Wirtschaft: Überholt China Deutschland?

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Eine chinesische Frau fütterte ihr Baby mit Fertignudeln. Wegen der Preiserhöhung der Zutaten wie Öl, Mehl und Kartoffelmehl wird der Preis für Fertignudeln ab dem 26. Juli um 40 Prozent steigen. (Foto: China Photos/Getty Images)

Geht es nach dem Chefökonomen der Standard Chartered Bank in Shanghai, Stephen Green, hat die Volkswirtschaft China jene von Deutschland „wahrscheinlich schon vor ein paar Monaten“ überholt. Das Statistikamt in Peking soll, laut Green, das tatsächliche Bruttoinlandsprodukt um zehn bis 20 Prozent unterschätzt haben. Am vergangenen Donnerstag, den 19 Juli, hatte das Statistikamt in Peking die Wirtschaftsleistung Chinas für das Jahr 2006 bekannt gegeben: knapp 2,7 Billionen US Dollar sollen es sein. Es fehlt also nicht mehr viel auf die Volkswirtschaft Deutschlands mit rund 2,9 Billionen US Dollar. Noch in diesem Jahr soll China Deutschland hinter sich lassen und nach den USA und Japan die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt werden.

Natürlich ist es wenig verwunderlich, wenn die Wirtschaftsleistung eines Landes mit einer inoffiziellen Anzahl von 1,6 Milliarden Menschen jene eines anderen Landes mit rund 80 Millionen Einwohnern irgendwann übersteigt. Gemäß der offiziellen Bevölkerungszahl von 1,3 Milliarden, liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in China bei rund 2000 Dollar und beträgt damit rund sechs Prozent des deutschen Niveaus.Doch berücksichtigt man, dass die Bevölkerung Chinas in den letzten Jahren inoffiziell um ein weiteres Viertel gestiegen ist, hat sich das tatsächliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nur wenig nach oben verändert – die Leute wurden nur mehr.

Hinzu kommt die Umweltproblematik. Je nach Schätzung liegen die wirtschaftlichen Schäden durch Umweltzerstörung und Todesfälle zwischen 200 und 400 Mrd. Dollar. Experten sind sich darüber einig, dass hier eher die Obergrenze von 20 Prozent zum Tragen kommt, als die Untergrenze mit sieben Prozent. Bei einem Wirtschaftswachstum der Volksrepublik China in der Höhe von inoffiziell rund 20 Prozent, frisst allein der Schaden für die Umweltzerstörung das gesamte Wirtschaftswachstum auf. He Qinglian, eine Exilchinesin in den USA, geht in ihrem Buch „China in der Modernisierungsfalle“ noch einen Schritt weiter: „Berechnet man den Preis, den das Ökosystem für die wirtschaftliche Entwicklung zahlt gemäß dem grünen Bruttoinlandsprodukt, so muss man feststellen, dass die Entwicklung Chinas in den letzten 25 Jahren negativ war.“

Wieder ein anderer Aspekt ist das nominelle und reelle Wirtschaftswachstum. An sich sehen die Devisen Chinas mit 1300 Milliarden Dollar ganz beträchtlich aus. Berücksichtigt man jedoch, dass der Dollar in den letzten Jahren rund 40 Prozent seines Wertes verloren hat und eventuell auch in Zukunft weiter verlieren wird, ist die Milliarde, um welche die Devisen täglich steigen sollen, real nicht mehr ganz so hoch. Deutschland wird hier in den nächsten Jahren wegen des unveränderten Euros aufholen: Die im abgewerteten US Dollar berechnete Wirtschaft Deutschlands wird erst nach und nach dem tatsächlichen Wert in Euro angepasst und dadurch steigen. Dabei ist die Herkunft der Zahlen für das Bruttoinlandsprodukt an sich schon fragwürdig: Was kann man einem Regime glauben, das 1958 behauptete, der Ertrag bei Reis sei mehr als 10.000 Jin pro Mu (rund 75 Tonnen pro Hektar), oder „am 4. Juni 1989 wurde niemand auf dem Platz des Himmlischen Friedens getötet“, oder aber 2003 „das SARS Virus ist unter Kontrolle gebracht“, bis hin zu den aktuellen Behauptungen, „in China ist momentan die beste Zeit für Menschenrechte“, sowie die Theorie der „Drei Vertretungen“.

