Wirtschaftsboom oder Verbraucher-GAU? Umweltverbände warnen vor EU-Mercosur-Abkommen

Am 4. Dezember treffen sich die politischen Spitzen von Deutschland und Brasilien nach acht Jahren in Berlin. Dabei wird es mit Sicherheit auch um das umstrittene EU-Mercosur-Abkommen gehen. Auf Europäischer Ebene möchte man nun noch in diesem Jahr zum Ende kommen.
Umweltaktivistinnen und -aktivisten sind aus Protest gegen ein Handelsabkommen mit südamerikanischen Staaten auf das Gebäude des EU-Ministerrats geklettert. Sie brachten dort am Donnerstag Banner mit der Aufschrift «Stop EU Mercosur» an.
Das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur wird auch von Umweltaktivisten kritisch gesehen.Foto: Marek Majewsky/dpa-Zentralbild/dpa
Von 3. Dezember 2023

Am kommenden Montag kommen erstmals seit acht Jahren die politischen Spitzen von Deutschland und Brasilien zu einer Regierungskonsultation in Berlin zusammen. Wie die Nachrichtenagentur dpa schreibt, wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva mit militärischen Ehren in seinem Amtssitz Schloss Bellevue in Berlin empfangen.

Später wird der brasilianische Präsident eine Rede im Bundesrat halten. Am Nachmittag finden unter Vorsitz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Lula im Kanzleramt die eigentlichen Regierungskonsultationen statt.

Wie die stellvertretende Regierungssprecherin, Christiane Hoffmann, sagte, sollen die Gespräche unter dem Leitthema „Deutschland und Brasilien – starke Partner für Fortschritt und Nachhaltigkeit“ stehen.

Themen, die während der Konsultation angesprochen werden sollen, sind bilaterale wirtschafts- und finanzpolitische Themen, grüne Transformation sowie die Themen Energie, Klima, Umweltentwicklung, Ernährung und die Außen- und Verteidigungspolitik.

Eine der weltweit größten Freihandelszonen

Wenn es um wirtschaftliche Themen geht, dann dürften Scholz und Lula auch auf das EU-Mercosur-Abkommen zu sprechen kommen.

Dabei geht es um das sogenannte Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Staaten des Mercosur – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Dieses Abkommen beinhaltet Bestimmungen zu politischem Dialog, Kooperation und Handel. Fast 20 Jahre wurde dieses Abkommen von beiden Seiten verhandelt. Im Juni 2019 hatten die verhandelnden Parteien dann eine Einigung über den Handelsteil erzielt.

Derzeit verhandelt man noch über ein Begleitinstrument zu dem Abkommen zur Stärkung von Nachhaltigkeitsaspekten. Nachdem man sich darüber geeinigt hat, würde der Vertragsentwurf an den Europäischen Rat und das Europaparlament gehen.

Beide Gremien müssten zustimmen. Danach könnte der Ratifizierungsprozess starten. Alle nationalen Parlamente müssten in diesem Fall dem Abkommen zustimmen. Die Bundesregierung unterstützt das Abkommen.

Würde das Abkommen ratifiziert werden, entstünde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit über 715 Millionen Einwohnern. Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sind wichtige Absatzmärkte für die deutsche Wirtschaft, weshalb auch die Wirtschaft eine Ratifizierung unterstützt.

So sollen Zölle in Höhe von 4 Milliarden Euro jährlich wegfallen. Die europäische Seite verspricht sich davon, mehr Autos nach Südamerika liefern zu können und wichtige Rohstoffe zu erhalten. Die südamerikanischen Staaten wollen mehr landwirtschaftliche Produkte nach Europa exportieren.

„Giftvertrag“ stoppen

Es gibt aber nicht nur Zustimmung zum Abkommen. So startet gerade erst das „Umweltinstitut München“ eine Unterschriftenaktion unter dem Titel „EU-Mercosur stoppen, Herr Scholz!“. Das Institut befürchtet, dass schon am Montag Bundeskanzler Scholz und Präsident da Silva den endgültigen Durchbruch bekannt geben könnten. Deshalb sollen 20.000 Unterschriften gesammelt werden, die den Bundeskanzler auffordern, den „Giftvertrag“ zu stoppen.

Der Lobbyverband kritisiert vor allem, dass das Abkommen auch die Abschaffung eines Großteils der Zölle auf EU-Chemieexporte vorsieht. Darunter auch die auf Pestizide. „Somit fördert das Abkommen den Handel mit teilweise in der EU verbotenen Giften.“, so das Umweltinstitut.

