besucher regelmäßig gegen Zahlung von 40 Euro offen. Kinder unter 16 Jahren werden kostenfrei mitgenommen, müssen aber angemeldet werden. Nähere Informationen gibt es im Shop Gut & Bösel unter „Hoftouren“.
shop.gutundboesel.org/products/hoftouren
Rebellen der Erde
Wie wir den Boden retten – und damit uns selbst!
Mit einem Vorwort von Maja Göpel
Sachbuch. Hardcover
256 S. gebunden, durchgehend vierfarbig
Erschienen im März 2023 im Scorpio Verlag
ISBN 978-3-95803-560-7
Erhältlich im Buchhandel oder im Shop von Gut & Bösel
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