Rekordpleitewelle: Insolvenzen steigen dramatisch an

Die Insolvenzzahlen in Deutschland erreichten im März alarmierende Höchststände. Die vorhergesagte Pleitewelle rollt also an. Doch gibt es Hoffnung auf Besserung. Das sieht zumindest das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) so. Vor allem in einem Punkt sehen die Wirtschaftsforscher auch eine Chance in der Insolvenzwelle.
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Die Insolvenz der Warenhauskette „Galeria Kaufhof“ gehört im ersten Quartal zu den spektakulärsten Pleiten.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 15. April 2024

Hohe Zinsen, schlechte Konjunktur und teure Energie werden für Unternehmen in Deutschland zunehmend zu einem Problem. Das belegen nun auch am vergangenen Freitag, 12. April, veröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. So stieg die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen im März um 12,3 Prozent im Vergleich zum Vormonat. „Seit Juni sind damit durchgängig zweistellige Wachstumsraten im Vorjahresvergleich zu beobachten“, betont die Bundesbehörde. 

Im Februar betrug das Plus noch 18,1 Prozent und ist damit ungleich größer ausgefallen. Zwischen April 2023 und März 2024 lagen die Zahlen der Regelinsolvenzen in etwa auf dem Vor-Corona-Niveau von April 2019 bis März 2020.

Forderungen von Gläubigern bei rund 3,5 Milliarden

Im Januar 2024 meldeten die Amtsgerichte nach endgültigen Ergebnissen 1.622 beantragte Unternehmensinsolvenzen. Das waren 27,6 Prozent mehr als im Januar 2023, aber 0,8 Prozent weniger als im Januar 2020 (1.609 beantragte Unternehmensinsolvenzen), dem entsprechenden Vergleichsmonat im Zeitraum vor dem von Sonderregelungen und niedrigen Insolvenzzahlen geprägten Zeitraum der Corona-Krise. Die Forderungen der Gläubiger aus den im Januar 2024 gemeldeten Unternehmensinsolvenzen bezifferten die Amtsgerichte auf rund 3,5 Milliarden Euro. Im Januar 2023 hatten die Forderungen bei rund 2,3 Milliarden Euro gelegen.

Bezogen auf 10.000 Unternehmen gab es im Januar 2024 in Deutschland insgesamt 4,7 Unternehmensinsolvenzen. Die meisten Insolvenzen je 10.000 Unternehmen entfielen auf den Wirtschaftsabschnitt Verkehr und Lagerei mit 9,1 Fällen. Danach folgten die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (zum Beispiel Zeitarbeitsfirmen) mit 7,9 Fällen, das Baugewerbe mit 7,1 Fällen sowie das Verarbeitende Gewerbe mit 6,0 Fällen je 10.000 Unternehmen. Im Januar 2024 gab es 5.655 Verbraucherinsolvenzen. Damit stieg die Zahl der Verbraucherinsolvenzen um 6,3 Prozent gegenüber Januar 2023, so die Behörde.

Die Regelverfahren fließen erst nach der ersten Entscheidung des zuständigen Insolvenzgerichts in die Statistik des Bundesamtes ein. Da bis zur Eröffnung des Verfahrens bis zu drei Monate vergehen können, liegt der Insolvenzzeitpunkt der Unternehmen meistens weit davor. Daher bilden die Zahlen des Statistischen Bundesamtes die Wirklichkeit immer etwas zeitverzögert ab.

Rekordwert aus dem Februar nun übertroffen

Aktueller ist der sogenannte „IWH-Insolvenztrend“ des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH), der am 10. April veröffentlicht wurde. Demnach lag die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland im März bei 1.297. „Damit wird der jüngste Rekordwert, der im Februar gemessen wurde, nochmals um neun Prozent übertroffen“, kommentiert das Institut seine Zahlen. Der aktuelle Wert liege zudem 35 Prozent höher als im März 2023 und 30 Prozent über dem März-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie.

