Wenn die Mafia zur Kreditbank wird
Die Ermittler der Finanzpolizei von Neapel rückten Anfang August im Blaulicht-Konvoi aus. Beamte nahmen im Umland der süditalienischen Stadt zwei Verdächtige fest. Die Vorwürfe: Kreditwucher mit Mafia-Methoden und Erpressung.
Rund 550.000 Euro hatten sich Familienunternehmer aus dem Tourismussektor vor Jahren bei den Kriminellen geliehen, wie die Behörden berichteten. Wegen der Ausfälle durch die Corona-Krise konnten sie ihre 5500 Euro Zinsen monatlich nicht mehr zahlen. Die Geldgeber drohten mit der Übernahme des Betriebs. Daraufhin lieferten die Unternehmer den Mafia-Jägern wichtige Tipps für die Ermittlungen.
In diesem Fall ist aus Sicht der Kriminellen einiges schief gelaufen. Doch viele betroffene Unternehmer trauen sich nicht, die Ermittler auf den Plan zu rufen. Und die Corona-Krise könnte die Probleme mit der Mafia noch verschärfen.
Italiens Wirtschaft, beim Bruttoinlandsprodukt in der EU die Nummer drei, benötigt nach dem Covid-Schock dringend Liquidität. Politiker und Experten schlagen bereits Alarm, dass Geldmangel noch mehr Firmen in die Fänge von Mafia-Banden treiben könnte. Die Clans mit ihren Milliarden-Einnahmen aus Drogenhandel, Müll- und Waffendeals stünden bereit, um große Summen in reguläre Kreisläufe zu pumpen.
Dass ‚Ndrangheta, Camorra und andere Gruppen Bars, Cafes und Spielhöllen betreiben, ist bekannt. Der Corona-Crash bietet nun aber auch den Nährboden, dass sie zu einer Art alternativer Kreditbank für mittlere und große Unternehmen werden, so die Schreckensvision. Mit dem reißerischen Image eines Kino-„Paten“ wie Don Vito Corleone von früher hat das wenig gemein, es geht eher um den Typ Bankmanager mit Zinsrechner.
So ein Szenario für „moderne Mafia-Modelle“ entwarf die Anti-Mafia-Behörde DIA Mitte Juli in ihrem Halbjahresbericht. „Seit einiger Zeit lässt sich die Tendenz beobachten, dass Mafia-Organisationen spektakuläre Aktionen meiden“, hieß es. Still und heimlich „lenken sie ihre Aufmerksamkeit auf unternehmerische Bereiche“, um ihr Kapital einzusetzen.
Im ersten Schritt konzentrieren sie sich demnach auf die alten Hochburgen im Süden. Dort wollen sie „die schwächsten Unternehmen verschlingen“. In einem zweiten, mittel- bis langfristigen Szenario plane insbesondere die mächtige ‚Ndrangheta aus Kalabrien, noch stärker „als „global Player“ aufzutreten, der zuverlässig und effektiv ist“.
Für überschuldete Firmen, die mit Geldnot kämpfen, seien Bürokratie und Banken zu schwerfällig, so die Standardklage in dem Mittelmeerland. Deshalb würden schnelle Finanzspritzen trotz illegaler Herkunft Abnehmer finden.
Solche Kritik am Staat kennt Innenministerin Luciana Lamorgese. Sie war früher Top-Beamtin. Die Politikerin warnte wiederholt vor dem Erstarken der Clans. Bei der Präsentation ihres Sicherheitsberichts Mitte August nannte sie den Corona-Notstand „eine besondere Zeit, weil das organisierte Verbrechen und die Mafia schnell reagieren und in die legale Wirtschaft eindringen können“.
Dabei war die Ausgangslage für viele Firmen in Italien schon vor der Pandemie mit über 35.000 Toten wackelig, wie der internationale Kreditversicherer Coface analysierte. Zwar hätten die Unternehmen ihre Schuldenanteile im Vergleich zum Höhepunkt 2011 – nach der Finanzkrise 2008 – bis 2019 senken können. Trotzdem: „Mit einer Verschuldungsquote von 50 Prozent sind die Unternehmen in Italien nun die am höchsten verschuldeten unter den großen europäischen Volkswirtschaften“, schreiben die Experten. Dazu komme, dass einige Sektoren ihre Kredite kaum in Innovation und künftige Werte umsetzen könnten. Einzelhandel, Baugewerbe und kleine Textilhersteller seien stark verwundbar.
Dass Italiens Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum ersten Vierteljahr um 12,4 Prozent wegbrach, macht eine baldige Erholung nicht wahrscheinlicher. Trotzdem gibt es Signale, dass ein Erstarken der Mafia durch die Virus-Krise kein Automatismus sein muss.
Als Folge der Finanzkrise ab 2008 war ein Mafia-Aufschwung beobachtete worden. Marcos Carias, Südeuropa-Experte bei Coface, weist jedoch auf Unterschiede hin: Damals habe die Krise im Bankensektor ihren Ausgang genommen. „Eine riesige und anhaltende Kreditklemme schuf den Raum für schmutziges Geld, um Marktanteile zu gewinnen. Im Moment sind die Dinge ganz anders: Wir haben eine Krise, die in der Realwirtschaft beginnt, und die Banken haben mit aggressivem Kreditausbau reagiert (…).“ Die öffentlichen Liquiditätshilfen hätten ebenfalls ihren Teil beigetragen.
Der hoch verschuldete Staat hat seit dem Frühjahr mehrere milliardenschwere Finanzprogramme aufgelegt. So genehmigte etwa die EU unlängst Hilfen von rund zwei Milliarden Euro für Garantien auf dem Versicherungsmarkt für Firmenkredite. Und die Banken des Landes weiteten im Juni ihre Kreditvergabe an die Unternehmen deutlich aus – um 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert. Auch dies kann dazu beitragen, der Mafia nicht noch mehr Raum zu geben. (dpa)
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