Wirtschaft baut ab – staatliche Stellenausschreibung boomt: 199.000 neue Stellen
Im Juli meldete das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle 1.406 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften für den Monat. Das Institut sprach damals in einer Pressemitteilung von einem Rekordwert in den letzten zehn Jahren. Gleichzeitig verkündeten mehrere Konzerne in den vergangenen Monaten, dass sie in nächster Zeit massiv Stellen abbauen wollten.
So hatte unter anderem die „Wirtschaftswoche“ berichtet, dass Henkel-Konzernchef Carsten Knobel vor wenigen Tagen angekündigt hatte, als „Teil seines laufenden Umbauprogramms“ Stellen im Konzern abzubauen. Im Mai hatte der Chemie- und Pharmakonzern Bayer angekündigt, bis 2025 in Deutschland 1.500 Stellen abzubauen.
Auch der Autozulieferer Bosch und Technologiekonzern ZF hatten in den letzten Monaten die Streichung von Arbeitsplätzen angekündigt. Im Oktober sprach Bosch von 1.500 Stellen. ZF hatte im Juli angekündigt, bis 2028 bis zu 14.000 Stellen in Deutschland abzubauen.
Überraschen können solche Ankündigungen und der massive Anstieg von Insolvenzen nicht: Die Quartalszahlen des Bundesamtes für Statistik („Destatis“) zum Wirtschaftswachstum zeigen, dass die Wirtschaft in den vergangenen 18 Quartalen quasi nicht gewachsen ist. Dieser Stillstand wirkt sich zwangsläufig auf die Wirtschaft aus.
Trotz Krise mehr Stellen
Erstaunlich ist allerdings der Blick auf die Erwerbstätigkeit: Diese ist in den letzten Monaten kontinuierlich gestiegen: Im zweiten Quartal 2024 gingen nach Angaben von „Destatis“ rund 46,1 Millionen Personen einer Arbeit nach. Das sind 784.000 Personen mehr als im Schlussquartal 2019, dem letzten vor der Dauerkrise.
Der emeritierte Hochschullehrer und heutige Chefvolkswirt des „Handelsblattes“, Bert Rürup, und sein Kollege Axel Schrinner haben sich nun genau in einem Artikel mit diesem Phänomen befasst. Beide Autoren sehen zwei Punkte, die für diesen merkwürdigen Jobboom verantwortlich sind.
Ein Grund sei die steigende Teilzeitquote, befinden die Autoren. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag diese im ersten Quartal 2024 bei 39,1 Prozent, eine Steigerung um 0,3 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahresquartal. „Noch nie lag die Teilzeitquote in einem ersten Quartal so hoch wie jetzt“, kommentierte Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ im Juni die Zahlen.
Der ehemalige Wirtschaftsweise Rürup vermutet anhand der Zahlen, dass das „gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen auf mehr Köpfe verteilt“ sei.
Angesichts der Zunahme der Alterung der Gesamtgesellschaft schaut der ehemalige Lehrstuhlinhaber für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Darmstadt sowohl „gesamtwirtschaftlich“ als auch „sozialpolitisch“ kritisch auf diesen sich abzeichnenden Trend.
In den meisten Fällen entschieden sich Erwerbstätige aber eigenständig dafür, mehr Freizeit dem höheren Einkommen vorzuziehen. Daher ließe sich, betont Rürup in seinem Beitrag, diese Wahl nicht als „Ineffizienz“ oder „Marktversagen“ betrachten.
Jobwunder passiert beim Staat
Ganz anders sieht er es im zweiten Punkt, mit dem er das Plus an Arbeitsplätzen erklärt: Offenbar vollzieht sich das deutsche Jobwunder vor allem beim Staat. So wurde ein Großteil der Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen, während im gewerblichen Sektor Arbeitsstellen abgebaut wurden.
Laut den Zahlen von „Destatis“ für den Juli 2024 betrug der Zuwachs im Bereich „öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“ im ersten Jahresquartal 199.000 Personen. Im Vergleich zum Vorjahresquartal entspricht das einem Plus von 1,7 Prozent.
„Damit lässt sich der gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsgewinn letztlich fast komplett auf diesen Bereich zurückführen“, kommentiert „Destatis“ die vorgelegten Zahlen. Waren Ende 2019 laut Angaben der „Bundeszentrale für politische Bildung“ 11,3 Millionen Menschen im Sektor „öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“ beschäftigt, arbeiten laut „Destatis“ heute 12,2 Millionen Menschen dort.
Trotz des Anwachsens der Stellen im Öffentlichen Dienst beklagen Gewerkschaften immer wieder einen massiven Personalmangel in diesem Bereich. Regelmäßig fragt der Beamtenbund dbb als Dachverband den Personalbedarf in den einzelnen Arbeitsbereichen des öffentlichen Dienstes und seiner privatisierten Bereiche bei seinen Fachgewerkschaften ab.
