Wirtschaft im freien Fall – was in Deutschland jetzt geschehen muss

In der kommenden Woche stellt Minister Habeck den Jahreswirtschaftsbericht vor. Die Wachstumsprognose ist düster, die Stimmung in der Wirtschaft am Boden. Fünf Experten haben die dringlichsten Baustellen zusammengefasst.
Containerschiffe am Terminal Tollerort der Hamburger Hafen: «Die schwächelnde Weltkonjunktur nagt merklich an den deutschen Exporten.»
Die OECD erwartet 2024 in Deutschland ein geringes Wirtschaftswachstum – Containerschiffe am Terminal Tollerort im Hamburger Hafen.Foto: Christian Charisius/dpa
Von 18. Februar 2024

Wenige Tage vor der erwarteten Präsentation des Jahreswirtschaftsberichts durch Bundesminister Robert Habeck haben sich fünf führende Ökonomen im „Tagesspiegel“ zu Wort gemeldet. Angesichts der Rezession nehmen sie Stellung zu den drängendsten Herausforderungen und der Frage, woran Deutschlands Wirtschaft gesunden könne.

Die Bundesregierung hatte ihre Wachstumserwartung für 2024 am Mittwoch, 14. Februar, von ursprünglich 1,3 auf 0,2 Prozent korrigiert. Habeck attestierte der deutschen Wirtschaft einen „dramatisch schlechten“ Zustand. Er mahnte am Rande der Leipziger Messe, man könne „so nicht weitermachen“.

IW sieht Wachstumschancengesetz als bedeutenden Schritt zur Gesundung der Wirtschaft

Nun haben im „Tagesspiegel“ Vertreter mehrerer namhafter Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Position zu der Frage dargelegt, wo die Ampel aus ihrer Sicht ansetzen sollte, um eine „Wirtschaftswende“ anzustoßen.

Für das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) meldete sich dessen Chef Michael Hüther zu Wort. Er sieht eine „Stärkung unternehmerischer Investitionen“ als entscheidende Weichenstellung. Aus seiner Sicht wäre eine Umsetzung des geplanten Wachstumschancengesetzes ein entscheidender Schritt.

Derzeit blockiert die Union dieses über den Bundesrat. Das Gesetz sieht Steuerbegünstigungen für Unternehmen und Investitionsprämien vor. Die Länder kritisieren, dass sie in die Planung nicht eingebunden gewesen seien – obwohl auch sie Einnahmeausfälle träfen. Hüther verlangt auch konkrete Schritte zum Bürokratieabbau. Bis dato gebe es nur Absichtserklärung.

IfW Kiel: „Es fehlt die positive Vision“

Der IW-Chef fordert die Ampel dazu auf, die Opposition in die Lösungsfindung einzubinden. Vor allem die Länder dürften nicht überfordert werden. Wichtig wäre eine weitere Deckelung der Netzentgelte – auch, wenn diese die derzeitigen Spielräume überschreite. Die Stabilisierung der Energiekosten und die Gewährleistung der Planungssicherheit gingen vor.

Clemens Fuest vom ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München – mahnt die Ampel, ihre interne Uneinigkeit beizulegen und sich auf eine einheitliche Linie in der Wirtschafts- und Klimapolitik zu verständigen. Weniger Bürokratie, niedrigere Unternehmenssteuern und öffentliche Investitionen seien ebenfalls erforderlich. Allerdings gebe es auch eine Reihe langfristiger Aufgaben – von der Reform der sozialen Sicherungssysteme über die demografische Lage bis hin zur Schaffung von Arbeitsanreizen.

Neben der Bürokratie war die Fachkräftesicherung ein Punkt, den alle befragten Experten nannten. Moritz Schularick vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)  mahnte eine „positive Vision davon, wo Deutschland in zehn Jahren stehen will“ an. Dazu sollte in Zukunftsindustrien investiert werden.

Demgegenüber könne Industriepolitik „nicht das Ziel haben, die Industrien von gestern künstlich am Leben zu erhalten“. Was er darunter versteht, konkretisiert er nicht. Für wichtig hält er auch eine Willkommenskultur für ausländische Arbeitskräfte.

Wirtschaft leidet unter Deutschlands Position als „Höchststeuerland“

Achim Wambach, Chef des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), fordert ein „Paket, das ein klares Aufbruchssignal bietet“. Kurzfristige Programme könnten keine strukturellen Probleme überdecken. Wambach warnt angesichts einer effektiven Unternehmenssteuerbelastung von 29 Prozent davor, dass Unternehmen um das „Höchststeuerland“ einen Bogen machen könnten. Deutschland werde sich seine hohen Steuern „auf Dauer nicht leisten können“.

Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) wiederum rät zur Entwicklung von Lösungen für langfristige Probleme. Diese seien hauptsächlich die Zahl der Erwerbspersonen und die Sozialausgaben. Der Forscher rät zum Ende der „Rente mit 63“ als wesentlichem Schritt hin zur Stärkung des Arbeitskräfteangebots für die deutsche Wirtschaft.

Gleichzeitig fordert er ein konkretes Konzept der Politik, wie diese die bis 2045 ins Auge gefassten Null-Emissionsziele des Klimaschutzgesetzes konkret erreichen will. Gäbe es klare Antworten und eine Lösung struktureller Probleme, würde das Vertrauen von Haushalten und Unternehmen wieder zurückkehren. Dies eröffne auch wieder Chancen auf Konsum und Investitionen.

Union nicht zu Lockerung der Schuldenbremse bereit

Bundesminister Habeck erklärte in der Vorwoche auf der Leipziger Messe, die Ampel-Regierung sei sich der Dringlichkeit von Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft bewusst. Man wolle dem Wachstum auf die Sprünge helfen und Investitionen anstoßen. Dabei sei man sich darüber im Klaren, dass die Menschen weniger finanziellen Spielraum hätten infolge von Sparzwängen und hoher Energiekosten.

Habeck umwarb die Union in Gestalt von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, um eine Reform der Schuldenbremse in Angriff zu nehmen.

Kretschmer warnte unterdessen vor dem „Weg, den die DDR gegangen ist“. Bundesfinanzminister Christian Lindner riet zu einem Ende des Solidaritätszuschlages. Anders als andere dringliche Reformen wie Unternehmenssteuern oder das Wachstumschancengesetz könne der Bund diese auch ohne Länder beschließen.



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