Weltökonom aus Elberfeld: Sir Hans Singer gestorben
Der in Elberfeld geborene Weltökonom Prof. Dr. Dr.h.c.mult. Hans W. Singer, seit seiner Erhebung in den Adelsstand durch die britische Königin Sir Hans Singer, ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Der weltberühmte Wirtschaftswissenschaftler, der mit 22 vor den Nazis flüchtete, lebte in einem Altenheim in Sussex. Ein Nachruf des zur University of Sussex gehörenden Instituts of Development (Brighton) nennt Sir Hans seinen größten Star und weltweit wichtigsten Entwicklungsökonomen. Sir Hans habe noch bis eine Woche vor seinem Tod mit Freunden und Studenten gescherzt und sei friedlich eingeschlafen. Seit seiner Emigration 1933 war Singer nur ein Mal wieder in Wuppertal, nämlich 1984 auf Einladung des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft.
Hans Wolfgang Singer wurde 1910 als Sohn des jüdischen Arztes Heinrich Singer und seiner Frau Antonia in Elberfeld geboren. Die Familie wohnte in der damaligen Bahnstraße 15, heute Hoeftstraße. Hans besuchte das Humanistische Gymnasium Elberfeld (heute Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium); die Familie gehörte zum liberalen Judentum. Mit 19 ging Singer nach Bonn, um Medizin zu studieren. Er mogelte sich aber in einige Vorlesungen des österreichischen Nationalökonomen Prof. Joseph Schumpeter. Kurz entschlossen wechselte Singer zur Volkswirtschaft und damit zu dem bedeutendsten deutschsprachigen Ökonomen des 20 Jahrhunderts. 1931, also mit 21 (!), begann er mit seiner Dissertation.
Hans Vater war mit ruinierter Gesundheit aus dem 1. Weltkrieg zurückgekehrt. 1933 wurde er in einem dubiosen Prozess von den Nazis zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Er starb noch im selben Jahr in Münster im Gefängnis.
Hans Singer verließ Deutschland 1933 und versuchte, in der Türkei Fuß zu fassen, wo viele hochkarätige deutsche Wissenschaftler Asyl gefunden hatten. In Istanbul erreichte ihn die Nachricht, dass ihm – durch Vermittlung Schumpeters, der inzwischen in Harvard lehrte – ein Stipendium am King’s College der Universität Cambridge angeboten werde.
Cambridge war Mekka der Nationalökonomie. Dort lehrte der berühmte Nationalökonom Prof. John Maynard Keynes. Singer erlebte erregte Diskussionen um die bevorstehende Publikation von Keynes‘ „Allgemeiner Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“, die für die Wirtschaftspolitik der nächsten 50 Jahre bestimmend sein sollte. Hans promovierte 1936. Es war erst der dritte PhD, den Cambridge in Ökonomie vergab. Nachdem Singer einige Zeit im britischen Ministerium für Stadt- und Regionalplanung gearbeitet hatte, boten ihm die neu gegründeten Vereinten Nationen 1947 eine Stelle für Entwicklungsplanung an.
Die „Prebisch-Singer-These“ – der argentinische Ökonom Raul Prebisch (1901-1985), zeitweise Generalsekretär der UN-Konferenz für Welthandel und Entwicklung, war unabhängig von Singer auf diese Regel gestoßen – wurde Basis der Entwicklungspolitik von Weltbank und UN: Nicht Spezialisierung auf Agrarprodukte, sondern nur der Aufbau eigener Industrie könne den Entwicklungsländern zu mehr Wohlstand verhelfen. Da jedoch ihre Industrieprodukte in der Aufbauphase auf dem Weltmarkt qualitativ und preislich nicht wettbewerbsfähig seien, könnten sie nur auf dem Inlandsmarkt abgesetzt werden. Importe aus Industrieländern müssten für eine Übergangszeit mit Schutzzöllen abgewehrt werden. Der Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Günter Schiller: „Die ‚Prebisch-Singer-These‘ gilt bis heute als zutreffend; allerdings ist die Industrialisierung der Entwicklungsländer heute von Anbeginn an mit stärkerer Exportorientierung verbunden.“
1969 ging Singer an das neue Institute of Development Studies der Universität Sussex und wurde zugleich Professor an der University of Sussex. Weiter galt seine Sorge den Armen der Welt, den Kindern und Hungernden. In den 80er Jahren traf der verstorbene Ökonom Prof. Dr. Bernd Biervert den berühmten britischen Kollegen auf einer Konferenz. Singer hatte Deutschland gemieden, erklärte sich jedoch bereit, eine Einladung der Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftler anzunehmen. Singers Wuppertaler „Wiederentdecker“ Prof. Schiller erinnert sich: „Es war eine bewegende Begegnung.“ Singer sah, was er natürlich wusste, dass nämlich auch sein Geburtshaus und die Umgebung seiner Kindheit nicht mehr existierten.
1994 wurde Hans Singer von Königin Elisabeth II. in den Adelsstand erhoben und war seither auch geborenes Mitglied des Britischen Oberhauses. Singer erhielt die Ehrendoktorwürden von sieben Universitäten in aller Welt. Am 20. Juli 2004 verlieh ihm die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg aus Anlass des 60. Jahrestages des 20. Juli 1944 die erste Ehrenbürgerwürde einer deutschen Universität. Nach 67jähriger Ehe, aus der zwei Söhne hervorgingen, war seine Frau Ilse Lina bereits im März 2001 verstorben.
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