Die chinesische Analystin He Qinglian, kommt gar zu dem Schluss: Das „Wirtschaftswachstum“ bildet gegenwärtig die „Legitimitätsgrundlage“ der chinesischen Regierung und ist auch die Basis der optimistischen Ansichten vieler ausländischer Wissenschaftler, die in ihren Projekten gern mit der chinesischen Regierung zusammenarbeiten. Zwar fälscht die chinesische Regierung regelmäßig statistische Daten, doch viele Wissenschaftler ignorieren dies aus ganz eigennützigen Überlegungen. Während der Reform- und Öffnungspolitik hat die chinesische Regierung die Interessen des Auslands geschickt ausgenutzt und so die internationale Gemeinschaft dazu gebracht, ein für China nützliches Image aufzubauen. Einigen unbestechlichen Wissenschaftlern, die aufgrund ihres Moral- und Gerechtigkeitsgefühls Kritik an der chinesischen Regierung geübt haben, wurde das Einreisevisum verweigert. „… Diese Restriktionen haben ihre Wirkung auf die Medien nicht verfehlt…“

So kommt man zu „unterschiedlichen Berechnungen“, wie es der Sprecher des Statistikamtes in Peking, Liu Xiaochao, vorsichtig ausdrückt, abgesehen von der mehr als fragwürdigen Herkunft der Zahlen, abgesehen vom unzureichend berücksichtigten Wechselkurs und abgesehen davon, dass das tatsächliche Wirtschaftswachstum pro Kopf nur nicht im selben Maße steigt. Der ständige Zufluss von US Dollars ohne eine gleichzeitige Hebung der Produktivität führt zu einer Inflation, deren Auswirkungen hier im Westen unterschätzt werden. Dies betrifft die meisten Chinesen, die Durchschnittsbürger sozusagen, die nicht zu den Gewinnern des Wirtschaftswachstums zählen, wie die rund 100 Millionen Chinesen in den wenigen Metropolen wie Peking, Shanghai oder Shenzhen. Für diese rund eineinhalb Milliarden Durchschnittsbürger hat sich das Einkommen in den letzten Jahren nicht verändert. Rund 50 Prozent der Chinesen leben derzeit von weniger als zwei Dollar pro Tag und geben davon das meiste für Lebensmittel aus. Da die reellen Preise für manche Lebensmittel bei gleich bleibenden Einkommen aber innerhalb von nur vier Jahren bis zu viermal teurer geworden sind, müssen sich schon jetzt von dem für sie unerschwinglichen Fleisch auf Reis und Nudeln umsteigen. Wenn die Preise noch weiter steigen, was durch die Inflationsrate zwangsweise der Fall ist, drängt sich hier eine andere Frage auf: Was passiert, wenn sich in China rund 800 Millionen Menschen nicht mehr das tägliche Brot zum Überleben leisten können?

Mit dem Wertverlust des US Dollar korreliert der Anstieg der Devisenguthaben der chinesischen Zentralbank. Da China nominell zwar viele Dollars besitzt, die aber reell an Wert verlieren muss es möglichst schnell in wertbeständige Güter investieren. Dies zeigt sich dann so, dass China in einen Staatsfond 350 Milliarden US Dollar eingebracht hatte, um in ausländische Industriewerte zu investieren. Gerade die Rohstoffe sind es, die China dringend braucht und so könnte in Zukunft vielleicht wieder ein anderes deutsches Waldstück oder ein anderer Flughafen im Osten an chinesische Fonds gehen.

Eines steht allerdings fest: Das Regime in Peking braucht dringend solche Nachrichten, dass China wirtschaftlich Deutschland überholt. Es muss der Schein aufrechterhalten werden – in der Weltpresse ebenso wie im eigenen Land. Da und dort muss von einem wirtschaftlich blühenden Land gesprochen werden, ein Land, das sich Weltraumfahrten leisten kann, ein Land, das stark ist. Denn die kommunistische Partei Chinas (KPC) begründet gegenüber dem eigenen Volk die eigene Legitimität mit dem Wirtschaftswachstum und gegenüber dem Ausland damit, dass sie in China für Stabilität sorgt, also mit eiserner Faust das dortige Volk im Zaum hält. Das wirkliche Bild Chinas ist anders: die Bevölkerung ist schon jetzt unzufrieden, revoltiert zusehends gegen das Regime und kann nur unter Anwendung brutalster Gewalt niedergehalten werden. Eben dieses tatsächliche Bild will die KP vermeiden: Ausländisches Kapital könnte abgezogen werden, wodurch die rund fast zu 70 Prozent in ausländischer Hand stehenden chinesischen Unternehmen an Wirtschaftsleistung verlieren könnten. Eine dadurch entstehende wirtschaftliche Stagnation oder gar Wirtschaftsabschwung wären für die KPC genau so tödlich wie die Wahrnehmung der Missstände im eigenen Land: So könnten die Chinesen die Hoffnung in den Wirtschaftsaufschwung verlieren und feststellen, dass die nicht mehr hinnehmbaren Missstände nicht nur auf einen Ort begrenzt sind sondern in ganz China in großer Zahl auftreten.

Fest steht jedenfalls, dass unter der kommunistischen Partei in China nur eine kleine Gruppe vom aktuellen Wirtschaftswachstum profitiert. Wegen der enormen Einkommensunterschiede steigen jedoch auch hier die Spannungen. Hinzu kommen noch andere gravierende Nachteile für die breite Masse durch das Wirtschaftswachstum. Wenig verwunderlich und zugleich nachvollziehbar, wenn die heutige Situation in China unter der KPC manchmal einem brodelnden Dampfdruckkochtopf hne Überdruckventil gleichgesetzt wird.



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