Wenn die Lichter ausgehen
Kein Licht, kein Krankenhausbetrieb, keine Heizung, kein Telefon, keine Züge und Straßenbahnen, keine Supermarktkassen, keine Aufzüge. Am Strom hängt alles. Fiele er ein paar Tage über mehrere Länder hinweg aus, kämen die Menschen schnell an ihre Grenzen. Dann würde die Trinkwasserversorgung zusammenbrechen und die Versorgung mit Dieselkraftstoff für die Notstromaggregate problematisch. „Ab drei Tage aufwärts würden wir heute einschätzen, dass das zu katastrophalen Zuständen führen würde“, brachte es Wolfram Geier, Abteilungspräsident beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ auf den Punkt.
Am 8. Januar war es fast so weit, als gegen 13 Uhr ein Kraftwerkausfall in Rumänien in Österreich einen starken Frequenzabfall im Stromnetz nach sich zog. Beim niederösterreichischen Stromversorger EVN meldeten sich erste Großkunden, weil feinfühlige Maschinen bereits Frequenzabsenkung registriert hatten. Sind die Schwankungen zu hoch, schalten sich Maschinen ab, um sich selbst zu schützen. Geschieht dies bei Kraftwerken, wird die Lage kritisch. Dann wird aus einem Ausfall eine Kettenreaktion, und in Europa gehen nicht nur die Lichter aus. Der Verband europäischer Übertragungsnetzbetreiber rief die dritte von vier Warnstufen aus.
Einbruch des Energieüberschusses absehbar
Die Katastrophe konnte abgewendet werden: Beim österreichischen Übertragungsnetzbetreiber APG sprangen Wasserkraftwerke, thermische Kraftwerke und große Batteriespeicher ein, während Netzbetreiber in Frankreich und Italien große Industriekunden abschalteten, um die Versorgung zu stabilisieren. Zusätzlich schaufelten skandinavische und britische Kraftwerksbetreiber immense Kapazitäten ins Netz. Um 15:07 Uhr erreichte das Netz wieder die notwendige Frequenz von 50 Hertz.
Zwar kam es nicht zum Blackout, doch zurück bleibt ein beunruhigendes Gefühl. Denn seither haben sich die Unregelmäßigkeiten im europäischen Stromnetz vervielfacht, bisher ohne spürbare Stromausfälle nach sich zu ziehen. Auch der jüngste Stromausfall blieb ohne Folgen. Als am vergangenen Montag große Teile Paderborns im Dunkeln lagen, dauerte es nur eine gute Stunde, bis der Strom wieder da war.
Mitverantwortlich für die immer stärker schwankende Versorgung ist die viel beschworene Energiewende in Deutschland. Netzbetreiber müssen ihre Netze immer weiter ausbauen, um angesichts der stetig steigenden Kapazitäten der erneuerbaren Energien nicht den Anschluss zu verlieren. Prekär vor diesem Hintergrund: 2022 sollen die letzten deutschen Atomkraftwerke vom Netz gehen und spätestens ab 2038 sollen auch alle deutschen Kohlekraftwerke stillgelegt sein.
Bloomberg New Energy Finance sagt im Hinblick darauf bereits einen Einbruch des Energieüberschusses voraus. Die deutsche Energiewirtschaft werde 2023 nur noch drei Prozent mehr als notwendig schaffen. Zum Vergleich: Vor der Pandemie 2019 betrug der Überschuss noch 26 Prozent. Gleichzeitig hapert es beim Bau nachhaltiger neuer Anlagen oft an der Bürokratie. Die norwegische Statkraft, Europas größter Erzeuger erneuerbarer Energien, spottete unlängst, es dauere doppelt so lange, einen Windpark in Deutschland zu bauen als in den Vereinigten Staaten.
Sprunghaft gestiegene Preise
Die enormen Defizite, die hierzulande bei sogenannten Dunkelflauten auftreten, wenn es windstill ist und die Sonne nicht scheint, sollen durch Einfuhren aus dem Ausland abgedeckt werden. Im Netzentwicklungsplan wird für das Jahr 2035 ein Stromdefizit von 36 Gigawatt eingeplant, zu decken durch ebendiese Stromimporte. Dass diese häufig aus Atom- oder Kohlekraftwerken stammen, zeugt von der längst nicht zu Ende gedachten Energiewende.
