WWF-Planspiel simulierte globale Ernährungskrise 2020 bis 2030 – mit Kohlenstoffsteuer und Fleischsteuer in der EU
Fast fünf Jahre liegt mittlerweile ein Planspiel zurück, das im November 2015 im Hauptquartier des „World Wildlife Fund“ (WWF) in Washington, D. C. stattfand und das sich mit dem Szenario einer weltweiten Ernährungskrise in den Jahren 2020 bis 2030 befasste.
In Zeiten der Corona-Krise hat die Simulation unter dem Titel „Food Chain Reaction“, zu der sich 65 Politiker, Geschäftsleute und Akademiker aus mehreren Ländern eingefunden hatten, erneut an Aufmerksamkeit gewonnen.
Was tun, wenn die Lebensmittelpreise auf 400 Prozent steigen?
Wie die landwirtschaftliche Forschungseinrichtung CNA damals in einem Thesenpapier zusammenfasste, hatten sich die Teilnehmer, darunter das Center for American Progress, der WWF, der Agrarkonzern Cargill und der Süßwarenhersteller Mars über mögliche Strategien Gedanken gemacht, um auf Unterbrechungen der globalen Nahrungsmittelkette zu reagieren.
Regierungsbeamte und Experten befassten sich in vier Runden mit Druckszenarien auf die weltweite Versorgungskette in den 2020er Jahre. Sie agierten im Planspiel als Akteure wie Brasilien, der afrikanische Kontinent, Indien, die USA, multilaterale Institutionen, Konzerne und Investoren.
Ausgangsszenarien waren eine wachsende Bevölkerung, Urbanisierung, Wetterextreme und soziale Unruhen. Die Teilnehmer spielten konkret Modelle durch, in denen die Lebensmittelpreise infolge zweier größerer Nahrungsmittelkrisen durch „klimabedingte Extremwetterphänomene“ auf 400 Prozent kletterten, sowie der Sturz von Regierungen in Pakistan und der Ukraine mit Flüchtlingskrisen in Bangladesch, Myanmar, dem Tschad und dem Sudan zusammentrafen.
Einigung auf gemeinsame Strategien: Globalisierung als Ausweg
Die Teilnehmer entwickelten Strategien, trafen Entscheidungen und veranlassten Handlungen, um das Gleichgewicht der globalen Nahrungsversorgung wiederherzustellen.
So erfuhren Mitspieler, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen hatten und welche Lektionen daraus zu ziehen sind. Am Ende des Spiels zeigten die Akteure eine „erhöhte Bereitschaft, das Thema der Nahrungsmittelsicherheit gemeinsam anzugehen“.
Eine Lektion aus dem Spiel war die Bedeutung der Zusammenarbeit. Das heißt ein System einer vielfach verknüpften Weltwirtschaft mit allseitig geöffneten Märkten: In Zeiten von Krisen mit globalen Auswirkungen hatte sich eine Zusammenarbeit auf höherer Ebene eher bewährt als ein nicht abgestimmtes, individuelles Vorgehen.
Die Akteure einigten sich im Anschluss auf ein internationales Informationsnetzwerk, ein Frühwarnsystem zur Hungerbekämpfung und Nahrungsmittelsicherheit sowie gemeinsame Investitionen in smarte Agrartechnologie und globale Lager für Getreide und Nahrungsmittel zur Pufferbildung.
Mehrere Grundannahmen haben sich nicht bewahrheitet – und ein Happy End
Einige der Grundlagen des Szenarios sind mittlerweile überholt: Das Spiel begann mit der Annahme eines einigermaßen gesunden weltweiten Wirtschaftswachstums und einem Ölpreis von 75 US-Dollar pro Barrel. Tatsächlich liegt dieser heute Corona-bedingt auf einem ähnlichen Niveau wie damals zum Zeitpunkt des Planspiels. Der IWF geht beim globalen Wirtschaftswachstum von minus 4,5 Prozent aus.
