Wo der VW-Sparhammer am härtesten zuschlägt

Volkswagen und IG Metall haben kurz vor den Feiertagen einen Tarifkompromiss erzielt und damit drohende Jahresbeginn-Streiks abgewendet. Doch der neue Sparplan mit über 35.000 Stellenstreichungen bis 2030 sorgt für Sorgenfalten. Vor allem die Standorte im Osten schauen sorgevoll in die Zukunft. Schon ist vom „Kahlschlag im Osten“ die Rede.
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Ist der nun beschlossene VW-Kompromiss für das E-Auto-Werk in Zwickau nur ein Tod auf Raten?Foto: Spitzt-Foto/iStock
Von 25. Dezember 2024

Nach fünf Tagen Verhandlungen konnte am vergangenen Freitag ein Kompromiss im Tarifstreit zwischen Volkswagen und der IG Metall vorgestellt werden. Hätte sich der Tarifstreit über die Feiertage gezogen, wären zu Jahresbeginn flächendeckende Streiks möglich gewesen.

Der Sparplan, auf den sich der VW-Konzern und die Gewerkschaften geeinigt haben, hat es in sich: Bis 2030 sollen mehr als 35.000 Stellen abgebaut werden. Dass dieser Stellenabbau auch vonseiten der Gewerkschaft akzeptiert wurde, zeigt, dass es nicht gut um den Konzern gestellt ist. Als der damalige VW-Chef Herbert Diess im Herbst 2021 den Abbau von 30.000 Stellen durchrechnen ließ, war der Aufschrei im Konzern groß.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo wollte damals die Überlegungen Diess‘ zwar nicht öffentlich kommentieren, wie sie damals gegenüber dem „Handelsblatt“ sagte. „Zu Spekulationen über angebliche Interna aus dem Aufsichtsrat nehmen wir grundsätzlich keine Stellung“, sagte Cavallo. Um dann aber nachzusetzen:

„Unabhängig davon gilt aber: Ein Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen – das wäre in der Volkswagen AG jeder vierte – ist absurd und entbehrt jeder Grundlage.“

Die Grundlagen scheinen sich drei Jahre später geändert zu haben. Die Zahl, die nun Bestandteil des Kompromisses ist, ist sogar noch um einige Tausend höher.

Abbau von Kapazitäten

Wie der „Spiegel“ zuerst schrieb, wird VW „in seinen deutschen Werken die technische Kapazität zum Bau von 734.000 Autos im Jahr“ abbauen. Der Konzern hat den Abbau von Kapazitäten auch inzwischen offiziell bestätigt.

„An der Kapazitätsanpassung führte kein Weg vorbei. Sie wäre mit verschiedenen Mitteln erreichbar gewesen. Die jetzt vereinbarte Lösung mit Abbau der Kapazitäten an verschiedenen Standorten entspricht dem Produktionsumfang von zwei bis drei großen Werken“, sagte VW-Vorstandschef Oliver Blume gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ).

Zuvor war in den Verhandlungen mit der IG Metall auch über Werkschließungen verhandelt worden. So hatten verschiedene Medien während der Verhandlungen gemeldet, dass der VW-Konzern plane, die Produktion von Elektroautos am Standort Zwickau einzustellen. Das dementierte ein VW-Pressesprecher aber umgehend gegenüber dem Fernsehsender MDR. Er bedauere, dass diese Meldung zu einer starken Verunsicherung geführt hat „bei unseren Beschäftigten, deren Familien und im Zulieferbereich“, so Sommer.

Die Behauptungen seien falsch. Eine Einstellung der E-Auto-Produktion würde einer Standortschließung gleichkommen. Und das könne man eindeutig ausschließen, betonte Sommer. Trotzdem gehört der Osten zu den Verlierern beim Kompromisspaket. Von einer gleichmäßigen Lastenverteilung auf alle Werke in Deutschland kann nicht die Rede sein, wenn man in die Mitteilung der IG Metall schaut.

