Wie funktioniert das Finanzsystem? Island will die Banken an die Leine nehmen
Bisher können Banken jederzeit beliebig viel Geld erzeugen: Braucht ein Kunde einen Kredit, dann leiht ihm die Bank Geld aus, indem sie es erfindet. Es schreibt das Geld einfach dem neuen Kunden gut. Im Laufe der Zurückzahlung des Kredites wandelt sich diese Geld-Luftblase durch die Rückzahlung in echte Werte um.
Es gibt noch eine andere Form des Geldes, das Vollgeld. Vollgeld („high-powered money“) wird jedoch in der Regel von der Zentralbank ausgegeben und existiert als Bargeld und vor allem als Buchgeld der Zentralbank (sog. Reserven). Diese Reserven befinden sich ausschließlich auf Konten der Zentralbank-Banken, nicht auf Kunden-Konten bei den Banken.
Vollgeld ist sicher, andere Bankguthaben nicht
Banker der Bundesbank besitzen ein Konto bei der Zentralbank und ihr darauf befindliches Geld ist Vollgeld, ihr Geld ist sicher.
Kunden, die bei anderen Banken ein Konto haben, haben diese Vergünstigung nicht: Was auf dem Konto ist, ist nur ein Versprechen auf die Auszahlung von Bargeld. Aus der Sicht der Bank bedeutet jedes Guthaben auf einem Kundenkonto, dass sie mehr Schulden hat. Wenn alle Kunden gleichzeitig ihr Guthaben abheben wollen, sind die Banken pleite.
Gäbe es Vollgeld-Konten für alle, wäre das Geld tatsächlich sicher.
Island will das ändern – sicheres Geld, Vollgeld für alle
Schon seit längerer Zeit beschäftigt Island Wirtschaftsprüfer, um aus dem jetzigen instabilen Finanzsystem ein sicheres System zu machen. Sie erstellten einen Bericht, der auf der Tagung am Montag diskutiert wurde. Die Tagung fand auf Einladung des isländischen Ministerpräsidenten Johannesson und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG statt.
Teilnehmer waren u.a. Martin Wolf (Chefkommentator der Zeitung Financial Times), Mar Gudmundsson (Präsident der isländischen Zentralbank), Frosti Sigurjónsso (Parlaments-Abgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Handel), Ásgeir Jónsson (Wirtschaftsprofessor von der University of Iceland) und Sigurvin Sigurjónsson (Mitarbeiter der KPMG und Autor des zu beratenden Berichts).
Basis der Konferenz war der aktuelle Bericht von Sigurvin Sigurjónsson, der sich mit der Vollgeldreform und entsprechenden politischen Entwicklungen und Fortschritten auf internationaler Ebene befasst.
Die Veranstaltung startete mit einer kurzen Einführung eines Vertreters des isländischen Premierministers, der den Bericht in Auftrag gab. Anschließend sprach Sigurvin Sigurjonsson, Analyst bei KPMG und Hauptautor des Berichts. Er betonte, dass das aktuelle Währungssystem, bei dem Banken das meiste Geld erschaffen, für die Zentralbanken schwierig zu kontrollieren ist. Ihr Vorschlag sei, dass alles Geld ausschließlich von den Zentralbanken erstellt werden soll und diese es in die Realwirtschaft einbringt.
Ein Vollgeld würde die Staatsverschuldung, die private Verschuldung und die Inflation senken. Bei dem neuen System gibt es natürlich auch Unsicherheiten, vor allem bezüglich den Auswirkungen auf die Liquidität der Banken, Kredite und Zinsen – und den Übergang vom jetzigen System zu einem neuen.
Der Präsident der isländischen Zentralbank begrüßt die Diskussion über die Geldpolitik
Diese Probleme standen auch im Mittelpunkt der Rede von Már Guðmundsson, dem Präsidenten der Zentralbank von Island. Er „begrüße sehr, dass wir eine tiefe Diskussion über die Geldpolitik haben“ und wies auf einige Punkte hin:
– Die „monetäre Finanzierung für eine Regierung ist in der Regel die Hauptursache für eine galoppierende Inflation“
– Wie kann die Ausdehnung von Schattenbanken gestoppt werden?