Allerdings ist von witterungsbedingtem Druck auf die Nahrungsmittelversorgung wenig zu bemerken, auch die Getreidepreise zeigen – anders in der Weltfinanzkrise – keine extremen Ausschläge.
Im Spielszenario sind bis 2023 infolge von Dürrekatastrophen und Hitzewellen in China, Indien, Russland und der Ukraine der Ölpreis auf mehr als 100 US-Dollar pro Barrel hochgeschnellt. Bis 2024 hatten Hitze und Dürre die EU heimgesucht. Die Nahrungsmittelpreise stiegen daraufhin auf etwa 395 Prozent des Langzeitschnittes.
Erst dann wurde das weltweite Wirtschaftswachstum im Szenario gedrosselt. Allerdings findet das Spielszenario ein Happy End: Die Nahrungsmittelpreise konnten parallel zum Aufbau der globalen Nahrungsmittelreserven von 395 auf 141 Prozent des Langzeitschnittes gesenkt werden.
„Resilienz gestärkt, statt nur Brände zu löschen“
Der Cargill-Ökonom Tim Bodin, der das Spiel mitkonzipiert hatte und Teil des Schiedsrichterteams während des Spiels war, zeigte sich angetan von der multilateralen Gesinnung, die sich mit dessen Fortdauer einstellte:
Die meisten Spieler begannen mit einer kurzfristigen Perspektive, aber haben sich recht schnell auf langfristige Maßnahmen besonnen – sie haben damit begonnen, ihre Resilienz zu stärken, statt nur Brände löschen zu wollen.“
Unter den Maßnahmen, die vonseiten der Teilnehmer erwogen wurden, war auch die Einführung einer weltweiter CO2- sowie Fleischsteuer. Die USA, die EU, Indien und China hatten sich im Spiel als die 20 größten Verursacher von Treibhausgasen auf eine globale Kohlenstoffsteuersteuer und die Begrenzung der CO2-Emissionen bis 2030 geeinigt.
Die EU hatte im Alleingang angesichts der weltweiten Nahrungsmittel-Engpässe, die im Spieljahr 2022 zu verzeichnen waren, ihre Umweltauflagen für die Landwirtschaft aufgehoben und stattdessen eine Fleischsteuer eingeführt. Beide Maßnahmen sollten drei Jahre später wieder aufgehoben werden, nachdem sich die Versorgungslage wieder stabilisiert hätte.
Planspiel zu Pandemie wenige Monate vor Corona-Ausbruch
Einige Blogs verwiesen darauf, dass im Oktober 2019 ein ähnliches Spiel namens „Event 201“ stattfand, an dem wichtige Entscheidungsträger mehrerer Länder teilnahmen. Auch sie kamen zur Erkenntnis, dass globale Lösungen in multilateraler Zusammenarbeit tragfähiger sind als individuelle Lösungen.
Das Spiel, in dem es um ein Szenario einer globalen Pandemie ging, fand in New York statt. Veranstalter war das Johns Hopkins Center for Health Security, Partner waren das World Economic Forum und die Bill & Melinda Gates Foundation. Die zeitliche Nähe zur globalen Corona-Pandemie, die sich wenige Monate später von China aus über die Welt verbreitete, weckte Spekulationen über ein mögliches Vorwissen.
Die Veranstalter sahen sich deshalb zu einer Klarstellung genötigt. Das dort durchgespielte Szenario habe zwar eine fiktionale Coronavirus-Pandemie zum Modell gehabt, eine Prophezeiung des China-Virus sei damit aber nicht intendiert gewesen:
„Wir prophezeien jetzt nicht, dass der Ausbruch von nCoV-2019 den Tod von 65 Millionen Menschen zur Folge haben wird [wie es offenbar im Szenario als mögliche Zahl genannt wurde; Anm. d. Red.]. Obwohl bei unserer Tischplattenübung ein neues Coronavirus vorkam, dienten die Angaben lediglich der Berechnung der Folgen unser fiktives Virus. Diese weisen keine Ähnlichkeit zu nCoV-2019 auf.“
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