Dazu gehört auch neben den sprunghaft gestiegenen Preisen – noch nie haben deutsche Verbraucher mehr für die Kilowattstunde Strom bezahlt als jetzt – ein weiterer entscheidender Faktor, den die Politik nicht bedacht hat: Ist der Strom an kalten Wintertagen knapp, werden sich die deutschen Nachbarstaaten zunächst selbst versorgen, statt deutsche Defizite zu kompensieren. Um die Versorgungssicherheit bei bundesweiten Dunkelflauten zu gewährleisten, sind daher Reservekraftwerke erforderlich, die CO2-neutral mit grünem Gas betrieben werden. Diese sieht der deutsche Netzentwicklungsplan 2021 bis 2035 jedoch nicht in ausreichendem Maße vor.
Stattdessen zielen die künftigen Regierungsparteien auf ein schrittweises Abschalten der Kraftwerke ab – und erhöhen damit das Risiko eines Blackouts zusätzlich. Nicht ohne Grund bewertet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Wahrscheinlichkeit, dass hierzulande eine durch einen Stromausfall induzierte Katastrophe eintritt, höher als jede andere Gefahr.
„Essen und Trinken bevorraten“
Die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen ist bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet nicht mehr sicherzustellen, warnt auch das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. „Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr gerecht werden.“
„Essen und Trinken bevorraten“, überschreibt das BKK vielsagend ein Kapitel zum Thema Vorsorge für den Notfall. Der Text liest sich wie ein Ratgeber für Prepper, die sich durch geschickte Vorratshaltung für die nächste Krise wappnen: „Vielleicht denken Sie an den Roman „Blackout“ oder an eine Quarantäne während der Corona-Pandemie. Richtig, das sind zwei Beispiele, in denen ein Vorrat hilfreich ist. Denn bei einem „Blackout“ beziehungsweise großflächigen Stromausfall bleiben die Supermärkte und Tankstellen geschlossen. Auch Kühlschrank und Gefrierfach fallen aus und je nach regionalen Voraussetzungen kommt auch kein Trinkwasser mehr aus dem Wasserhahn. Hier hilft ein Lebensmittel- und Getränkevorrat, die Zeit zu überbrücken, bis die staatliche Hilfe anläuft.“
Blackouts für die Industrie denkbar
Offen bleibt indes, wie lange es dauert, bis Vater Staat eingreift. Die Flutkatastrophe im Ahrtal legt nahe, die Vorratshaltung besonders großzügig zu gestalten. Geht es nach dem BBK, sollten die Bundesbürger einen Zeitraum von zehn Tagen mit Essen und Trinken abdecken. Grundsätzlich gelte: „Auch nur ein bisschen Vorrat, zum Beispiel für drei Tage, ist besser als kein Vorrat.“
Die gleichermaßen gefährliche wie teure deutsche Energiewende ist indes nicht der einzige Grund zur Sorge. Die US-Investmentbank Goldman Sachs betrachtet die „außergewöhnlich niedrigen“ Erdgas-Speichervorräte als weiteren Unsicherheitsfaktor. Ihr Fazit: Wenn der kommende Winter kalt wird, könnten der Industrie und auch Millionen Bürgern Blackouts in Europa drohen. Käme es zu einem überdurchschnittlich kalten Winter, werden die Preise nach Ansicht der Analysten weiter steigen.
Es bestehe das „nicht vernachlässigbare Risiko“, dass die Flüssiggastransporte nach Europa nicht genügten, um den Bedarf zu decken. Blackouts für die Industrie und ganze Stromnetzausfälle seien dann denkbar. Regierungen könnten gezwungen sein, die Schließung einzelner Industriezweige anzuordnen. Der Chef des italienischen Versorgers Snam bringt die Lage laut „Bloomberg“ so auf den Punkt: „Es könnte sehr hässlich werden, wenn wir nicht schnell handeln, um jeden Zentimeter in den Speichern zu füllen.“
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