Wirecard-Untersuchungsausschuss: „Wir haben in Deutschland eine Kultur der Nicht-Verantwortung“

Epoch Times10. März 2021

Die Initiatoren des Wirecard-Untersuchungsausschusses werfen nach rund fünf Monaten Aufklärung im Bundestag der Regierung und ihren Behörden „Systemversagen“ vor.

Eine besondere Schuld sehen FDP, Grüne und Linke beim Bundesfinanzministerium, das von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geführt wird.

„Es gab ein kollektives Führungsversagen“, sagte Fabio De Masi von den Linken am Mittwoch in Berlin. Bis Ende April werden in dem Sondergremium unter anderem noch die Wirtschaftsprüfer von Ernst&Young, die in dem Skandal um Bilanzbetrug jahrelang die Bücher von Wirecard testiert haben, sowie Scholz und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) befragt.

Dem schließt sich der CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer an: „Es gab bei BaFin und Bundesfinanzministerium eine eklatante Kultur des Wegsehens – bei Bilanzkontrolle, Finanzaufsicht, Geldwäscheaufsicht und Mitarbeitergeschäften.“

FDP-Politiker Florian Toncar sagte, es werde vor allem um die Reputation und das Amt von Finanz-Staatssekretär Jörg Kukies gehen. Er habe den Kontakt zu Ex-Wirecard-Chef Markus Braun gepflegt, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt.

BaFin untersagte Wetten auf Wirecard-Kursverluste

Außerdem habe sich die Finanzaufsicht BaFin, die dem Finanzministerium unterstellt ist, mit dem sogenannten Leerverkaufsverbot auf die Seite des Unternehmens gestellt, „an die Seite von Kriminellen“, wie Grünen-Experte Danyal Bayaz sagte. Damit wurden Anfang 2019, weit vor der Pleite des Zahlungsabwicklers, als Wirecards Aktienkurs nach Manipulationsvorwürfen in Turbulenzen geraten war, Wetten auf Wirecard-Kursverluste untersagt – ein gravierender und beispielloser Schritt. Toncar zufolge war Kukies hier involviert und vorab informiert gewesen. Das festigte bei Investoren den Eindruck, Wirecard sei Opfer einer gezielten Attacke.

Wie im Ausschuss herauskam, spielte auch die Staatsanwaltschaft bei diesem Verbot eine Rolle: Sie glaubte Anwälten des Unternehmens, dass Wirecard erpresst werde, und gab diese Informationen an die BaFin weiter. Die SPD ist überzeugt, dass die angebliche Erpressung „eine von Jan Marsalek erfundene Räuberpistole“ war, durch die sich die BaFin zum Handeln gezwungen sah. Bayaz meint: Ohne das Verbot wäre der Betrug vermutlich sehr viel früher aufgedeckt worden.

Der Wirecard-Lobbyismus

Karl Theodor zu Guttenberg, ein früherer bayerischer Polizeipräsident, ein Geheimdienstkoordinator: Viele haben sich an hoher Stelle für Wirecard ins Zeug gelegt, sogar direkt bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Namhafte Politiker und Persönlichkeiten haben sich von Wirecard als Lobbyisten einspannen lassen und damit viel Geld verdient“, kritisiert Zimmermann.

In einer Tabelle listet die SPD Rücktritte und Entlassungen im Zusammenhang mit dem Ausschuss auf.

Die Liste ist lang, von Bafin-Präsident Felix Hufeld über die „Bilanzpolizei“ DPR bis hin zum Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfergesellschaft EY. Die personellen Konsequenzen seien Ergebnis der fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit, betont Hauer.

Der AfD wäre allerdings am liebsten, es würde dabei nicht bleiben. „Unsere Forderung, dass Finanzminister Scholz auch die Verantwortung übernehmen und zurücktreten muss, werden wir bis zum Ende aufrechterhalten“, kündigt der Ausschussvorsitzende und AfD-Politiker Kay Gottschalk an.

Der einstige Dax-Konzern war im Juni 2020 nach der Aufdeckung eines 1,9 Milliarden Euro großen Lochs in der Bilanz in die Pleite gerutscht. Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft mehreren Ex-Managern unter anderem gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor.

Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD will die Zeugenvernehmung im U-Ausschuss im April abschließen. Die Opposition pocht auf weitere Sitzungen. Damit würde das Thema stärker in den Wahlkampf gezogen. „Es ist zu früh, die Akte zu schließen“, sagte Toncar. Ein vorläufiger Abschlussbericht werde wohl noch im April begonnen. Im Juni solle sich der Bundestag dann im Plenum abschließend mit dem Fall beschäftigen.

FDP-Politiker: „Die BaFin ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte“

Um einen ähnlichen Fall künftig zu verhindern, braucht es den Oppositionspolitikern zufolge eine andere Kultur bei der Finanzaufsicht. „Die BaFin ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte“, so Toncar. Hier könne sie nur mit Erfolgen rauskommen. Fehler nicht einzuräumen und Verantwortung nicht zu übernehmen, sei aber falsch.

„Das ist ganz sicher der Weg in den nächsten Fall Wirecard.“ Der Skandal sei keine Naturkatastrophe gewesen. Es habe triftige Hinweise auf Ungereimtheiten gegeben in Medien, bei der BaFin, der Staatsanwaltschaft und im Finanzministerium, die aber alle versandet seien. „Wir haben in Deutschland eine Kultur der Nicht-Verantwortung.“ (reuters/dpa)



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