Zwickau könnte böse erwachen

Vielmehr gibt es eine vereinbarte Modellverschiebung zwischen den Werken, die zumindest im Elektroautowerk Zwickau ein böses Erwachen geben könnte. Der VW ID.3 und sein Schwestermodell Cupra Born, die gemeinsam auf einer Linie gebaut werden, kommen künftig aus Wolfsburg. Der ID.4 wird mit einem Facelift komplett nach Emden verlagert. Bisher wurde das Modell sowohl in Zwickau als auch in Emden gebaut.

In Zwickau verbleibt künftig nur noch eine Produktionslinie und mit dem Audi Q4 e-tron nur noch ein Modell. Das nährt tatsächlich Zweifel daran, ob es für Zwickau bei VW noch eine langfristige Perspektive gibt. Schon mit der Produktion der bisherigen Modelle ID.3, Born, ID.4, ID.5 und Q4 e-tron war das Werk nicht ausgelastet.

Das Werk in Zwickau ist für 350.000 E-Autos im Jahr ausgelegt. Aber schon 2022 wurden nur 218.000 Autos gefertigt. Im November letztes Jahr wurde deshalb schon eine Schicht gestrichen, wie das „Handelsblatt“ schrieb. Wie ein Standortsprecher mitteilte, hatte das Unternehmen damals eine Schicht in der Fertigungslinie des ID.3 und Cupra Born gestrichen. Je nach Marktlage könnte im nächsten Jahr auch die zweite Fertigungslinie an dem Standort „auf einen klassischen Zwei-Schicht-Betrieb mit Früh- und Spätschicht umgestellt werden“, so der Sprecher damals weiter.

Schicht schon vergangenes Jahr gestrichen

Jahrelang fertigte das Werk in Zwickau auf zwei Montagelinien in einem Drei-Schicht-Betrieb aus Früh-, Spät- und Nachtschicht. Ende September des vergangenen Jahres hatte Volkswagen jedoch eine mehr als 30 Jahre alte Betriebsvereinbarung dazu gekündigt. Das Management verwies damals auf „die aktuelle Marktsituation“. In den Monaten zuvor war die Produktion wegen zu geringer Nachfrage immer wieder gedrosselt worden, die Verträge von knapp 270 befristeten Beschäftigten wurden nicht verlängert.

Unter diesen Umständen ist es schwer vorstellbar, dass der Standort Zwickau zukünftig mit nur einem Modell profitabel arbeiten kann. In der Mitteilung der IG Metall heißt es dazu auf Zwickau bezogen:

„Es entsteht eine mögliche Drehscheibe mit Wolfsburg. Zudem entsteht Kapazität, um erneut Pionier im Konzern zu sein: diesmal für den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft („Circular Economy“ – ein Trend zu Recycling-Themen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette). Und: VW Sachsen geht 2026 (statt 2027) in den VW-Haustarif!“

Tatsache bleibt allerdings trotzdem, dass Zwickau zukünftig von der Nachfrage nach nur einer Baureihe abhängig sein wird. Bleibt diese aus, könnte der Standort Zwickau schnell infrage gestellt werden.

Gewerkschaft verkauft Kompromiss als Erfolg

Die Gewerkschafter der IG Metall scheinen erst einmal glücklich zu sein, dass sie vor Weihnachten keine Massenentlassungen verkünden müssen. „Kein Standort wird dichtgemacht, niemand wird betriebsbedingt gekündigt und unsere Haustarife werden langfristig abgesichert. Mit diesem Dreiklang haben wir unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen eine grundsolide Lösung erkämpft“, kommentierte Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG am Freitag die Einigung.

Zwar gebe es „tarifliche Zugeständnisse jenseits der monatlichen Einkommen“, demgegenüber stehe aber „der solidarisch erwirkte Erhalt aller Standorte samt Zukunftsperspektiven, eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030“, resümiert Cavallo weiter.