Auch für den April erwartet das Wirtschaftsinstitut noch einmal hohe Insolvenzzahlen. „Bei den Frühindikatoren ist jedoch ein Silberstreif am Horizont erkennbar“, sagte IWH-Experte Steffen Müller. „Das nährt die Hoffnung, dass die Insolvenzzahlen ab Mai wieder leicht zurückgehen könnten. Trotzdem werden sie noch viele Monate über dem Vor-Corona-Niveau liegen.“

Pleiten seien für die betroffenen Unternehmen, Beschäftigten und Gläubiger schmerzhaft. Für eine dauerhaft wettbewerbsfähige Volkswirtschaft seien sie aber wichtig, betont Müller. Nicht mehr tragfähige Geschäftsmodelle würden so vom Markt abtreten und Platz für Neues schaffen.

Der IWH-Insolvenztrend ist im Allgemeinen ein verlässlicher Frühindikator. Für seine Analysen wertet das IWH die aktuellen Insolvenzbekanntmachungen der deutschen Registergerichte aus und verknüpft sie mit Bilanzkennzahlen betroffener Unternehmen. 

„Der aktuelle Höchststand bei den Insolvenzen spiegelt die deutlich gestiegenen Kosten, insbesondere die stark angestiegenen Zinsen für Unternehmenskredite. Dies wird zusätzlich durch die Nachholeffekte der Corona-Pandemie verstärkt, bei der zahlreiche schwache Unternehmen durch staatliche Hilfen am Leben gehalten wurden“, erklärt IWH-Ökonom Steffen Müller, der Professor an der Universität Magdeburg ist, gegenüber „Focus Online“.

Befürchtete Pleitewelle hat eingesetzt

Mehr Insolvenzen bedeuten in der Regel auch mehr verlorene Arbeitsplätze. Einen Aufschluss darüber gebe die Zahl der Jobs, die durch Großinsolvenzen wegfallen, so die Wirtschaftsforscher. Laut IWH waren im März etwa 11.000 Arbeitsplätze von der Insolvenz der „größten zehn Prozent der Unternehmen“ betroffen. Das entspricht einem Anstieg von 42 Prozent im Vergleich zu einem durchschnittlichen März vor der Corona-Pandemie. Die lange befürchtete Pleitewelle scheint nun also einzusetzen.

Wie lässt sich der neue Rekord der IWH-Erhebung in diesem Kontext einordnen? Laut Professor Müller, „sanken sowohl die Insolvenzzahlen als auch die Anzahl betroffener Arbeitsplätze in den Jahren 2021 und 2022, bevor beide Kennzahlen im Jahr 2023 wieder deutlich anstiegen“. Jetzt, im ersten Quartal 2024, verzeichnet das IWH erneut einen signifikanten Anstieg, sowohl bei den Insolvenzzahlen als auch bei der Anzahl betroffener Arbeitsplätze, so Müller. Er fügt hinzu, dass es eine „30-prozentige Zunahme betroffener Arbeitsplätze im Vergleich zum ersten Quartal 2020“ gebe.

Damals war die Zahl der Insolvenzen absolut gesehen niedriger. Jedoch war die Wirtschaft im Jahr 2020 trotz einer vergleichsweise geringen Insolvenzrate aufgrund einiger stark zu Buche schlagenden Großinsolvenzen in der Mitte des Jahres so stark von Insolvenzen betroffen wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr.

Risiko von langer Arbeitslosigkeit gering

Ein Blick auf die späteren Monate des ersten Corona-Jahres bestätigt das. Im Juli 2020 gab es beispielsweise laut Daten des IWH 865 Insolvenzen – über 400 weniger als im März 2024. Bei den zehn Prozent der größten Insolvenzen waren allerdings damals über 45.000 Arbeitsplätze betroffen, mehr als viermal so viele wie zuletzt.

IWH-Experter Müller erinnert auch daran, dass es vielerorts einen Mangel an Arbeitskräften gebe. „Das zeigt, dass Beschäftigte in leistungsfähigen Unternehmen händeringend gesucht werden. Deshalb ist das Risiko von Arbeitslosigkeit und langanhaltenden Einkommensverlusten nach Insolvenz des Arbeitgebers derzeit begrenzt.”



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