– Wäre eine solche Reform konform damit, dass Island ein Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums ist?
Der Präsident benannte verwirrende Aspekte, insbesondere zur Umwandlung kurzfristiger Sparkonten in langfristige Darlehen, zur Verstaatlichung der Kreditvergabe und wiederholte die übliche Strategie der Zentralbank, dass sie in der Lage sind, die Erschaffung von Geld durch die Banken durch eine Kombination von Zinssatz, Rücklagen und anderen politischen Mitteln zu kontrollieren.
„Dieses System ist ein unsägliches Chaos“ – der Status quo ist nicht hinnehmbar
Martin Wolf von der Financial Times parierte glänzend auf alle diese Sprüche. Er betonte, dass das aktuelle System nicht stabil ist: „Es ist sehr schwer zu sagen, ob dass Finanzsystem seine vermittelnde Aufgabe für die Realwirtschaft übernimmt.“
Und: „Dieses System ist ein unsägliches Chaos und es wird auf ein unsägliches Chaos zugehen.“ Sie wollten nur ihr eigenes sicheres Geld, während alles andere „in die Hölle“ geht. Allein das Konstrukt der heutigen Banken bedeutet, dass es unmöglich ist, für die Banken Sicherheiten zu bieten. Es würde staatliche Unterstützung erfordern, doch diese staatlichen Garantien sind „eine riesige Quelle der Gefahr für die Moral“.
Sein Fazit: Es gibt sehr starke Gründe dafür, dass der Status quo nicht hinnehmbar ist. Die Vorteile eines Vollgeldes sieht er
- im „Reclaim seigniorage“ (dem staatlichen Gewinn der Geldschaffung)
- in einem stabileren Finanzsystem
- der Begrenzung der Macht der Banken (die den Reichtum aus der Wirtschaft extrahieren, statt ihn zu erzeugen)
- dem Stoppen der Immobilienpreisblasen und
- der Möglichkeit, viel stärkeren Einfluss auf die Wirtschaft zu haben als mit den derzeitigen Maßnahmen.
Erste Schritte könnten digitales Bargeld und Helikopter-Geld sein
Martin Wolf glaubt, dass es möglicherweise zwei Maßnahmen gäbe, um auf kurze Sicht Veränderungen zu erreichen. Einerseits könnten Zentralbanken so etwas wie Helikopter-Geld direkt an die Menschen verteilt, um den Konsum anzuregen. Andererseits könnten Zentralbanken durch eine eigene digitale Währung eine sichere elektronische Variante von Geld für die Bürger schaffen – neben den bestehenden Bankeinlagen.
Die Unabhängigkeit der Zentralbanken muss in einem souveränen Geldsystem erhalten bleiben – Es gibt jedoch keinen Grund, weshalb das Geldsystem nicht modernisiert werden könnte.
Und wer sollte den Anfang machen?
Der Präsident der isländischen Zentralbank, Gudmundsson, scherzte, dass Island es nicht tun könnte, da es Mitglied im Euopäischen Wirtschaftsraum ist.
Der Parlaments-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Handel, Frosti Sigurjonsso, sieht das anders: Island ist eine der demokratischsten Nationen: „Wir können die Initiative übernehmen, wir können das System wechseln.“
Gudmundsson schlug vor, dass die Zentralbank trotz aller Bedenken den Bericht mitnimmt und sich die Fragen im Detail ansehen wird. Um vollständig die Probleme um das aktuelle Währungssystem und das Vollgeldsystem zu diskutieren schlug er als Scherz den Angestellten der Zentralbank vor, sie sollten sich für drei Tage in ihre Büros einsperren – die Zeit bräuchten sie, um die tausend Seiten zu erforschen und alle Fragen zu beantworten.
Dafür dürfte allerdings nicht die Zeit sein, entgegnete Martin Wolf. Denn sie diskutierten, wie sie die letzte Krise bewältigen – die Diskussion über Vollgeld führt hingegen dazu, wie „wir mit der nächsten Krise umgehen“.
Weitere Informationen
Island: Revolution im Bankwesen durch Umstellung auf Vollgeld-System?
Island – ein anderer Weg aus der Finanzkrise
VIDEO: Livestream der Tagung
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