„Noch keinerlei Substanz“

Dass für das VW-Werk in Zwickau nun eine Batterie-Recycling-Anlage neue Arbeit bringt und so den Kapazitätsrückgang ausgleicht, wenn Fertigungslinien nach Wolfsburg abgeben werden, wird von Branchenexperten bezweifelt. Gegenüber der „Tagesschau“ sagte Professor Werner Olle vom Chemnitz Automotive Institute (CATI) am Freitag, dass das für Zwickau zusätzlich genannte Ziel, neue Geschäftsfelder in der Kreislaufwirtschaft zu erschließen, „noch keinerlei Substanz habe“.

In Dresden wird bald ganz Schluss mit Fahrzeugbau sein. In der Gläsernen Manufaktur, wo im kleinen Maßstab Elektroautos auf Basis des MEB gebaut werden, soll der Fahrzeugbau Ende 2025 eingestellt werden. Zuletzt wurden hier um die 6.000 Volkswagen ID.3 jährlich produziert.

Für die Zeit ab 2026 wird „nun ein alternatives Gesamtkonzept erarbeitet“, heißt es in der Mitteilung der IG Metall. „Fest steht dafür bereits: Die Volkswagen AG wird auch in Zukunft mit eigenen Aktivitäten am Standort präsent sein“, schreiben die Gewerkschafter weiter.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warnte kurz nach Bekanntwerden der Einigung vor einem wirtschaftlichen Kahlschlag im Osten. „Wenn Einsparungen vorgenommen werden müssen, hat es fair zuzugehen. Es darf nicht zu einem Sterben auf Raten kommen und dazu führen, dass nur die Werke im Ausland und in Niedersachsen Bestand haben“, sagte Kretschmer laut dem MDR.

Land Niedersachsen mit großem Einfluss auf VW

Tatsächlich hat das Land Niedersachsen eine enge Verbindung zu Volkswagen.  Als einer der größten Aktionäre hält Niedersachsen 11,8 Prozent der Stammaktien von VW und hat durch das sogenannte VW-Gesetz ein besonderes Mitspracherecht im Konzern.

Das VW-Gesetz regelt den Einfluss des Landes Niedersachsen im Volkswagen-Konzern. Es wurde 1960 bei der Privatisierung von Volkswagen eingeführt und sieht vor, dass wichtige Entscheidungen auf der Hauptversammlung eine Mehrheit von 80 Prozent der Stimmen erfordern.

Dadurch hat Niedersachsen mit seinen 11,8 Prozent der Stammaktien ein Vetorecht bei grundlegenden Unternehmensfragen. Ursprünglich begrenzte das Gesetz auch die Stimmrechte einzelner Aktionäre auf 20 Prozent, unabhängig von ihrem tatsächlichen Anteil. Diese Regelung wurde jedoch 2013 vom Europäischen Gerichtshof als wettbewerbswidrig erklärt. Trotz mehrerer Anpassungen blieb die 80-Prozent-Klausel erhalten, wodurch Niedersachsen weiterhin erheblichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik hat.

Ministerpräsident Mitglied im VW-Aufsichtsrat

Seit 2013 sitzt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Aufsichtsrat des Autobau-Konzerns. Laut der Tagesschau war von Beschäftigten und Gewerkschaftlern immer wieder geargwöhnt worden, dass die Werke im Stammsitz Wolfsburg und in Niedersachsen weniger von Streichplänen betroffen sein könnten.

In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagte Weil Ende November:  „Volkswagen ist aktuell meine größte Baustelle“. Für die Entwicklung des Autobauers sah er jedoch keine große Verantwortung beim Aufsichtsrat, der fast jede Entscheidung einstimmig getroffen habe. Auch nicht für die Entscheidung des damaligen VW-Vorstands Herbert Diess, das Werk in Zwickau völlig auf E-Autos umzustellen.

Im Juni 2020 lief das letzte Auto mit Verbrennungsmotor vom Band. „Ab jetzt steht der Standort Zwickau ganz im Zeichen der Elektromobilität“, sagte Reinhard de Vries, Geschäftsführer Technik und Logistik bei Volkswagen Sachsen damals. Eine Entscheidung, die dem Standort am Ende teuer zu stehen kommen könnte.



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