Wirtschaftsanwalt: Bei Lieferstopp von Gas oder Öl gucken Unternehmen in die Röhre

Die Nord Stream-Pipeline zwischen Deutschland und Russland ist vorerst gestoppt.
Die Nord Stream-Pipeline zwischen Deutschland und Russland.Foto: Dmitry Lovetsky/AP/dpa
Epoch Times9. April 2022

Bei einem Lieferstopp von Gas oder Öl aus Russland oder einem entsprechenden EU-Embargo hätten betroffene Unternehmen wohl kaum eine Chance, dagegen erfolgreich zu klagen. „Der russische Lieferant müsste sich fragen, ob er noch liefern darf, und der deutsche Versorger, ob er noch abnehmen darf“, sagt Rupert Bellinghausen, Partner in der international tätigen Kanzlei Linklaters, im Interview mit AFP. „In beiden Fällen lautet die Antwort nein.“ Alles weitere sei dann eine Frage des Vertragsrechts.

Wer rechtlich nicht mehr liefern könne, müsse das in diesem Zeitraum auch nicht tun, erklärt der Wirtschaftsanwalt. Das gelte unabhängig davon, welche politische Seite den Lieferstopp verhängt habe. In der Folge gelte das Leistungsstörungsrecht, die gesamte weitere Lieferkette sei gestört, ohne dass der bereits bestehende Vertrag unwirksam oder nichtig werde.

Ein Embargo sei höhere Gewalt, die zumindest in internationalen Verträgen regelmäßig geregelt sei, aber auch in vielen deutschen Verträgen zwischen Unternehmen. Während früher nur Naturkatastrophen oder Kriege als höhere Gewalt galten, seien inzwischen meist auch Embargos, Pandemien oder sogar Streiks explizit aufgelistet, sagt Bellinghausen. Selbst ohne eine vertragliche Regelung gebe es Gesetzesvorschriften mit ähnlichem Inhalt.

Unternehmen werden in Schwierigkeiten geraten

Komplizierter wird es weiter hinten in der Kette: also bei den Unternehmen, die mit Gas oder Öl beliefert werden und bei einem Stopp nicht mehr produzieren können. „Hier stellt sich die Frage, ob der Versorger oder Zwischenhändler Gas oder Öl anderswo beschaffen muss, um den Vertrag zu erfüllen.“

Bei einer totalen Verknappung des Angebots sei dies aber voraussichtlich nicht möglich, ohne einen sehr hohen Preisaufschlag zu zahlen – der oft nicht weitergegeben werden könne. „In einem solchen Fall wäre die Geschäftsgrundlage weggefallen“, erklärt der Anwalt. „Vermutlich würde kein Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Versorger liefern muss, koste es, was es wolle.“ Anders sei dies nur, wenn der Lieferant das Beschaffungsrisiko übernommen habe.

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage sei in Deutschland gesetzlich geregelt und seine Voraussetzungen seien ähnlich definiert wie die höhere Gewalt: Die Entwicklung müsse unvorhersehbar sein und nicht von vornherein in die Risikosphäre nur der einen Seite fallen. Dann müsse niemand den Vertrag erfüllen, solange das Hindernis fortbestehe.

Schadenersatzklagen seien noch schwieriger, denn dafür bräuchte es das Verschulden eines Geschäftspartners, sagt Bellinghausen in dem AFP-Interview.

Auch Klagen gegen den Staat hätten kaum Aussicht auf Erfolg. „Dazu müsste dem Staat ein grober Fehler nachgewiesen werden – aber was sollte das sein?“, fragt Bellinghausen. Dass Deutschland sich etwa zu abhängig von russischer Energie gemacht habe, dürfte als Argument vor Gericht wohl nicht genügen. Schließlich habe niemand den Ukraine-Krieg vorhersehen können.

Dass die Bundesnetzagentur vorübergehend als Treuhänderin für die bisherige deutsche Tochter des staatlichen russischen Gaskonzerns Gazprom eingesetzt wurde, spräche eher für den Staat: „Die Politik kann sagen, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hat.“

„Wer kein Gas oder Öl mehr bekommt, guckt in die Röhre“

Den russischen Staat zu verklagen, sei ebenfalls chancenlos. „Selbst wenn ein deutsches Gericht zuständig wäre und ein entsprechendes Urteil fällen würde, müsste das ja vollstreckt werden“, sagt Bellinghausen. „Das erscheint jedenfalls in Russland undenkbar.“ Auf das Vermögen von Privatleuten, etwa Oligarchen, könne man nicht zugreifen, weil sich der Anspruch gegen den russischen Staat richte.

„Wer kein Gas oder Öl mehr bekommt, guckt im Regelfall in die Röhre“, fasst Bellinghausen zusammen. Dennoch glaubt er, dass einige Firmen vor Gericht ziehen könnten. Falls das Öl oder Gas infolge einer staatlichen Priorisierung zugeteilt werde, entstünden zwingend Gewinner und Verlierer, bis hin zu Insolvenzen. Diese Priorisierung könnten die Benachteiligten angreifen, weil ihre eigene Abwägung anders ausgefallen wäre.

Große Chancen sieht Bellinghausen für einen solchen Fall aber nicht, solange der Staat nachvollziehbar handele: „Der Staat hat einen Ermessensspielraum“, sagt er. „Gerichte werden voraussichtlich zu dem Ergebnis gelangen, dass Härten unvermeidbar sind.“ (afp/red)



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