Das führe in Lateinamerika zu schweren Krankheiten bis zu Fehlgeburten und Naturzerstörung. Umgekehrt landeten die belasteten Lebensmittel bei den Verbrauchern in Europa. „Bereits heute ist Obst aus Brasilien, das in der EU verkauft wird, mit bis zu sieben Pestiziden belastet, die hier verboten sind.“

Im März hatte Greenpeace in Österreich Obst aus Brasilien in einem unabhängigen Labor auf Pflanzengifte testen lassen. Das Ergebnis erschreckte: Rund zwei Drittel der Proben, darunter Papaya und Mango, waren mit gesundheitsgefährdenden oder umweltschädlichen Pestiziden belastet. Auf jedem fünften Obst wurden sogar Wirkstoffe gefunden, die in der EU nicht mehr verspritzt werden dürfen.

“Die Ergebnisse des Tests zeigen einen besorgniserregenden Gift-Kreislauf. Europäische Agro-Chemie-Konzerne produzieren Pflanzengifte, die auf unseren Feldern seit Jahren verboten sind und machen damit in Ländern wie Brasilien ein großes Geschäft. Die Pestizide gefährden die Natur und Menschen vor Ort und landen schlussendlich durch importierte Lebensmittel wieder auf unseren Tellern”, kritisierte damals Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace in Österreich.

Allgemeine Bekenntnisse für mehr Nachhaltigkeit im Handel reichen nicht

Mit ihrer Kritik stehen beide Umweltverbände aber nicht alleine da. Auch der Bauernverband forderte im Februar einen Stopp des Handelsabkommens.

„Es ist doch schlichtweg grotesk, wenn Lebensmittel um die halbe Welt transportiert werden, obwohl wir sie vor der eigenen Haustür nachhaltiger erzeugen könnten.“, sagte Präsident, Joachim Rukwied damals der „Rheinischen Post“. Das Abkommen sei gerade für die Bauern mit Schweine-, Geflügel- und Rinderhaltung eine große Bedrohung.

„Das Mercosur-Abkommen darf so nicht kommen. Es muss neu verhandelt werden“, forderte Rukwied weiter. Zudem würde man noch abhängiger von Importen, „also könnten in Krisensituationen die Preise stärker steigen“. Der Präsident ergänzte, klargestellt werden müsse, dass etwa die Minderung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln genauso für Importe gelte.

„Gleiches gilt für unsere Tierwohlstandards. Hält Südamerika diese Standards dann nicht ein, müssen die Importe von der EU gestoppt werden können.“ Allgemeine Bekenntnisse für mehr Nachhaltigkeit im Handel reichten jedenfalls nicht aus, sagte Rukwied.

Todesstoß für das Abkommen, ein „historisches Versagen“

Auch die Grünen forderten gerade erst am letzten Wochenende auf ihrem Europa-Parteitag in Karlsruhe eine Nachbesserung des Handelsabkommens.

In der vorliegenden Form sei der Deal abzulehnen. Es gehe darum, „grundlegende Veränderungen zu erreichen für ein faires, ökologisches und postkoloniales Abkommen“. Der Beschluss von Nachverhandlungen wurde vom Grünen-Parteitag gegen den Willen des Bundesvorstandes beschlossen.

Diesen Beschluss am Ende in die Tat umzusetzen, dürfte den Grünen allerdings schwerfallen, sitzen sie doch in der Regierung. Und dort sind die Koalitionspartner grundsätzlich für das Abkommen. Im Koalitionsvertrag wurde die Zustimmung allerdings schon vor zwei Jahren an Bedingungen geknüpft.

Dagegen sträuben sich im Moment allerdings die Mercosur-Staaten. Sie lehnen zusätzliche Auflagen und vor allem Sanktionen bei Nichteinhaltung des geplanten Abkommens strikt ab.

Die Union warnte in Richtung der Grünen gerade erst vor einem Scheitern des Abkommens. Fraktionsvize Jens Spahn sprach in der Aktuellen Stunde des Bundestages am Mittwoch von „Spielereien“, die am Ende „bittere Konsequenzen“ für die Wirtschaft hätten. Sollten die Grünen mit ihren Forderungen nach Nachverhandlungen dem Mercosur-Abkommen den Todesstoß versetzen, dann sei das „historisches Versagen“.

Brüssel möchte das Abkommen nun möglichst schnell auf den Weg bringen. Noch bis Jahresende soll das Verfahren auf europäischer Ebene abgeschlossen sein, damit es dann in die nationalen Parlamente gehen kann.

 

 

 



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