Wirtschaftsweise Malmedier macht sich „wenig Sorgen“ um deutsche Wirtschaft – Unternehmen dagegen schon
Ende Mai veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die Konjunkturzahlen des ersten Jahresquartals. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist demnach im Vergleich zum letzten Quartal 2022 um 0,3 Prozent geschrumpft.
Nachdem schon das vierte Quartal im letzten Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent verzeichnete, waren die Kriterien der technischen Rezession erfüllt. Deutschland hatte es nun schwarz auf weiß: Die deutsche Wirtschaft ist im Winter in eine Rezession gerutscht.
Man kann zuversichtlich sein, da wir die „Marktkräfte entfesseln“
Kurz nachdem die offiziellen Zahlen vorgelegen hatten, versuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einer Pressekonferenz mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Christodoulides in Berlin trotzdem Zuversicht zu verbreiten. „Die Aussichten der deutschen Wirtschaft sind sehr gut“, so Scholz. „Wir lösen die Herausforderungen, vor denen wir stehen.“ Es bestehe Vollbeschäftigung und eine große Nachfrage nach Fachkräften – und die Regierung habe jetzt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht.
„Im Übrigen entfesseln wir gerade die Kräfte unserer Wirtschaft mit vielen, vielen Gesetzen, mit denen wir Genehmigungsverfahren beschleunigen und insbesondere den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen“, betonte der Kanzler.
Ende des Jahrzehnts werde Deutschland 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen decken. Dazu müssten Erzeugungsanlagen „investiert und gebaut“ und die Stromnetze ausgebaut werden. „Was man ja bemerkt, ist, es wird viel investiert in Deutschland, was Batteriefabriken betrifft, Chipfabriken“, meinte Scholz. „Das nimmt erheblich zu, und deshalb kann man sehr zuversichtlich sein, weil wir, wie gesagt, die Marktkräfte entfesseln.“
„Ich mache mir derzeit recht wenig Sorgen um die deutsche Wirtschaft“
Ins gleiche Horn blies nun auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. In einem Interview mit den Zeitungen der Mediengruppe Bayern von Samstag gibt sich die Ökonomin ganz gelassen angesichts der Konjunkturlage. „Ich mache mir derzeit recht wenig Sorgen um die deutsche Wirtschaft“, sagte sie.
Sie habe bisher nur beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) einen Rückgang gesehen. „Die Wertschöpfung ist nämlich im letzten Quartal gestiegen, vor allem, da das Baugewerbe und das verarbeitende Gewerbe gewachsen sind.“
Zum Rückgang der Ausgaben sagte Malmendier, dieser sei „lediglich durch die deutlich gesunkenen Staatsausgaben bedingt, etwa auslaufende Pandemieausgaben. Das ist per se keine schlechte Nachricht.“
Es gibt Entwicklungen, die „Bauchschmerzen“ bereiten
Auf die Frage, ob Deutschland auf dem Weg zum kranken Mann Europas sei, wird dann doch deutlich, dass es keinen Grund für Sorglosigkeit gibt. Malmendier spricht von Entwicklungen, die ihr „Bauchschmerzen“ bereiten. „Erstens beobachten wir derzeit eine gewisse Nachfrageschwäche, wohl zu einem guten Teil wegen der anhaltenden Belastung durch die Inflation.“, so die Ökonomin. Sie hoffe sehr, dass die EZB „weiter dazu beiträgt, diese in den Griff zu bekommen.“
„Zweitens werden die nachhaltig höheren Energiepreise zu Verschiebungen in der Industrieproduktion führen“, sagte Malmendier. Sie hoffe sehr, dass „mehr zukunftsorientierte Industrien mit langfristigen Perspektiven in Deutschland unterstützt werden.“ Die Ökonomin betonte weiter, dass die Politik hoffentlich nicht der Versuchung nachgebe, den „Zustand um jeden Preis erhalten zu wollen.“
So rosig ist die Lage der Wirtschaft in Deutschland also doch nicht. Ulrike Malmendier gibt selbst zu, dass es im Moment einen Nachfragemangel gibt.
Stimmung in der Wirtschaft gedämpft
Unternehmen schauen überwiegend mit Sorgen in die Zukunft. Das bestätigt der „ifo-Geschäftsklimaindex“ vom Mai. Der Index ist nach Angaben des Instituts im letzten Monat auf 91,7 Punkte gefallen. Im April erreichte er noch 93,4 Punkte. „Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat einen deutlichen Dämpfer erhalten“, schreibt der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, in seiner Pressemitteilung. Gegenüber dem „Handelsblatt“ sagt der Ökonom, es könne leicht passieren, „dass wir im Gesamtjahr unter die Nullgrenze rutschen.“
Den Treiber für diese Entwicklungen sieht Fuest in den deutlich pessimistischen Erwartungen der Wirtschaft in den kommenden Monaten. So seien die Unternehmer auch etwas weniger zufrieden mit ihren Geschäften gewesen. „Die deutsche Wirtschaft blickt skeptisch auf den Sommer“, resümiert der ifo-Chef.
Gerade im Verarbeitenden Gewerbe habe sich das Geschäftsklima verschlechtert. Hier würden die Unternehmen deutlich niedrigere Erwartungen an die Zukunft stellen. Die Verschlechterung der Erwartungen zieht sich durch nahezu alle Branchen.
Einen ähnlich starken Rückgang der Erwartungen hätte es zuletzt im März letzten Jahres nach Beginn des Krieges in der Ukraine gegeben. Auch die aktuelle Lage würde vom Verarbeitenden Gewerbe als weniger gut beurteilt. Demnach ging der Auftragseingang zurück.
Auch im Handel sind die Erwartungen deutlich gesunken. Nach Monaten drehte der Index wieder in den negativen Bereich. Besonders im Großhandel verschlechterte sich die Stimmung.
Wie der Großhandel blickt auch das Baugewerbe seit einigen Monaten pessimistisch in die Zukunft. Der ifo-Geschäftsklimaindex führt das hauptsächlich auf die schlechte Einschätzung der aktuellen Lage zurück.
Zufrieden ist im Moment lediglich der Dienstleistungssektor. Diese Unternehmen sind mit den laufenden Geschäften zufrieden. Allerdings schauen sie pessimistischer auf die kommenden Monate.
Das ifo-Geschäftsklima basiert auf circa 9.000 monatlichen Meldungen von Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Dienstleistungssektors, des Handels und des Bauhauptgewerbes. Die Unternehmen werden gebeten, ihre gegenwärtige Geschäftslage zu beurteilen und ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate mitzuteilen.
Möglichkeit eines leichten Wachstums nicht ausgeschlossen
Obwohl die deutsche Wirtschaft in eine sogenannte technische Rezession geraten ist, ist der Einbruch nicht so stark ausgefallen wie von einigen vor dem Winter befürchtet. Es besteht auch die Möglichkeit eines leichten Wachstums, obwohl die Aussichten für die kommenden Monate begrenzt sind.
Die Bundesbank prognostiziert bereits ein leichtes Wachstum im laufenden zweiten Quartal. Experten sehen nun die Politik in der Verantwortung. Kurzfristig hat politisches Handeln erfahrungsgemäß nur geringen Einfluss auf die Konjunkturentwicklung.
Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, erklärt gegenüber dem „Handelsblatt“ jedoch: „Die wirtschaftliche Entwicklung ist derzeit national und international von vielen Unsicherheiten geprägt.“ Die Bundesregierung könne einen Beitrag zur Reduzierung der Unsicherheit leisten, indem sie sich auf eine klare gemeinsame Linie einigt.
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