Das letzte Mal tat er das im November des vergangenen Jahres. Laut Angaben der Gewerkschaft sei das die bisher „umfassendste Analyse der Personalsituation im öffentlichen Dienst“ gewesen.
Das Ergebnis: Dem Staat fehlen mindestens 551.500 Beschäftigte. Vom Fachkräftemangel betroffen seien praktisch alle Sektoren der Daseinsvorsorge, etwa Bildung, Gesundheit, Infrastruktur sowie Innere und Äußere Sicherheit. Der ständige Aufgabenzuwachs bei den Kommunen schlage sich ebenfalls deutlich in der Erhebung nieder, so der dbb.
In einem Interview mit der FAZ (Bezahlschranke) erklärte der Vorsitzende des Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, das Zustandekommen der Zahlen:
Wir haben noch weitere Berufsgruppen in unsere Abfrage integriert, etwa Bundeswehrbeschäftigte, Richter und Lebensmittelkontrolleure. Bei Pflege, Schulen und Kitas sind jetzt alle Teilbereiche und Trägerschaften erfasst, nicht mehr nur staatliche Träger. Sonderbelastungen kommen hinzu – etwa die Grundsteuerreform und die höheren Schülerzahlen aufgrund des Migrationsdrucks. Und dann ist da noch der sich weiter fortsetzende Abgang der Babyboomer.“
In den nächsten zehn Jahren, so betonte Silberbach, würden 1,36 Millionen Beschäftigte altersbedingt aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Das wären 27 Prozent der heute Beschäftigten.
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung reduzieren
Der dbb-Vorsitzende mahnte im Interview an, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zu reduzieren. „Wir müssen dringend an die Digitalisierung und den Bürokratieabbau ran. Das wird zwar immer viel in Sonntagsreden versprochen, aber tatsächlich passiert kaum etwas“, so Silberbach.
Weiter mahnt Silberbach im FAZ-Interview eine gesellschaftliche Debatte an, welche Leistungen vom Staat erbracht werden sollen. Diese Auseinandersetzung werde, so die Einschätzung des dbb-Chefs, von den „Verantwortlichen in Bund und Ländern“ gescheut.
„Die Bundesregierung ist an unserer Expertenmeinung nicht interessiert. Das merken wir schon daran, dass uns in Gesetzgebungsverfahren oft nur noch 24 Stunden Zeit für Stellungnahmen eingeräumt werden. Das ist kein ernsthafter Dialog“, so Silberbach.
Eine Studie des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ (IW) aus dem Januar legt nahe, dass in den vergangenen Jahren vor allem in der zentralen Verwaltung neue Stellen entstanden sind.
Laut der Studie arbeiteten 2022 gut 4,8 Millionen Menschen als Beamte oder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Im Jahr 2012 waren es dagegen noch rund 584.000 Beschäftigte weniger, so das IW.
„Von dem Zuwachs entfallen lediglich zwei Prozent (12.000 Beschäftigte) auf den Bund, während 44 Prozent des Zuwachses (257.000 Beschäftigte) auf die Länder und 54 Prozent (315.000 Beschäftigte) auf die Kommunen entfällt“, heißt es in der Studie.
Dass die Zahlen des IW etwas niedriger sind als die Angaben von „Destatis“, hängt damit zusammen, dass Beschäftigte bei Zweckverbänden oder staatseigenen Unternehmen mit privater Rechtsform, beispielsweise die Bahn, in der Erhebung nicht berücksichtigt wurden.
Stellen aus politischen Motiven geschaffen?
Dass trotz des Stellenzuwachses immer wieder der Personalmangel im öffentlichen Dienst beklagt wird, ist auf den ersten Blick ein Widerspruch.
Eine Erklärung für den Widerspruch zwischen tatsächlichem Stellenzuwachs und gefühltem Personalmangel liefere laut der Studie der Blick in die einzelnen Bereiche des öffentlichen Dienstes: In Sparten wie der Verteidigung, im Verkehrswesen und Wohnungsbau seien überproportional Stellen eingespart worden. Dem stehe ein „bemerkenswerter Stellenaufbau“ in anderen Bereichen gegenüber, etwa in Schulen, Kitas und bei der Polizei.
Die zentralen Verwaltungen, umgangssprachlich oft als „Wasserkopf“ bezeichnet, verzeichneten einen der größten prozentualen Anstiege an neuen Stellen.
Die Studie stellt fest: „In dem Bereich ‚politische Führung und zentrale Verwaltung‘ zeigte sich auf allen Verwaltungsebenen ein deutlicher Anstieg der Mitarbeiterzahlen. Beim Bund erhöhte sich die Zahl um 11.000 (32 Prozent), bei den Ländern um 28.000 (21 Prozent) und bei den Kommunen sogar um 79.000 (27 Prozent).“
Das Institut merkt an, dass der signifikante Zuwachs an Personal in der zentralen Verwaltung kritisch zu hinterfragen sei. Es bestehe der Verdacht, dass viele dieser Stellen möglicherweise aus politischen Motiven geschaffen wurden.
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